Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns
nur vermeiden kann, wenn er bei bloß vorläufiger Vollstreckbarkeit seine Sicherheitsleistung stehen lässt[41].
3. Anträge des Gläubigers auf Erlass der Sicherheitsleistung und Schuldnerschutz
15.25
Die vom Prozessgericht von Amts wegen, sei es nach § 708 (ohne Sicherheitsleistung), sei es nach § 709 S. 1 (gegen Sicherheitsleistung), zu treffende Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit kann – und dadurch kompliziert sich die Rechtslage noch mehr – unter gewissen Voraussetzungen durch Anträge des Gläubigers und des Schuldners jeweils zu ihren Gunsten beeinflusst werden. Solche Anträge müssen vor dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden (§ 714), um im Urteil berücksichtigt werden zu können[42].
Die vom Gesetz getroffene grundsätzliche Abwägung zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen kann auf diese Weise vom Richter den Sonderumständen des Einzelfalles angepasst und korrigiert werden[43]. Das ist auch notwendig, denn die für alle Beteiligten bedeutsame Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen aus einem noch nicht endgültigen Urteil die Zwangsvollstreckung betrieben werden darf, kann nur unter Berücksichtigung aller Besonderheiten entschieden werden. Freilich zeigt sich auch hier, dass Einzelfallgerechtigkeit vom Gesetzgeber nur angestrebt werden kann um den Preis sehr detaillierter und verwickelter Vorschriften, die andererseits doch auf wertausfüllungsbedürftige Blankettbegriffe („schwer zu ersetzender Nachteil“) nicht verzichten können. Im Einzelnen sind folgende Sonderentscheidungen möglich:
a) Gläubigerantrag auf Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung
15.26
Auf Antrag des Gläubigers sind Urteile, die an sich nicht unter § 708 fallen und deshalb gemäß § 709 S. 1 nur gegen Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären wären, auch ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären, wenn der Gläubiger glaubhaft macht, dass er die Sicherheit nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten leisten kann und dass die Aussetzung der Vollstreckung ihm „einen schwer zu ersetzenden oder schwer abzusehenden Nachteil bringen würde oder aus einem sonstigen Grunde für ihn unbillig wäre, insbesondere weil er die Leistung des Schuldners für seine Lebenshaltung oder seine Erwerbstätigkeit dringend benötigt“ (§ 710). Diese für den Gläubiger erfreuliche Regelung greift indessen nicht Platz, wenn der Schuldner seinerseits glaubhaft macht, dass die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde (§ 712 Abs. 1 S. 1); es hat dann eine Interessenabwägung stattzufinden (Einzelheiten s. § 712).
b) Vollstreckungsschutz des Schuldners
15.27
Noch komplizierter ist der Vollstreckungsschutz des Schuldners geregelt:
aa) Abwendungsbefugnis
15.28
Wie wir bereits wissen, sind die in § 708 genannten Urteile ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Nach § 711 hat das Gericht aber in den Fällen des § 708 Nr. 4–11 von Amts wegen auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung seinerseits Sicherheit leistet! Das Gesetz nimmt also dem Gläubiger die ihm in § 708 Nr. 4–11 eingeräumte Befugnis (der Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung) in § 711 für den Fall wieder weg, dass der Schuldner seinerseits eine Sicherheit bietet! Während für den Gläubiger die Möglichkeit teilweiser Sicherheitsleistung bei Teilvollstreckung auch insoweit uneingeschränkt besteht (§§ 752, 711 S. 2, 709 S. 2), kann der Schuldner die Vollstreckung ohne Gläubigersicherheit nur abwenden, wenn er für den gesamten nach dem Urteil vollstreckbaren Betrag Sicherheit erbringt (§ 711 S. 2 a.E.)[44].
Zu beachten ist, dass dieser Vollstreckungsschutz nur in den Fällen des § 708 Nr. 4–11 in Betracht kommt[45].
bb) Besonderer Vollstreckungsschutz
15.29
In allen Fällen der Zwangsvollstreckung kann der Schuldner glaubhaft machen (§ 714 Abs. 2), dass die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde, und zwar auch dann, wenn der Gläubiger seinerseits Sicherheit leistet (also für die Durchsetzung eines etwaigen späteren Schadensersatzanspruchs des Schuldners vorgesorgt ist!), § 712 Abs. 1 S. 1[46].
Mögliche gerichtliche Entscheidung:
(1) | Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung des Schuldners (§ 712 Abs. 1 S. 1); der Gläubiger kann also dann nicht vollstrecken, auch wenn er seinerseits Sicherheit geleistet hat. |
(2) | Ist der Schuldner zu einer Sicherheitsleistung nicht in der Lage, so wird das Urteil nicht für vorläufig vollstreckbar erklärt oder auf die Sicherungsvollstreckung (§ 720a, hierzu Rn. 15.23) beschränkt. |
(3) | Steht den genannten Anordnungen ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegen, so ist entweder der Antrag des Schuldners abzulehnen oder in den Fällen des § 708 anzuordnen, dass das Urteil nur gegen Sicherheitsleistung des Gläubigers vollstreckbar ist (§ 712 Abs. 2). |
cc) Nicht zulässiges Rechtsmittel
15.30
Die in aa) und bb) genannten Maßnahmen kommen nicht in Betracht, wenn gegen das Urteil ein Rechtsmittel „unzweifelhaft“ nicht zulässig ist (§ 713)[47]. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob das Rechtsmittel „unzweifelhaft“ unbegründet ist!
4. Tenorierungsbeispiele
15.31
Beispiele über den Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit:
a) | Einer Darlehensklage über 1250,– € stattgebendes Urteil: 1. Der Bekl. wird verurteilt, an den Kl. 1250,– € zu bezahlen. 2. Der Bekl. trägt die Kosten des Rechtsstreits. 3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar [§ 708 Nr. 11]. Der Bekl. kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 2420,– € [1500,– € + 992,– € Kostenpauschale, die sich zusammensetzt aus: Gerichtskostenvorschuss gemäß §§ 12 Abs. 1, 34 GKG i.V.m. Anlage 1 Nr. 1210 i.H.v. 213,– € + Anwaltsgebühren gemäß §§ 2, 13 RVG i.V.m. Anlage 1 Nr. 3100 „Verfahrensgebühr“ 1, 3, 3104 „Terminsgebühr“ 1, 2, und 2300 „Geschäftsgebühr“, z.B. 1,3, nach hälftiger Anrechnung gemäß Anlage 1 Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 i.H.v. 362,25 € + Auslagenpauschale gemäß RVG Anlage 1 Nr. 7002 i.H.v. 20,– € + Umsatzsteuer, z.Zt. 19% + 325,– € aufgerundeter Sicherheitszuschlag (15%) + evtl. Auslagenvorschüsse für Zeugen und Sachverständige] abwenden, sofern nicht der Kl. vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet [§ 711 S. 1]. Oder: Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar [§ 708 Nr. 11]. Der Bekl. kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kl. vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet [§§ 711 S. 2, 709 S. 2][48]. |
b) |
Klageabweisendes Urteil über 2500,– € Darlehen:
1.
Die Klage wird abgewiesen.
2.
Der Kläger trägt die Kosten |