Unternehmenskaufvertrag. Christoph Louven
der Verkäufer (in typischer Weise im Bieterverfahren50) eine starke Verhandlungsposition und der Kaufinteressent ein möglichst kompetitives (wenngleich seine Interessen möglichst weitgehend wahrendes) Angebot abzugeben hat.
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Möchte der Verkäufer sein Unternehmen mit „wirtschaftlicher“ Rückwirkung auf den Beginn des laufenden Geschäftsjahres verkaufen, wird er bestrebt sein,
– einen Festkaufpreis zu vereinbaren („Locked Box“-Kaufpreisklausel), der auf dem Jahresabschluss des letzten abgeschlossenen Geschäftsjahres basiert,
– jede Form einer Kaufpreisanpassung abzulehnen, die Gewinne des laufenden Geschäftsjahres (und ggf. nicht ausgeschüttete Gewinne vergangener Geschäftsjahre) dem Käufer zuzuweisen (Klausel zur Gewinnabgrenzung),
– mit Ausnahme etwaiger behördlicher Freigaben weitere Vollzugsvoraussetzungen abzulehnen,
– Garantieversprechen nur auf den Zeitpunkt der Unterzeichnung (nachfolgend synonym „Signing“) abzugeben (Garantien),
– bei den Freistellungen, insbesondere der Steuerfreistellung, die zeitliche Abgrenzung auf den letzten Bilanzstichtag vorzunehmen (Freistellungen),
– dem Käufer umgekehrt typischerweise zu garantieren, dass es seit dem letzten Bilanzstichtag keine Wertabflüsse bei der Zielgesellschaft gegeben hat („No Leakages“-Klausel),
– dass er das Geschäft der Zielgesellschaft seit dem letzten Bilanzstichtag im gewöhnlichen Geschäftsgang betrieben hat (Garantie) und
– dass dies auch bis zum Vollzugstag geschieht (Pre-Closing Covenant).
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Möchte der Käufer das Unternehmen mit „wirtschaftlicher“ Wirkung zum Vollzug erwerben, wird er
– einen variablen Kaufpreis mit Anpassung auf den Vollzugstag (Kaufpreisklausel) aufgrund einer Stichtagsbilanz (Closing Accounts) vereinbaren wollen,
– darauf drängen, dass bestimmte nachteilige Veränderungen zwischen Unterzeichnung und Vollzug ihn berechtigen, nicht vollziehen zu müssen (Closing Conditions) und
– dass die Garantieversprechen (jedenfalls einige von ihnen) auch auf den Zeitpunkt des Vollzugs abgegeben werden,
– die Freistellungen zeitlich auf den Tag des Vollzugs abgrenzen, braucht aber wegen der Kaufpreisanpassung auf den Tag des Vollzugs keinen gesonderten Schutz gegen Wertabflüsse („No Leakages“-Klausel) und kann auch bei den Garantien zum Geschäftsbetrieb seit dem letzten Bilanzstichtag und bei den entsprechenden Pre-Closing Covenants großzügiger sein.
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Auf all diese Punkte wird noch im Detail einzugehen sein. Hier sollen ihre Aufzählung und die etwas penetranten Klammerzusätze, die den Regelungsort ansprechen, vor allem deutlich machen, dass man bestimmte Regelungsziele selten durch punktuelle Anpassungen in einem Unternehmenskaufvertrag erreicht, sondern regelmäßig viele ineinandergreifende Klauseln entsprechend anpassen oder umgestalten muss.
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Der genaue Inhalt eines Unternehmenskaufvertrags hängt immer vom Einzelfall ab. Es gibt qualitative Marktstandards, nie aber inhaltliche Marktstandards. In der Tendenz wird man vergröbernd sagen können: Je größer das Transaktionsvolumen, desto länger der Vertrag, desto detaillierter und ausdifferenzierter seine einzelnen Regelungen. Share Deals erfordern größere Sorgfalt bei der Abfassung und Verhandlung des Garantiekatalogs und der sonstigen Beschreibung des Kaufgegenstandes. Beim Asset Deal liegt der Schwerpunkt bei der regelmäßig detailliert geregelten dinglichen Übertragung der Vermögensgegenstände51 und der Einbindung Dritter (Vertragsparteien, Behörden, soweit personenbezogene Genehmigungen betroffen sind). Hier reichen oft etwas kürzere Garantiekataloge (jedenfalls dann, wenn bekannte oder unbekannte Verbindlichkeiten nicht übertragen werden). In einem Verkäufermarkt besteht eine Tendenz zu Bieterverfahren. Bei Bieterverfahren besteht eine Tendenz zu verkäuferfreundlichen Regelungen. Bei einem Käufermarkt kehrt sich die Tendenz um. Immer wieder gibt es begründete Ausnahmen von diesen Tendenzen. Denn auch insoweit gilt immer noch das, was Quack bereits Anfang der 80er Jahre zu Recht für die Ermittlung des Unternehmenswerts festgestellt hat, auch für den Inhalt des Vertrags im Übrigen:
Letztlich ergibt er sich aus dem „Verhandlungspoker“ der Beteiligten, wobei deren Vorstellungen selten identisch sind.52
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Selbst bei rein innerdeutschen Transaktionen werden die Unternehmenskaufverträge regelmäßig in englischer Sprache verfasst, sofern der Erwerb fremdfinanziert wird und die Höhe des Akquisitionsdarlehens es erforderlich macht, das Darlehen bei internationalen Banken (die den Kaufvertrag in englischer Vertragssprache prüfen können wollen) zu syndizieren.
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Abhängig von der jeweiligen Transaktion kann es geboten sein, den Erwerbszweck angemessen in der Vertragsdokumentation zu berücksichtigen. Es macht auch für den Inhalt des Vertrags einen Unterschied, ob der Käufer externes Wachstum anstrebt oder eine „Marktbereinigung“ plant, ob er an der Ertragskraft oder der Substanz (oder einem bestimmten Vermögensgegenstand der Zielgesellschaft) interessiert ist oder ob er damit den Zugang zu bestimmten Technologien oder Produkten erkauft.
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Ähnliches (angemessene Berücksichtigung in der Vertragsdokumentation) gilt für die wesentlichen Annahmen, auf denen der Kaufpreis basiert. Auch wenn Aussagen hierzu zunächst „nebensächlich“ erscheinen, können sie bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen sowohl aus dem Vertrag als auch wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten durchschlagende Relevanz erlangen.
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Jeder Unternehmenskauf ist Chancen- und Risikokauf. Die vertragliche Absicherung der Umstände, aus denen die Chancen erwachsen können, und die Vorsorge vor den vernünftigerweise erkennbaren Risiken ist Aufgabe des vertragsgestaltenden Juristen.
12 Der hier gewählte Begriff der „Anteile“ erfasst solche aller Rechtsformen, schließt also insbesondere Geschäftsanteile und Aktien ein. 13 Vgl. Engelhardt/von Woedtke, in: Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 6. 14 Der heute etwas gewunden anmutende Begriff „Umstände“ verweist in Anlehnung an RG, Urt. v. 16.1.1943 – VII (VIII) 139/42, RGZ 170, 292, 298 auf den in der Sache durchaus zutreffenden Befund, dass „das Unternehmen selbst ... eine Organisation [ist], durch welche körperliche Sachen und Rechte, aber auch Umstände, die weder körperliche Sachen noch Rechte sind, z.B. Lage, Beruf, Kenntnis der Bezugsquellen usw., einem wirtschaftlichen Zweck dienstbar gemacht werden.“ Ähnlich auch Böckmann, in: Mehrbrey, Handbuch Streitigkeiten beim Unternehmenskauf, § 12 Rn. 35. 15 Vgl. Weber-Grellet, in: Schmidt, EstG, § 5 Rn. 93f., und Maier, in: Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, „Wirtschaftsgut“, Rn. 1: Für die Bestimmung des Begriffs „Wirtschaftsgüter“ sind eher wirtschaftliche als zivilrechtliche Gesichtspunkte maßgeblich. Auch bloße „tatsächliche Zustände“, „konkrete Möglichkeiten“, „Chancen“ und „sonstige Vorteile“ können darunter fallen, wenn (1) sich der Kaufmann diese etwas kosten lässt, (2) sie nach der Verkehrsauffassung einer selbständigen Bewertung zugänglich sind und (3) in der Regel einen Nutzen für mehrere Wirtschaftsgüter erbringen. Handelsrechtliches Synonym sind die „Vermögensgegenstände“. Auch dem Zivilrecht ist der Begriff „Vermögensgegenstände“ näher (vgl. etwa § 90 BGB und die Definition des „Gegenstandes“ als Sachen und Rechte). Er sollte deshalb bei der Gestaltung von Unternehmenskaufverträgen verwendet werden. Hier wird nachfolgend im Kontext des Asset Deals immer wieder auch auf „Wirtschaftsgüter“ oder „Einzelwirtschaftsgüter“ abgestellt, um die Weite des Kaufgegenstands bei einem typischen Asset Deal deutlich