Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band. Hugo Friedländer
mit seinem Kompagnon Fränkel von dem Grafen Grabowski Kunstsachen und Antiquitäten zum Preise von 5950 Mark. 4450 Mark wurden den Käufern bis zum 9. August 1881 kreditiert. Gleich nach geschehenem Kaufabschlusse hielt sich Graf Grabowski für benachteiligt, und als am Fälligkeitstermin Zahlung nicht erfolgte, erhob er gegen Fränkel und Schleinitz Klage. Diese Angelegenheit wurde andeutungsweise im »Unabhängigen« besprochen. Bald darauf ging Grünewald zu dem Grafen Grabowski, welcher in Berlin im Tiergarten-Hotel wohnte. Grünewald verlangte zum Zwecke der Publikation die den Prozeß betreffenden Akten einsehen zu dürfen. Graf Grabowski lehnte dies Ansinnen ab. Es erschien infolgedessen im Briefkasten des »Unabhängigen« folgende Notiz: »Von Zobeltitz hier: Hiermit erklären Ihnen, daß wir von den uns auf Ihre Veranlassung von dem Grafen v. Grabowski gemachten Mitteilungen auf keinen Fall Gebrauch machen werden. Wir erwarten zumal von Edelleuten, daß sie uns gemachte Zusagen (auf Ergänzung des Materials) strikte innehalten. Dagegen werden Ihnen nächstens in unserem Blatte die Geschichte des Herrn S. in Dresden, die Angelegenheit des Graf Esterhazy betreffend, erzählen. Zu Kunststückchen läßt sich der ›Unabhängige‹ nicht gebrauchen.« Ein Exemplar dieser Nummer, in der Grabowski außerdem angegriffen war, sandte v. Schleinitz mit dem Vermerk: »Die schmutzige Geschichte heißt Grabowski contra Scheunert« an die Gräfin Grabowski und stellte in einem der Sendung beigelegten Briefe das Verlangen, ihre Forderung an ihn mit einer Forderung an ihren Ehemann zu kompensieren. »Ich richte diese Anfrage an Sie, um einen Vergleich zu schaffen, da viele unliebsame Erörterungen noch in diesem Prozesse vorkommen werden.« Obwohl nun die unerhörtesten Angriffe und Drohungen gegen Grabowski im »Unabhängigen« erschienen und in den Briefkastennotizen ihm wiederholt angedeutet war, daß er die Sache mit Geld totmachen könne und obwohl v. Schleinitz den Grafen in unerhörtester Weise beleidigte, mit dem Bemerken, wenn er Courage hätte, so würde er ihn längst gefordert haben, so antwortete Graf Grabowski auf alle diese Angriffe nicht mit einer Silbe. Auf Veranlassung seiner Ehefrau zahlte schließlich Graf Grabowski an Moser 600 Mark, wovon M. an Grünewald 500 Mark zahlen sollte. Darauf hörten die Angriffe auf.
Der in der Friedrichstraße 83 wohnende Hoftraiteur Olbrich wußte sich gegen die Angriffe des »Unabhängigen« nur durch Zahlung von 1000 Mark zu retten. Hierbei spielten v. Schleinitz und Sawatzki die Hauptrolle.
Diese und viele ähnliche Erpressungen dauerten ziemlich lange. Die Erpreßten erstatteten schließlich Anzeige. Ende Dezember 1882, wenige Tage vor Weihnachten, wurden Grünewald und seine Kumpane, mit Ausnahme des Freiherrn v. Schleinitz, der rechtzeitig geflüchtet war, von dem Kriminalkommissar, späteren Polizeiinspektor Höft verhaftet. Die Verhafteten waren: 1. Chefredakteur und Verleger Ernst August Wilhelm Grünewald, 2. Kaufmann und Redakteur Josef Moser, 3. Kaufmann und Redakteur Anton Sponholz, 4. Weinreisender Alexander Lodomez, 5. Dr. jur. Werner Vogelsang, 6. Buchhändler Karl Sawatzki.
Am 25. Juni 1883 hatten sich Grünewald und Genossen vor der ersten Strafkammer des Landgerichts Berlin I wegen vollendeter und versuchter Erpressung in zahlreichen Fällen zu verantworten. Im Zuhörerraum des großen, im alten Moabiter Gerichtsgebäude belegenen Schwurgerichtssaales, in dem die aufsehenerregende Verhandlung stattfand, war ganz besonders die Börsenwelt zahlreich vertreten. Den Gerichtshof bildeten Landgerichtsdirektor Bachmann (Vorsitzender), die Landgerichtsräte Wollner, Kandelhardt, Brausewetter und Landrichter Dietz (Beisitzende). Die Anklage vertrat Staatsanwalt Lehmann, die Verteidigung führten: Rechtsanwalt Wronker, Rechtsanwalt Saul, Justizrat Jensitzki und Rechtsanwalt Dr. Sello.
Nach Verlesung des Anklagebeschlusses äußerte auf Befragen des Vors. Angekl. Grünewald: Ich habe in meiner Vaterstadt Dannenberg in Hannover bis zu meinem 15. Jahre die Schule besucht und wurde alsdann Kellner. Ich konditionierte als solcher in Hamburg, Flensburg und Kopenhagen und habe im Jahre 1870 in Flensburg ein Hotel besessen. Ich prosperierte jedoch dort nicht, kam Anfang der 70er Jahre nach Berlin und konditionierte hier wiederum als Kellner. Später, wurde ich Sekretär bei der von Gehlsen herausgegebenen »Reichsglocke«. Den »Unabhängigen« kaufte ich 1880 von Herrn v. Flotow. Meine Redakteure waren Geh. Oberregierungsrat a.D. Dr. Hermann Wagener, Dr. Robolsky und die Angeklagten Moser und Sponholz.
Vors.: Was hatten Sie für Einnahmen?
Grünewald: Der »Unabhängige« hatte etwa 3-500 feste Abonnenten und 2000 bis 2500 Exemplare wurden mittels Straßenverkaufs abgesetzt.
Vors.: Was hatten Sie für Einnahmen?
G.: Etwa 500 Mark monatlich.
Vors.: Was zahlten Sie Ihren Redakteuren?
G.: Die Herren Geh. Rat Wagener und Dr. Robolsky erhielten für die einzelnen Artikel bezahlt. Moser erhielt 150 Mark, Sponholz 120 Mark monatlich.
Vors.: Sie selbst haben wohl nichts geschrieben?
G.: Nein, ich übte bloß die Aufsicht und gab die Idee an.
Vors.: Selbst geschrieben haben Sie nicht?
G.: Nein.
Vors.: Das konnten Sie wohl auch nicht. Wenn Sie nur bis zum 15. Jahre die Schule besucht und alsdann Kellner gelernt haben, da wird Ihnen wohl die Fähigkeit zu selbständig schriftstellerischer Tätigkeit gefehlt haben?
Grünewald schwieg.
Auf Befragen des Vors. äußerte Angekl. Moser: Ich war nicht Redakteur des »Unabhängigen«, sondern bekam bloß zeilenweise bezahlt. Im übrigen waren die Einnahmen G. s bedeutend größer, als er angegeben hat. Grünewald erhielt eine sehr bedeutende Subvention. Als ich bei G. engagiert wurde, sagte ich ihm, ich müsse von meiner schriftstellerischen Tätigkeit leben. G. erwiderte mir: Sie sollen immer prompt Ihr Geld erhalten und wenn nötig, gebe ich Ihnen Vorschuß. Ich hatte auch immer Vorschuß. Ich verstehe nicht, weshalb Herr Grünewald nicht sagt, von wem er die Subvention erhalten hat, er hat doch keine Veranlassung, diese seine Geldquelle zu verschweigen.
Vors.: Wenn Grünewald seine Geldquelle nicht nennen will, so kann ich ihn dazu nicht zwingen. Sie sind gelernter Kaufmann, wie kamen Sie zu schriftstellerischer Tätigkeit?
M.: Das tat ich schon als Gymnasiast.
Vors.: Was schrieben Sie für den »Unabhängigen«?
Moser: Ganz besonders Artikel, die Tagesfragen betrafen.
Vors.: Können Sie mir nicht einige Artikel namhaft machen?
M.: Z.B. über die »Sternbergschen Gründungen«.
Vors.: Das nennen Sie Tagesfragen?
M.: Jawohl.
Vors.: Was gingen Sie denn die Sternbergschen Gründungen an? Wer reinfallen will, mag es doch tun?
Moser: Es ist doch Pflicht der Presse, das Publikum gegen unreelle Gründungen zu warnen.
Vors.: Es darf bloß keine Erpressung damit verbunden sein.
Moser: Das ist richtig; ich bin auch sofort sehr energisch aufgetreten, als ich wahrnahm, es handle sich um eine Erpressung.
Vors.: Sind sonst Erpressungen vorgekommen?
Moser: Mir schien es einmal so.
Der Angeklagte Sponholz äußerte auf Befragen des Vorsitzenden: Ich habe das Gymnasium bis zur Quarta besucht und alsdann Privatunterricht erhalten. Ich habe darauf in einem Spezereiwarengeschäft die Handlung erlernt. Ich war auch im Redaktionsbureau des »Unabhängigen« lediglich Buchhalter, Korrespondent und Korrektor. Ich habe nur ein einziges Mal einen Artikel mit dem Titel: »Die sozialpolitischen Vorlagen des Reichstages« geschrieben.
Vors.: Auf Ihren Visitenkarten stand: Anton Sponholz, Redakteur des »Unabhängigen«.
Angekl.: Die Karten habe ich mir auf Veranlassung Grünewalds drucken lassen, um mich auf der Börse besser einführen zu können. Ich besuchte die Börse zwecks Erlangung von Inseraten.
Angekl. Lodomez: Ich habe 21 Jahre lang kaufmännische Geschäfte betrieben