Praxis des Bußgeldverfahrens im Kapitalmarktrecht. André-M. Szesny
oder dessen Mitarbeiter richten, als Verteidiger aufzutreten. Der Verstoß gegen das Berufsrecht ist indes strafprozessual folgenlos. Weder berechtigt der Verstoß gegen § 46c Abs. 2 S. 2 BRAO die BaFin zu einer Zurückweisung gem. § 146a StPO, noch hat dieser Auswirkung auf die Wirksamkeit von Verteidigerhandlungen.[98]
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Keine Syndikusanwälte sind Justiziare oder Mitarbeiter von Rechtsabteilungen. Sie besitzen keine Rechtsanwaltszulassung. Sie können zwar im Auftrag der Nebenbeteiligten für diese mit der BaFin Gespräche über das Bußgeldverfahren führen, haben aber nicht die prozessuale Stellung eines Verteidigers inne (und damit z.B. kein eigenständiges Akteneinsichtsrecht).
b) Gründe notwendiger Verteidigung
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Gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Im Kapitalmarktordnungswidrigkeitenrecht dürften die Bestellungsgründe der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge und die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage in Betracht kommen.[99]
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Die Höhe der zu erwartenden Geldbuße kann die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge begründen. Gegen die Erforderlichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung in dieser Fallgestaltung soll jedoch sprechen, wenn der Betroffene in guten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt und zudem lebenserfahren, umsichtig, geschäftsgewandt und in der Lage ist, seine Interessen mit Nachdruck zu vertreten.[100]
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Die Rechtslage ist schwierig, wenn es bei der Anwendung des materiellen oder formellen Rechts auf die Entscheidung nicht ausgetragener Rechtsfragen ankommt, oder wenn die Subsumtion aus sonstigen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen Schwierigkeiten bereiten wird.[101] Dies wird etwa angenommen, wenn ein Beweisverwertungsverbot in Betracht kommt.[102]
c) Bestellung eines notwendigen Verteidigers
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Liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor, hat die BaFin dem Betroffenen einen Pflichtverteidiger für das Bußgeldverfahren von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestellen, § 60 OWiG.[103] Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 OWiG allein ist dafür nicht ausreichend; die Bestellung muss gem. § 60 OWiG zusätzlich geboten sein.[104]
Das insoweit eingeräumte Ermessen ist auf Null reduziert, wenn der Betroffene die Bestellung eines Pflichtverteidigers wünscht. Denn die Bestellung eines Pflichtverteidigers hat nach der Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung[105] unverzüglich im Ermittlungsverfahren zu erfolgen, sobald der Betroffene dies ausdrücklich beantragt, § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO.
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Stellt der Betroffenen den Antrag nicht, hat die BaFin ihr eingeräumtes Ermessen pflichtgemäß auszuüben. Dabei sind beispielsweise die Verteidigungsfähigkeit des Betroffenen, die Bedeutung der Sache[106] sowie der Umstand zu würdigen, dass der Betroffene – sofern er im Bußgeldverfahren überobligatorisch darauf hingewiesen worden ist – selbst keinen Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung gestellt hat.
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Bei der Auswahl des Verteidigers ist im Grundsatz der Wunsch des Betroffenen zu berücksichtigen, § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 142 Abs. 5 S. 2 StPO.
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Die Bestellung wirkt nur für das Bußgeldverfahren vor der BaFin, nicht auch für das gerichtliche Bußgeldverfahren.[107] Ist der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden, erlischt die Pflichtverteidigerbestellung. Sie wirkt nicht in das verwaltungsrechtliche Vollstreckungsverfahren fort.[108]
3. Zurückweisung eines Verteidigers
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Gemäß § 60 OWiG i.V.m. § 121 WpHG entscheidet die BaFin über die Zurückweisung eines Verteidigers (Wahl- und Pflichtverteidiger).
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Der Verteidiger darf zur Vermeidung von Interessenkollisionen weder gleichzeitig mehrere Betroffene derselben (prozessualen) Tat noch mehrere Betroffene unterschiedlicher (prozessualer) Taten in demselben Bußgeldverfahren verteidigen (Verbot der Doppel- und Mehrfachverteidigung, § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 146 StPO).
Beispiel
Hat ein Rechtsanwalt die Verteidigung von zwei Betroffenen einer Ordnungswidrigkeit in demselben Bußgeldverfahren übernommen, ist zu differenzieren. Bei gleichzeitiger Beauftragung des Verteidigers durch mehrere Betroffene ist der Verteidiger insgesamt zurückzuweisen. Bei nicht gleichzeitiger, sukzessiver Beauftragung ist der Verteidiger lediglich hinsichtlich der später übernommenen Verteidigung zurückzuweisen, die zuerst übernommene Verteidigung bleibt zulässig.
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Weiter dürfen sich aus Gründen der Verfahrensvereinfachung für denselben Betroffenen nicht mehr als drei Verteidiger bestellen, § 137 Abs. 1 S. 2 StPO.[109] Wird dagegen verstoßen, ist der (Wahl-)Verteidiger gem. § 146a Abs. 1 S. 1 StPO von der BaFin durch Bescheid zwingend zurückzuweisen.
Beispiel
Für den Betroffenen legitimiert sich eine auf das Kapitalmarktrecht spezialisierte Anwaltssozietät zur Akte. Nach der Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen[110] ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Mandatsübernahme durch einen einer Anwaltssozietät angehörenden Rechtsanwalt auch seine Sozien verpflichtet.[111] Diese Rechtsprechung steht dann nicht im Konflikt mit der strafprozessualen Regelung des § 137 Abs. 1 S. 2 StPO, solange in der Kanzlei nicht mehr als drei Rechtsanwälte tätig sind. In diesem Fall können alle in der Vollmacht benannten Rechtsanwälte als beauftragte Verteidiger desselben Betroffenen angesehen werden.[112] Die förmliche Zurückweisung eines Verteidigers durch die BaFin allein aufgrund einer auf die Gesamtkanzlei/-sozietät ausgestellten Verteidigervollmacht scheidet daher jedenfalls solange aus, wie rein tatsächlich nicht mehr als drei Verteidiger für den Betroffenen tätig geworden sind.[113] Sind hingegen mehr als drei Rechtsanwälte auf dem Briefkopf der Kanzlei aufgeführt, ist bei der bevollmächtigten Sozietät durch behördliches Anschreiben unter Hinweis auf die Rechtsfolge des § 137 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 146a Abs. 1 S. 1 StPO zu ermitteln, welcher Rechtsanwalt die Verteidigung des Betroffenen übernommen hat. Wird die Unklarheit seitens der Bevollmächtigten nicht beseitigt, ist „die Sozietät“ bzw. sind alle unter der Kanzlei benannten Rechtsanwälte als Verteidiger gem. § 60 S. 2 OWiG zurückzuweisen.
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Wegen des Gleichlaufs der Interessen soll es im Bußgeldverfahren zulässig sein, wenn der Verteidiger im einheitlichen Verfahren sowohl den persönlich Betroffenen als auch die nebenbeteiligte juristische Person oder Personenvereinigung i.S.d. § 30 OWiG gemeinschaftlich verteidigt.[114] Das soll jedenfalls dann gelten, wenn sich die bußgeldrechtliche Ahndung der Gesellschaft – wie bei § 30 OWiG – von der dem Betroffenen vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit ableitet. Ausgeschlossen ist ein Verteidiger demgegenüber von der Vertretung mehrerer Nebenbeteiligter dann, wenn diese Teil eines Konzernverbunds sind. Werden etwa wegen Verstößen gegen die Stimmrechtsmeldepflichten (§§ 33 ff. WpHG) Bußgeldverfahren gegen mehrere Konzernunternehmen eingeleitet, ist für jede Gesellschaft ein eigener Verteidiger zu bestellen.