Praxis des Bußgeldverfahrens im Kapitalmarktrecht. André-M. Szesny
Gesellschaft“.[67] In prozessualer Hinsicht ist die fehlerhafte Bezeichnung folgenlos: Nach OLG Hamm führt die terminologisch ungenaue Bezeichnung der juristischen Person als „Betroffene“ nicht zur Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids.[68]
Dass juristische Personen und Personenvereinigungen im Gesetz als Nebenbeteiligte bezeichnet werden (vgl. § 66 Abs. 1 N. 1 2. Var. OWiG), liegt zum einen daran, dass Unternehmen nach bisherigem Verständnis nicht Täter oder Teilnehmer von Ordnungswidrigkeiten sein können. Zum anderen dürfte dies mit der Grundannahme des Gesetzgebers zusammenhängen, nach der die Verbandsgeldbuße in der Regel im einheitlichen Verfahren verhängt werden soll, in dem Unternehmen lediglich (neben-)beteiligt (vgl. § 444 Abs. 1 StPO; § 470 StPO) werden.[69]
44
In der Bußgeldpraxis der BaFin hat sich indes die gegenteilige Übung herausgebildet. Das ihr eingeräumte Entschließungs- und Auswahlermessen übt sie dahin aus, vorrangig das selbstständige Verfahren zu betreiben und Ermittlungen gegen das Leitungsorgan entweder schon nicht einzuleiten oder einzustellen.[70] Erwägungsgründe der BaFin dafür sind, dass sich die kapitalmarktrechtlichen Handlungsgebote ohnehin primär an die Gesellschaften als Verpflichtete richteten.[71] Auch habe der Gesetzgeber das Höchstmaß der Bußgeldandrohung im Kontext der Ad-hoc-Publizität vorrangig an vermögenden Normadressaten ausgerichtet, zu denen börsennotierte Gesellschaften regelmäßig gehörten.[72]
45
Das einheitliche Verfahren und damit die Verfolgung auch der Leitungsorgane der Gesellschaft wählt die BaFin nur ausnahmsweise.[73] Die Ahndung handelnder Personen soll etwa dann opportun sein, wenn sie Pflichten wiederholt oder vorsätzlich verletzt haben oder wenn die Taten einen erheblichen Unrechtsgehalt aufweisen, das über das Ausmaß gewöhnlicher Regelverstöße hinausgeht.[74]
3. Einleitungsvermerk
46
Das Ermittlungsverfahren wird durch einen förmlichen Einleitungsvermerk eingeleitet.[75] Dieser hat lediglich deklaratorische Bedeutung.[76] Anders als im Steuerstraf- und ordnungswidrigkeitenrecht (vgl. § 410 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 397 Abs. 2 AO) ist der förmliche Einleitungsvermerk im Kapitalmarktordnungswidrigkeitenrecht nicht gesetzlich vorgeschrieben.
4. Keine Pflicht zur Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung
47
Die BaFin trifft keine Pflicht, den Betroffenen über die Einleitung des Ermittlungsverfahrens in Kenntnis zu setzen. Aus behördlicher Sicht hat die (frühzeitige) Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung den Vorteil, dass mit ihr die Verfolgungsverjährung der zu ermittelnden Ordnungswidrigkeit gem. § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG unterbrochen wird.[77] Deshalb wird in der Regel mit dem Einleitungsvermerk zugleich die Anhörung des Betroffenen verfügt.[78] Demgegenüber verbietet sich die Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung aus ermittlungstaktischen Gründen, wenn die Vornahme offener, aber unangekündigter Ermittlungsmaßnahmen (z.B. Durchsuchung von Geschäftsräumen) zu weiterem Erkenntnisgewinn führen könnten.
II. Einzelne Verfahrenshandlungen
48
Im Vor- bzw. Ermittlungsverfahren ermittelt die BaFin eigenständig den bußgeldrelevanten Sachverhalt. Soweit nichts anderes bestimmt ist, hat sie dieselben Eingriffsbefugnisse wie die Staatsanwaltschaft, § 46 Abs. 2 OWiG.
49
Die BaFin kann sich bei ihrer Ermittlung gem. § 53 Abs. 1 OWiG durch die Polizei unterstützen lassen. Zweckmäßig ist dies bei Durchsuchungen von Wohn- oder Geschäftsräumen (§§ 102 ff. StPO) oder – fernab von EMA-Anfragen – in Fällen der Überprüfung von Geschäftsadressen betroffener Unternehmen und ihrer Tochtergesellschaften. Sonstige Ermittlungshandlungen (z.B. die Einholung von Registerauszügen, Beauftragung von Sachverständigen) erfolgen durch die zuständigen Mitarbeiter des Bußgeldreferats der BaFin in eigener Zuständigkeit. Insbesondere die Vernehmung von Zeugen wird durch die Fallbearbeiter der BaFin vorgenommen, die wegen ihrer Sachkunde im Bereich des Kapitalmarktrechts eine sachgerechte Vernehmung sicherstellen können.
1. Anhörung des Betroffenen
50
Bevor der Bußgeldbescheid erlassen werden darf, soll dem Betroffenen Gelegenheit gegeben werden, sich zu den Beschuldigungen zu äußern, § 55 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 163a Abs. 1 StPO. Anders als im Strafverfahren (vgl. § 163a Abs. 1 StPO) ist es in dem auf beschleunigte Abwicklung ausgerichteten Bußgeldverfahren nicht notwendig, dass der Betroffene stets förmlich vernommen wird.[79] Vielmehr genügt es, dem Betroffenen durch Übersendung eines Anhörungsbogens die Gelegenheit zur schriftlichen Äußerungen zu geben.[80] Die Anhörung ist entbehrlich, wenn das Verfahren eingestellt wird (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 163a Abs. 1 S. 1 StPO) oder der Betroffene lediglich verwarnt werden soll.[81] Die Verwarnung gem. § 56 OWiG scheidet im Kapitalmarktordnungswidrigkeitenrecht aber faktisch aus.[82]
51
Die BaFin wird die Anhörung des Betroffenen bzw. der Nebenbeteiligten in der Regel schriftlich zu Beginn des Ermittlungsverfahrens zeitgleich mit Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung vornehmen.[83]
a) Hinweise (Tatvorwurf und Bußgeldvorschrift)
52
Im Anhörungsschreiben muss die BaFin dem Betroffenen gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 163a Abs. 3 S. 2, 136 Abs. 1 S. 1 StPO eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird und welche Bußgeldvorschrift in Betracht kommt. Der verdachtsbegründende Sachverhalt und die bußgeldrechtliche Würdigung sollten getrennt dargestellt werden. Empfehlenswert ist es, bei der Vielzahl der Blankettordnungswidrigkeiten neben der Sanktionsvorschrift zusätzlich auch die Ge- bzw. Verbotsvorschrift im Anhörungsschreiben zu zitieren (z.B. §§ 120 Abs. 12 Nr. 1 lit. e i.V.m. § 107 Abs. 5 S. 1 WpHG).[84]
b) Belehrungspflichten
53
Die BaFin hat unterschiedliche Belehrungspflichten zu beachten.
aa) Belehrung über das Schweigerecht
54
Vor der Anhörung muss der Betroffene über sein Schweigerecht gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 163a Abs. 3 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO belehrt werden. Es ist ausreichend, die Belehrung im Anhörungsschreiben schriftlich vorzunehmen. Die unterlassene Belehrung führt in der Regel zur Unverwertbarkeit der auf die schriftliche Anhörung hin erfolgten Äußerungen des Betroffenen, es sei denn, er kannte sein Schweigerecht, etwa weil gegen ihn schon zuvor Bußgeldverfahren geführt worden sind.[85]
bb) Belehrung über das Recht auf einen Verteidiger
55
Der Betroffene hat das Recht auf jederzeitige Verteidigerkonsultation, § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 137 Abs. 1 StPO. Auf dieses Recht ist der Betroffene – entgegen § 55 Abs. 2 OWiG – von der BaFin im Bußgeldverfahren hinzuweisen.[86]
56
Seit der Einführung des Gesetzes zur