Handbuch des Strafrechts. Bernd Heinrich
von vornherein zu verhindern.[606] Anders als im Beispiel von Rn. 96 läge auch der erforderliche Pflichtwidrigkeitszusammenhang vor.
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Näheres zu den Auswahl-, Instruktions- und Überwachungspflichten[607] des Anweisenden sowie zur Grenze der Zulässigkeit[608] von Delegationen auf Krankenpflegekräfte[609] findet sich in der Spezialliteratur.[610]
bb) Fahrlässigkeitsstrafbarkeit der Angewiesenen (Delegat)[611]
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Im Fall der Arbeitsteilung können sich die Angewiesenen ihrerseits umgekehrt grundsätzlich auf die Richtigkeit der ihnen erteilten Anweisungen verlassen und brauchen sie, auch soweit ihnen dies möglich wäre, nicht zu überprüfen.[612] Hierdurch wird zwar die Ausführung einer nach den Regeln der ärztlichen Kunst fehlerhaften Anweisung nicht vom Makel objektiver Sorgfaltswidrigkeit befreit: Das Verabreichen einer überhöhten Dosis eines Medikaments ist objektiv sorgfaltswidrig, gleichgültig, ob der Arzt selbst oder auf seine Anweisung eine Krankenschwester handelt. Der Vertrauensgrundsatz wirkt sich hier also nicht auf der Ebene der objektiven Sorgfaltsnormen, sondern auf der Ebene der Fahrlässigkeitsschuld als eine Begrenzung der auf den Inhalt dieser Normen bezogenen sog. Erkenntnisverschaffungspflicht aus. Ein Handeln in Unkenntnis dessen, was rechtliche Sorgfaltsnormen gebieten, bleibt objektiv sorgfaltswidrig, weil das Recht – jedenfalls bei seiner Festlegung objektiver Handlungsbefugnisse – die Möglichkeit dieser Kenntnis bei jedermann voraussetzen muss.[613]
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Der Schuldvorwurf der Fahrlässigkeit ist allerdings in den hier fraglichen Fällen nur dann begründet,[614] wenn sich die Unrichtigkeit einer Anweisung (etwa infolge fachlicher Unvertretbarkeit der gewählten Methode oder aufgrund des erkennbaren Fehlens der für die angewiesene Tätigkeit erforderlichen eigenen Qualifikation) der Hilfsperson nach ihren persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten auch ohne besondere Nachprüfung hätte aufdrängen müssen.[615] Sind für den Angewiesenen derartige Anhaltspunkte erkennbar, so besteht für ihn die Pflicht zu gefahrvermeidendem Innehalten und zur Rückfrage (Remonstration).[616] Unterlässt er dies, kann er sich anschließend nicht darauf berufen, seine (unterbliebene) Remonstration wäre erfolglos geblieben, weil der Anweisende seine fehlerhafte Anweisung wiederholt hätte.[617] Sollte der Anweisende seine fehlerhafte Weisung wiederholen, so muss vom Angewiesenen trotz des auch im unterschiedlichen Fachkenntnisstand wurzelnden hierarchischen Gefälles verlangt werden, dass er eine Anweisung jedenfalls dann nicht erfüllt, wenn dies bei einer Weisung, deren Fehlerhaftigkeit dem Delegaten sicher bekannt ist oder die zumindest offensichtlich fehlerhaft war,[618] erkennbar mit einer erheblichen Gesundheits- oder gar Lebensgefährdung des Patienten verbunden wäre.
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Zusätzlich trifft den Angewiesenen die Pflicht, die ihm übertragene Aufgabe fachgerecht durchzuführen. Zweifelt er an seinen eigenen Fähigkeiten hierzu, so hat er ggf. die Umsetzung der Weisung abzulehnen.[619]
6. Verantwortlichkeit von Leitungszuständigen (Organisationsfehler)
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Unterläuft dem behandelnden Arzt ein Behandlungsfehler, so kann dies neben seiner persönlichen Strafbarkeit zusätzlich eine Bestrafung der für die Organisation des Krankenhausbetriebs (oder derjenigen einer sonstigen Organisation zur Erbringung ärztlicher Leistungen) Verantwortlichen[620] auslösen. Da die Leitungspersonen stets die Letztverantwortung für die ordnungsgemäße Organisation des Krankenhausbetriebes trifft, wurden diese Organisationspflichten von der Zivilrechtsprechung – sicherlich auch zur Schließung als unbillig empfundener Haftungslücken – immer weiter ausgedehnt, so dass in der Literatur inzwischen schon von einem „catch-all“-Instrument gesprochen wird.[621] Es geht hierbei um Pflichten des für die Organisation der Patientenbehandlung Verantwortlichen, deren Verletzung eine Sorgfaltspflichtverletzung i.S.d. §§ 222, 229 StGB begründet.[622] Auch die Gesetzesbegründung zu § 630a Abs. 2 BGB[623] begreift die Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der Krankenbehandlung als Teil des medizinischen Standards. Insgesamt liegt diesen Pflichten die Überlegung zu Grunde, dass die Krankenbehandlung so zu organisieren ist, dass eine sachgemäße und für den Patienten gefahrlose Behandlung gewährleistet ist.[624] Diagnostik, Therapie und Nachbehandlung müssen in einer Form organisiert sein, dass jede vermeidbare Gefährdung der Patienten ausgeschlossen ist.[625] Als strafbarkeitsbegründender Organisationsfehler kann sowohl das Fehlen gebotener organisatorischer Maßnahmen als auch eine fehlerhafte (oder gar fehlende) Organisation angesehen werden.[626] Die Schaffung gefährlicher Strukturen genügt für eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit, sofern dieser Mangel eine Patientenschädigung zurechenbar verursacht hat.[627] Die in diesem Zusammenhang für zivilrechtliche Ersatzansprüche im Falle von Verkehrspflichtverletzungen praktizierte Umkehr der Beweislast für die Pflichtverletzung (sofern sich ein sog. voll beherrschbares Risiko i.S.v. § 630h Abs. 1 BGB realisiert hat[628]) kann für das Strafverfahren allerdings keine Rolle spielen.
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Mit Katzenmeier[629] und Quaas[630] sind insoweit am Beispiel der Krankenhaus-Organisation folgende Pflichten der Leitungszuständigen zu unterscheiden:[631] Die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im Krankenhaus müssen durch Einsatzpläne und Vertreterregelungen deutlich abgegrenzt[632] und insbesondere Sonntags-, Nacht- und Bereitschaftsdienste gesichert sein.[633] Das Personal muss sorgfältig ausgewählt, angelernt[634] und überwacht werden.[635] In jeder Behandlungsphase muss ein qualifizierter Arzt bereitstehen, um die notwendigen Anweisungen zu geben und ihre Ausführung zu kontrollieren.[636] Der Facharztstandard muss personell[637] und apparativ[638] gesichert sein.[639] Die Patientensicherheit ist durch hinreichende Hygiene[640] sowie die Funktionsfähigkeit aller medizinischen Geräte zu gewährleisten.[641] Zusätzlich ist dem Schutzbedürfnis besonders gefährdeter Personen Rechnung zu tragen (insbesondere bei suizid-[642] oder sonst verletzungsgefährdeten[643] Personen). Nachfolgend sollen stellvertretend die Problembereiche der sog. Anfängeroperation sowie des Bereitschaftsdienstes betrachtet werden.
a) Anfängeroperation[644]
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Eine sachgerechte fachärztliche Ausbildung verlangt, dass auch einem Assistenzarzt, der sich erst in entsprechender Ausbildung befindet, die Durchführung einer Operation übertragen wird: Neben dem Lernen von Theorie ist praktischer Dienst unerlässlich, der das Einüben berufserforderlicher Tätigkeiten ermöglicht. Andererseits verbieten es die Sicherheitsinteressen der betroffenen Patienten, sie durch eine Nicht-Facharzt-Behandlung einem zusätzlichen Risiko auszusetzen.[645] Der 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs[646] hat anerkannt, dass ein Nachwuchsarzt langsam und schrittweise in das operative Geschehen einzuführen ist; er darf hierbei aber „nur unter unmittelbarer Aufsicht eines erfahrenen Chirurgen eingesetzt werden (…), der jeden Operationsschritt beobachtend verfolgt und jederzeit korrigierend einzugreifen vermag. Immer muß nämlich der Standard eines erfahrenen Chirurgen gewährleistet sein (…). Aus diesem Grunde muß immer ein Facharzt dem Berufsanfänger bei chirurgischen Eingriffen assistieren. Nur ein Facharzt kann die Gewähr übernehmen, daß der in der Ausbildung befindliche Arzt richtig angeleitet und überwacht wird, und nur er hat die erforderliche Autorität gegenüber einem Berufsanfänger, um erforderlichenfalls eingreifen zu können.“ Die Überwachung muss mithin durch einen besonders befähigten Operateur erfolgen,[647] der in der Lage ist, überraschenden Fehlleistungen des Berufsanfängers sofort gegenzusteuern.[648] Hierbei muss die ständige Eingriffsbereitschaft und Eingriffsfähigkeit des aufsichtsführenden Facharztes gewährleistet sein;[649] hierfür kann im Einzelfall auch eine Überwachung von einem angrenzenden Monitorraum aus genügen.[650] Die Zivilrechtsprechung[651] besteht insoweit auf einem formell qualifizierten Facharzt, da nur er die erforderliche Autorität gegenüber einem Berufsanfänger habe, um erforderlichenfalls eingreifen zu können.[652] Im Übrigen muss der auszubildende Arzt vorher auf seine Zuverlässigkeit