Rechtsgeschichte. Susanne Hähnchen
Vorstufe demokratischer Volksversammlungen. Ihnen gehörten deshalb auch später nur die wehrfähigen Männer an. Im 5. Jahrhundert kam es zu einer Neueinteilung der tribus, und für das Jahr 427 v. Chr. werden als neue Heeres- und Versammlungseinheiten die Zenturien (Hundertschaften von centum = hundert) erwähnt. Neben den weiter bestehenden Kuriat- und Tribuskomitien entwickelten sich die Zenturiatkomitien zu den wichtigsten Volksversammlungen in der Republik (Rn. 89). In diese Organisation wurden auch die Plebejer eingegliedert. Wie ihre (späteren) Gentilnamen (Rn. 63) bezeugen, bildeten sie eigene gentes.
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Die Funktion des Königs (rex) sollte nicht als allumfassende Herrschaftsgewalt missverstanden werden. Es ging darum, im Interesse des inneren Friedens die vormals selbstherrlichen patrizischen Adelsherren soweit wie möglich von Fehden abzuhalten und die Schlagkraft des Gemeinwesens nach außen zu gewährleisten. Der König war daher vor allem Richter (iudex) und Heerführer. Die legendären Königsgesetze (leges regiae) wurden angeblich später von einem Priester (pontifex, Rn. 49 f) namens Papirius gesammelt und veröffentlicht, daher die Bezeichnung als ius Papirianum.[5] Das dürfte jedoch auf pontifikaler Erfindung beruhen.
Als Gehilfen standen den Königen Beamte zur Seite: zwei Männer für die Verfolgung von Hochverrat (duumviri perduellionis) und Verwandtenmord-Aufspürer (quaestores parricidii). Dies zeigt die damals hohe Bedeutung dieser Delikte; die Beamten hatten aber auch religiös-sakrale Aufgaben.
Das Verhältnis der Römer zu ihren Göttern war eher kühl-pragmatisch. Die Götter erhielten nach römischer Vorstellung die ihnen zukommenden Opfer und schützten dafür das Gemeinwesen. Man durfte sie sogar täuschen: Beispielsweise verwendete man einen „Strohmann“ anstelle des früheren Menschenopfers.[6]
Nach dem Sturz der Könige wurde als Ersatz auf sakralem Gebiet jeweils ein (patrizischer) rex sacrorum berufen, der von politischen Ämtern ferngehalten wurde.
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Die Gestaltung der Herrschaftsverhältnisse nach der Vertreibung der Könige ist umstritten. Sicherlich lag der Schwerpunkt der Macht bei der Gesamtheit der adligen Sippenoberhäupter, der Keimzelle des späteren Senats (Rn. 47). Für die einzelnen Amtsgeschäfte waren jedoch ein oder mehrere Oberbeamte (späterere Magistrate, Rn. 78 ff) erforderlich. Nach römischer Überlieferung traten an die Stelle der Könige sofort zwei Konsuln.[7] Die Quellen erwähnen jedoch auch andere Amtsträger für die Frühzeit der Republik, nämlich einen praetor maximus und 3-6 Konsulartribune, sodass heute eine allmähliche Herausbildung der 2-Konsul-Verfassung wahrscheinlicher erscheint.[8]
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Schon die frühe Republik wurde erschüttert vom sog. Ständekampf, der zwischen Patriziern und Plebejern (Rn. 41) lange anhielt. Hintergrund war die Weiterentwicklung der römischen Kriegstechnik. Während ursprünglich vor allem adlige Reiter aktiv waren, ging man zu der aus Griechenland übernommenen Hoplitentaktik (hoplites = schwer bewaffneter Fußsoldat) über, die seit dem Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. für Rom archäologisch nachweisbar ist. Das Fußvolk, zu dem auch Plebejer gehörten, wurde also der Kern der Streitmacht. Dies führte zu veränderten politischen Zuständen aufgrund des beginnenden Kampfes um mehr Gleichberechtigung.
Im Jahr 494 v. Chr. soll die erste secessio plebis, also ein Auszug der Plebejer auf den mons sacer bei Rom stattgefunden haben.[9] Der Patrizier Menenius Agrippa bewog angeblich die Plebejer durch den Vergleich des Volksganzen mit einem körperlichen Organismus zur Rückkehr.
Damals sollen die ersten Volkstribune (tribuni plebis) von der plebs eingesetzt worden sein. Ab 471 v. Chr. sind concilia plebis, also Versammlungen der Plebs überliefert. Das Einberufungsrecht lag bei den Volkstribunen. Die Volkstribune konnten gegen Zwangs- und Strafmaßnahmen (coercitio, Rn. 559) der zunächst ausschließlich adligen Oberbeamten interzedieren, also dazwischentreten, mittels Berufung (provocatio) an die Volksversammlung. Diese Befugnis zur Hilfe (ius auxilii) war anfangs nur durch den gemeinsamen Schwur der plebs sanktioniert, jede Verletzung eines Volkstribuns zu rächen. 449 v. Chr. wurde die Unverletzlichkeit (sacrosanctitas) durch Gesetze anerkannt (leges Valeriae Horatiae).
Weitere Ergebnisse des Ständekampfes waren:
- | um 450 v. Chr. Erlass der XII Tafeln (Rn. 51), |
- | wenig später wurden Ehen zwischen patrizischen und plebejischen Partnern gestattet, |
- | seit den leges Liciniae Sextiae von 367 v. Chr. (Rn. 77) gab es (je einen) parallel amtierenden patrizischen und plebejischen Konsul, |
- | um 304 v. Chr. wurde das weitgehend von den patrizischen Priestern geheim gehaltene Recht (ius Flavianum) veröffentlicht (Rn. 50, 111), |
- | Plebejer erhielten Zugang zu den Ämtern der Quästur und des Konsulats und wurden in den Senat aufgenommen. |
- | Als Abschluss des altrömischen Ständekampfes wird die lex Hortensia (287 v. Chr., Rn. 93) angesehen: Beschlüsse der concilia plebis, sog. Plebiszite, waren seither für das gesamte Volk, also auch die Patrizier, verbindlich. |
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Bei allen Erfolgen der plebejischen Mehrheit lag das machtpolitische Zentrum der römischen Republik aber im Senat. Dieser war ursprünglich eine Versammlung der patrizischen Sippenoberhäupter. Später wurden auch verdiente Plebejer in den Senat aufgenommen (Rn. 46). Die Anrede dort lautete „patres conscripti“, zu übersetzen wohl als „Väter und Eingeschriebene“, also Patrizier und durch Zensur (Rn. 81) Zugelassene. Aus den Patriziern und diesen wenigen Familien privilegierter Plebejer bildete sich der neue Adel der Republik, die nobilitas. Die Oberbeamten, die sogenannten Magistrate (Rn. 78 ff) wurden zwar vom Volk in den Komitien gewählt, sie waren aufgrund ihrer gesellschaftlichen Herkunft und ihren politischen Verbindungen aber Vertreter der Senatsaristokratie. Ursache dafür waren Vorabsprachen und eine Wahlordnung, bei der nicht jede Stimme gleich zählte.
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Dieses System der später sog. Republik (von res publica = die öffentliche, gemeinsame Sache) beruhte maßgeblich auf der ursprünglichen Bauerngemeinde der patres und den kriegstechnisch bedingten Weiterentwicklungen. Es ist kein Zufall, dass die militärische Organisation des Volkes und seine Versammlungen mit der Organisation des Staates zusammen fielen. Während der Zeit der Republik führte Rom viele Kriege und entwickelte sich vom kleinen Stadtstaat zur Großmacht am Mittelmeer.
Mit den drei Säulen Senat (