Rechtsgeschichte. Susanne Hähnchen
zügig beschreibbar, reiß- und radierfest sowie dauerhaft.
Ein wiederverwendetes Pergament nennt man Palimpsest („wieder abgeschabt“). Den ursprünglichen, nicht mehr benötigten Text radierte man mit ätzendem Bimsstein aus und beschrieb das Material erneut. Es bleiben jedoch Spuren und man kann den älteren Text wieder sichtbar machen. Auf Palimpsesten fand man wichtige Werke des Altertums, beispielsweise die Institutionen des Gaius, das wichtigste überlieferte Lehrbuch des römischen Rechts aus seiner Blütezeit (Rn. 168).
Seit dem Ende des 7. Jahrhunderts erscheint das Pergament für die Verwendung als Urkunde.
ee) Papier
16
Erfunden wurde das Papier vor über 2000 Jahren in China. Die ältesten europäischen Papiere stammen aus dem 13. Jahrhundert. Vorzug des Papiers ist seine Billigkeit, Nachteil die schnelle Vergänglichkeit. Es wird zunächst literarisch verwendet. Noch im 16. Jahrhundert erkannte der Rat von Lübeck papierne Urkunden nicht als Beweismittel an. In England wurde erst 1956 durch Beschluss des Unterhauses die Vorschrift aufgehoben, dass bestimmte Gesetzespublikationen auf Pergament zu erfolgen hatten. Mithilfe des Wasserzeichens (seit dem 14. Jahrhundert) kann man das Alter eines historischen Papierdokuments gut bestimmen.
ff) Bücher
17
Es gab lange keine Bücher, wie wir sie heute kennen, sondern zunächst entstand ein Buch (liber) durch das Zusammennähen vieler Einzelblätter nebeneinander. Man schrieb dabei auf jedes der Blätter eine Kolumne und rollte es in der Antike seitlich, im Mittelalter oben auf. Mit der Verwendung des Pergaments wandelte sich allmählich die Buchform von der Rolle zum Codex, also dem heute noch üblichen, aus Lagen oder Einzelblättern zusammengebundenen Buch.
III. Recht und Gesetz
18
Gar nicht einfach ist es, den Gegenstand der Rechtsgeschichte, das Recht selbst, zu bestimmen.[10]
Das deutsche Wort Recht bezeichnet ebenso wie das lateinische ius einmal die Rechtsordnungen und ihre Bestandteile (objektives Recht), ein anderes Mal die subjektive Berechtigung, die Machtbefugnis (subjektives Recht). Bei der Verwendung dieser Begriffe in den überlieferten Rechtsquellen hat Vorsicht zu walten. In Geschäftsurkunden etwa wird eher das subjektive Recht, die Berechtigung gemeint sein, während eine philosophische Abhandlung auf die objektive Bedeutung zielen kann.
Im germanischen Rechtsbereich ist das Geordnete, Ausgerichtete „Recht“ (gotisch raihts, althochdeutsch reht, angelsächsisch riht). Verwandt sind die Begriffe lagh oder êwa (noch erhalten in unserem Wort „Ehe“, der rechtlichen Bindung von Mann und Frau) und bilida (vgl. „Billigkeit“).
Verschiedene Zeiten und verschiedene Kulturen haben differente Verständnisse von Recht.
19
Eine allgemein gültige Definition des objektiven Rechts gibt es nicht. Entwicklungsgeschichtlich lassen sich verschiedene Stufen erkennen, die sich teilweise überschneiden. Ursprünglich ist das Recht mit der Sitte identisch. Später ist es ein Norminbegriff, der den in einer Gruppe verbindlich geübten Gewohnheiten entspricht. Handhaben Gerichte diese Normen als verpflichtend, kann man bereits von Gewohnheitsrecht sprechen. Mit dem Erlass von Gesetzen in einem Staat kann weiter generalisiert werden und wir sind näher an unserer heutigen Vorstellung von Recht angekommen. Gewöhnlich wird als Abgrenzungsmerkmal zur bloßen Sitte oder Gewohnheit das Merkmal der Erzwingbarkeit benutzt. Jedoch kann dies nur ein Näherungswert sein; die Sanktionen auf Verletzungen der Sitten sind zu differenziert, als dass man den Begriff des Zwangs allein für tauglich halten könnte, einen Maßstab abzugeben.
20
Erst das liberale 19. Jahrhundert stellte das subjektive Recht, also die Berechtigung des Einzelnen, in den Mittelpunkt des Rechts im objektiven Sinne. Es wurde von Bernhard Windscheid (Rn. 721) als „Willensmacht“ oder „Willensherrschaft“ bezeichnet. Der Ahnherr der „Interessenjurisprudenz“ Rudolf v. Ihering (Rn. 723) hat dann das subjektive Recht genauer als rechtlich geschütztes Interesse definiert. Damit war seine Überbewertung beseitigt. Vor allem der (vorher eher in der Philosophie relevante) Aspekt der Pflicht, die mit jedem subjektiven Recht korrespondiert, konnte erst so richtig zur Geltung kommen. Wichtige Beispiele für individuelle Befugnisse und Zuständigkeiten sind der Anspruch (relatives Recht) und das Eigentum (absolutes Recht).
21
Recht findet sich unter anderem in Gesetzen. Für den Rechtshistoriker ist es wichtig zu erkennen, dass sich das, was als Gesetz in den Quellen erscheint, nicht stets als das Gleiche darstellt. Es gibt in den zahlreichen Formen von Willensäußerungen durch Gruppenorgane, vor allem solchen des Staates, immer wiederkehrende Grundfiguren, die als Grundformen bzw. Bestandteile des Gesetzes angesehen werden können, wobei die Elemente selten rein, eher in Mischung auftreten. Es sind dies Weistum, Satzung, Rechtsgebot und Lehrbuch.
1. Weistum
22
Weistümer sind Rechtsquellen vor allem des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Das im einzelnen Streitfall gefundene Recht wird durch ein Urteil geschöpft. Das Weistum hingegen ist eine Auskunft Rechtskundiger über einen Rechtszustand oder geltendes Gewohnheitsrecht, wobei es regionale Besonderheiten gibt. Das Recht wird jedenfalls als feststehend und prinzipiell nicht veränderbar gedacht und muss „nur“ mit der erforderlichen Weisheit erkannt und gewiesen werden.
Diese Weisungen sind der älteste Bestandteil der Gesetzgebung, jedenfalls im Bereich des germanischen Rechts und vor allem in der entwickelten Form, wenn das gefundene Recht verbessert werden konnte. Dabei sind allerdings Tarnungen zu finden, die das Idealbild des alten Rechts aufrecht erhalten, aber tatsächlich Neuerungen verbergen.
Beispiele für Weistümer finden sich in Rn. 253, 294 und 312.
2. Willkür, Satzung, Einung
23
Die zweite Wurzel des Gesetzes liegt auf der vertraglichen Ebene. Man kann eine „Willkür“ (sprachlich zusammenhängend mit „küren“ = wählen), eine Satzung oder Einung vereinbaren. Klassische Beispiele sind die mittelalterlichen Stadtrechte (Rn. 305 ff, 312), die einen Schritt auf dem Weg zur Mobilisierung des Rechts darstellen. Hier ist aber immer nur der gebunden, der selbst mitgewirkt hat. Das löst sich im Lauf der Zeit, als sich über eine Folgepflicht der Minderheit das Mehrheitsprinzip durchsetzt. Dieses stammt aus dem römischen Recht, wurde ein kirchenrechtlicher Grundsatz: maior pars est sanior pars (Die Mehrheit ist vernünftiger) und gilt noch heute im Wahlrecht.
3. Rechtsgebot
24
Die dritte Grundform des modernen Gesetzes ist das Gebot, entweder für den Einzelfall oder für eine Mehrzahl gleich gearteter Fälle. Hier ist – anders als ursprünglich bei der zweiten Grundform – Herrschaft (nicht Einigung) die Voraussetzung für die Rechtsetzung. Solche Gebote sind ein wichtiges Gesetzgebungsinstrument des heutigen Staates.