Pitaval des Kaiserreichs, 2. Band. Hugo Friedländer
Staatsanwalt: Kreuzverhör? Ich kenne kein Kreuzverhör, in der ganzen Strafprozeßordnung kommt das Wort nicht vor.
Rechtsanwalt Sonnenfeld: Aber doch in der Wissenschaft kennt man es.
Vors.: In der Wissenschaft allerdings.
Staatsanwalt: Ich lehne es ab. Unter allgemeiner Spannung wurde hierauf Redakteur Zimmer, Bürgermeister und Amtsanwalt a.D., in den Saal gerufen. Der Vorsitzende ließ sich das Exposé geben und übernahm die Vernehmung des Zeugen selbst.
Vors.: Erinnern Sie sich, während des Speisigerprozesses bei Rechtsanwalt Appelbaum gewesen zu sein?
Zimmer: Ja.
Vors.: Was veranlaßte Sie dazu?
Zimmer: Ich glaube, der jüdische Handelsmann Gerber sagte mir, ich möchte doch einmal hingehen.
Vors.: Wie kam Gerber dazu, Sie verfolgen doch antisemitische Interessen?
Zimmer: Ich nahm an, daß ich für die Gegenpartei arbeiten sollte.
Vors.: War das vor dem Speisigerprozeß?
Zimmer: Ich kann mich nicht erinnern.
Vors.: Sagten Sie Herrn Appelbaum, daß Sie im Auftrage Gerbers kommen?
Zimmer: Es ist möglich, ich weiß es nicht mehr.
Vors.: Wenn Sie sagten, Sie kämen auf dessen Veranlassung, konnten Sie doch abwarten, daß Ihnen Vorschläge gemacht werden, andernfalls mußten Sie sie machen. Haben Sie nun selbst Vorschläge gemacht?
Zimmer: Ich weiß es wirklich nicht.
Vors.: Haben Sie vielleicht vorgeschlagen, für jüdische Zeitungen zu schreiben?
Zimmer: Ich glaube, ich sagte, ich wolle mich an den von jüdischer Seite angestellten Ermittelungen beteiligen.
Vors.: Haben Sie der Staatsanwaltschaft oder Polizei auch Ihre Dienste angeboten?
Zimmer: Nein!
Vors.: Sie wollten also nach einer bestimmten Richtung wirken?
Zimmer: Eigentlich unparteiisch.
Vors.: Obwohl Sie der Überzeugung waren, daß der Mörder nur unter den Juden zu suchen sei, wollten Sie christliche Spuren verfolgen?
Zimmer: Eigentlich nein, ich hatte meine Ansicht nicht geändert und glaubte meiner Herzenssache, daß der Mörder unter den Juden sei, auch so frönen zu können.
Vors.: Welche Vorschläge machten Sie Rechtsanwalt Appelbaum?
Zimmer: Daß ich in der Ermittelung der Täter mitwirken wolle. Ich glaube, ich nannte auch einige Spuren.
Vors.: Christliche natürlich, trotzdem Sie die Überzeugung hatten, die Täter seien unter den Juden zu suchen?
Zimmer: Ich übergab meine Dispositionen. Der Worte erinnere ich mich nicht.
Vors.: Haben Sie sich nicht über den Stand der Ermittelungen gegen Moritz Lewy geäußert?
Zimmer: Das ist möglich.
Vors.: Was sagte Rechtsanwalt Appelbaum?
Zimmer: Er wollte nach Berlin schreiben, ob man meine Dienste wolle.
Vors.: Direkt abgelehnt wurde Ihr Angebot nicht?
Zimmer: Nein.
Rechtsanwalt Appelbaum: Herr Zimmer war am 19. September bei mir. Zimmer: Als ich nach etwa einer Woche wiederkam, sagte Herr Appelbaum er wundere sich, daß die Herren aus Berlin noch keinen Bescheid gegeben hätten, er bat mich, wiederzukommen. Ich kann mich an die Daten nicht mehr genau erinnern. Am Tage nach dem Speisigerprozeß ging ich auf Veranlassung Gerbers wieder zu Rechtsanwalt Appelbaum. Dort stand ein dunkler Mann, den mir Rechtsanwalt Appelbaum als Jakoby aus Tuchel vorstellte, der später hier wegen Meineids verurteilt worden ist. Er sagte, es wäre ein trauriger Fall; ein stiller, ruhiger Mann, der von vier jungen Leuten des Meineids beschuldigt werde. Er fragte, ob ich nicht nachforschen möchte nach dem Leumund und ob Mißverständnisse vorliegen. Da der Mann einen guten Eindruck auf mich machte, so erklärte ich mich dazu bereit.
Vors.: Trotzdem Sie Antisemit sind, machte der alte Herr einen so guten Eindruck auf Sie, daß Sie in Tuchel Ermittelungen anstellten?
Zimmer: Ja; er machte auf mich einen sehr würdigen Eindruck, ich hielt ihn für unschuldig und halte ihn auch heute noch für unschuldig.
Vors.: Wurde auch vom Fall Lewy gesprochen?
Zimmer: Dessen erinnere ich mich nicht genau.
Vert. Rechtsanwalt Appelbaum: Haben Sie mir nicht gesagt, daß Sie gerade in bezug auf die Lewysache Dienste zu leisten bereit seien?
Fragte ich nicht, welche Garantien Sie mir bieten? Darauf sagten Sie, trotzdem Sie Antisemit seien, hätten Sie immer nach der andern Richtung gearbeitet? Sie sprachen von Ihren Ermittelungen gegen Weichel, Plath, Hoffmann und andere, und daß da noch verschiedene Spuren zu ermitteln seien?
Zeuge: Ich kann mich nicht genau der Worte erinnern.
Rechtsanwalt Appelbaum ersuchte, dem Zeugen folgenden Brief vom 26. September 1900 vorzuhalten:
»Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt! Ich möchte heute mittag nach Berlin fahren. Verkennen Sie nicht den Ernst der Situation. Ich bitte mir die nötigen Adressen und Mittel zur Verfügung zu stellen. Es gehen wieder tolle Sachen in der Stadt vor. Z.«
Vors.: Was wollten Sie mit dem Brief?
Zeuge: Ich meinte verschiedene Spuren.
Rechtsanwalt Appelbaum: Haben Sie mir nicht mündlich dasselbe erklärt. Gegen Lewy gingen tolle Sachen vor?
Zimmer: Ich glaube nicht, speziell den Fall Lewy erwähnt zu haben.
Vors.: Was wollten Sie eigentlich in Berlin?
Zimmer: Ich machte kein Hehl daraus, daß der Lehrer Weichel von dem Morde etwas wissen müsse.
Vors.: Was hat das mit Berlin zu tun?
Zimmer: Weichel war in Berlin. Ich habe ihn niemals für den Mittäter oder Mithelfer gehalten, aber ich glaube, daß er etwas davon weiß.
Rechtsanwalt Appelbaum: Habe ich Ihnen nicht eine Depesche vorgelegt, daß die Herren in Berlin es ablehnen, mit Ihnen zu tun zu haben?
Zeuge: Ja, ich glaube.
Rechtsanwalt Appelbaum: Das war am 30. September. Darauf sagten Sie: Jetzt ist das auch zu spät. Nicht für 20000 Mark arbeite ich für Sie. Moritz Schicksal ist besiegelt?
Zimmer: Dessen erinnere ich mich nicht.
Rechtsanwalt Appelbaum: Den Sonntag darauf kamen Sie wieder, da war auch Jakoby da, damals triumphierten Sie?
Zimmer: Dessen erinnere ich mich.
Rechtsanwalt Appelbaum: Damals sagten Sie: Na, Herr Rechtsanwalt, habe ich es Ihnen nicht so gesagt?
Zimmer: Ja, das ist möglich.
Rechtsanwalt Appelbaum: Ich fragte Sie darauf, wenn wir Ihre Dienste angenommen hätten, würden Sie es dann haben verhindern können? Erinnern Sie sich dessen?
Zimmer: Nein, ich kann mich nicht erinnern.
Rechtsanwalt Appelbaum: Dann will ich es Ihnen sagen, Sie erwiderten: Ja, Sie hätten es verhindern können.
Zimmer: Ja, im Publikum wußte man, daß es mit Lewy schlecht stehe.
Vors.: So; jetzt erinnern Sie sich auf einmal.
Staatsanwalt: Waren Sie im vorigen Jahre in der Redaktion des Konitzer Tageblattes?
Zimmer: Ja; zweimal kurze Zeit.
Staatsanwalt: Hat das Blatt nicht unter Ihrer Leitung eine erhebliche Schwenkung nach der scharfen antisemitischen Richtung gemacht?