Praxis des Bußgeldverfahrens im Kapitalmarktrecht. André-M. Szesny

Praxis des Bußgeldverfahrens im Kapitalmarktrecht - André-M. Szesny


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Bußgeldbescheid muss die Tat, die Tatzeit (§ 6 OWiG) und der Tatort (§ 7 OWiG) angegeben werden. Die BaFin ist gehalten den Lebenssachverhalt – im Indikativ – darzustellen, den sie für erwiesen hält.[265] Sämtliche Merkmale des gesetzlichen Tatbestands der Ordnungswidrigkeit müssen vollständig mit Tatsachen „unterfüttert“ bzw. konkretisiert werden. Dieses sog. Konkretum ist das „tatsachenbasierte Spiegelbild“ der gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit, die üblicherweise im Anschluss im Bußgeldbescheid dargestellt werden.[266] Auch die Vorwerfbarkeitsformen etwa des Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit werden konkretisiert.

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      Formulierungsbeispiel (Vorsatz)[267]: Der Betroffene in seiner Funktion als Alleinvorstand der N-AG veröffentlichte wissentlich den Halbjahresfinanzbericht der N-AG nicht spätestens bis zum 30.9.2020, obgleich er hierzu verpflichtet war. Stattdessen veranlasste er die Veröffentlichung erst zum 25.10.2020.

      Die Nebenbeteiligte N-AG ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in München, deren Aktien im Nennwert von 50 € am regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse zum Handel zugelassen sind. Deren Geschäftsjahr entspricht dem Kalenderjahr.

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      Formulierungsbeispiel (Leichtfertigkeit):[268] Der für die Veröffentlichung von Stimmrechtsmitteilungen zuständige Finanzvorstand Müller der N-AG übersah die am 6.6.2021 per Fax eingegangene Stimmrechtsmitteilung der Investment-GmbH, obwohl er für die Überwachung von Faxeingängen zuständig war und es sich ihm hätte aufdrängen können und müssen, dass jederzeit Stimmrechtsmitteilungen per Fax eingehen könnten. In der Folge wurde die Stimmrechtsmitteilung nicht spätestens innerhalb von drei Handelstagen nach dem 6.6.2021 veröffentlicht. Stattdessen nahm er die Stimmrechtsmitteilung erst am 20.6.2021 zur Kenntnis und veranlasste die Veröffentlichung zum 21.6.2021. […]

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      Wegen der Informationsfunktion des Bußgeldbescheids sollte die Bezeichnung der Tat keine unnötigen Informationen enthalten. Es ist nicht Aufgabe des Betroffenen (oder der Nebenbeteiligten), sich aus der Fülle von Sachinformationen jene Tatsachen heraussuchen zu müssen, die den an ihn gerichteten Vorwurf erst begründen. Es sollten daher nur die Tatsachen – keine Rechtsbegriffe wie z.B. „Insiderinformation“ – bezeichnet werden, welche die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit ausfüllen. Diese Darstellungsweise ist auch deshalb von Bedeutung, weil der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid in der Hauptverhandlung grundsätzlich[269] nur den „Anklagesatz“ des Bußgeldbescheids verlesen darf (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 243 Abs. 3 S. 1 StPO). Der Anklagesatz umfasst jedoch lediglich die Bezeichnung der Tat, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit sowie die anzuwendenden Vorschriften.[270] Die Beweiswürdigung bzw. die Begründung des Bußgeldbescheids sind demgegenüber nicht Gegenstand der Verlesung.[271] Dieser Grundsatz würde umgangen werden, wenn das Konkretum aus Elementen „versteckter Beweiswürdigungen“ bestünde.

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      Im einheitlichen bzw. selbstständigen Verfahren müssen neben der Ordnungswidrigkeit zusätzlich die tatsächlichen Umstände benannt werden, die die Rechtsfolge des § 30 OWiG ggf. i.V.m. § 130 OWiG auslösen. Bezogen auf die Aufsichtspflichtverletzung des § 130 OWiG ist es zur Konkretisierung ausreichend, wenn die in dem Unternehmen begangenen Zuwiderhandlungen, auf die sich der Vorwurf der Aufsichtspflichtverletzung bezieht, näher festgelegt werden. Die weiteren Angaben, welche Maßnahmen der Betroffene zur Erfüllung der Aufsichtspflicht hätte ergreifen müssen und unterlassen hat, sind für die Konkretisierung des Tatgeschehens nach der Rechtsprechung des OLG Frankfurt nicht erforderlich.[272]

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      Formulierungsbeispiel (§§ 30, 130 OWiG)

      Die Nebenbeteiligte ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Düsseldorf, deren Aktien im Jahr 2019 mit einem Nennwert von 50 EUR an der Frankfurter Wertpapierbörse zum Handel am regulierten Markt zugelassen waren.

      Der in der Investor Relations Abteilung der Nebenbeteiligten beschäftigte Zeuge Müller nahm am Abend des 12. März 2019 ein an die Nebenbeteiligte gerichtetes Telefax der Investor AG entgegen, in dem dieser unter Verwendung des Stimmrechtsmitteilungsformulars entsprechend der Anlage zur WpAV bekanntgab, durch den Erwerb von Aktien der Nebenbeteiligten zum 14. März 2019 12,4 Prozent der Stimmrechte an der Nebenbeteiligten erworben und damit die maßgebliche Stimmrechtsschwelle von 10 Prozent überschritten zu haben. Obwohl der Zeuge Müller den Inhalt des Fax zur Kenntnis nahm, veranlasste er die Veröffentlichung der Mitteilung und deren Übermittlung an das Unternehmensregister erst am Montag, 18. März 2019, und nicht – wozu die Nebenbeteiligte verpflichtet gewesen wäre – am Freitag, den 15. März 2019.

      Obwohl es die Mitglieder des Vorstands der Nebenbeteiligten, die Betroffenen Walter und Meier, hätten erkennen können und müssen, veranlassten sie zuvor nicht die notwendigen Maßnahmen, um die Beachtung der kapitalmarktrechtlichen Veröffentlichungspflichten im Unternehmen dauerhaft sicherzustellen und welche die Begehung des Verstoßes zumindest erschwert hätten.

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      Im selbstständigen Bußgeldbescheid gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung gem. § 30 Abs. 4 OWiG ist zur Konkretisierung als unerlässliche Wirksamkeitsvoraussetzung die Angabe erforderlich, wegen welcher vorwerfbaren Tat ihres Organs die Geldbuße festgesetzt wird.[273] Allerdings soll dabei der Informationsfunktion Genüge getan sein, wenn die Ordnungswidrigkeit des Organs lediglich benannt wird, ohne sie ihrerseits genauer zu konkretisieren.[274]

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      Keinen Platz haben Elemente der verdeckten Beweiswürdigung (Negativbeispiele: „Entsprechend der Auskunft des Verteidigers…“; „ausweislich der übersandten Unterschriftseite…“) bei der Bezeichnung der Tat. Denn wie der Tatvorwurf zu beweisen sein wird, beschreibt nicht die vorgeworfene Tat. Die Beweisführung ist vielmehr Gegenstand der Beweiswürdigung, die – soweit erforderlich – im Rahmen der Begründung des Bußgeldbescheids dargestellt wird.

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      Ausführungen zu Umständen, die die Bußgeldzumessung betreffen (z.B. Nachtatverhalten, späteres Delisting der Gesellschaft etc.), werden ebenfalls in der Begründung des Bußgeldbescheids dargestellt. Erfolgt die Bebußung der Gesellschaft anhand des umsatzbezogenen Höchstbetrages, sind zudem tatsächliche Informationen zur Bestimmung des relevanten Umsatzes in die Begründung aufzunehmen.

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      Im Anschluss werden die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit bezeichnet. Darunter sind die im Gesetz genannten Tatbestandsmerkmale der Ordnungswidrigkeit zu verstehen. Im Grundsatz sollte stets der Wortlaut der jeweiligen Ordnungswidrigkeit wiedergegeben werden. Kann der gesetzliche Tatbestand in mehreren Varianten verwirklicht werden, werden nur die erfüllten Varianten (durch die Konjunktion „und“ verdeutlicht) aufgenommen. Ein „oder“ sollte die Darstellung der gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeiten im Grundsatz nicht enthalten. Denn es bliebe für den Betroffenen unklar, ob er sich beispielsweise gegen den Vorsatz oder Fahrlässigkeitsvorwurf verteidigen muss.

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      Wegen der Informationsfunktion sollten die Vorwerfbarkeitsformen der Leichtfertigkeit bzw. Fahrlässigkeit ausdrücklich im „Tenor“ des Bußgeldbescheids benannt werden. Überflüssig ist dort demgegenüber die Angabe eines vorsätzlichen Verstoßes.[275] Denn gem. § 10 OWiG ist im Grundsatz nur


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