Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns
Der Schadensersatz- bzw. Bereicherungsanspruch setzt weiter voraus, dass der Gläubiger die Zwangsvollstreckung aus dem nur vorläufig vollstreckbaren Urteil betrieben hat oder wenigstens durch sein Verhalten den Schuldner zu einer Leistung – auch zu einem Unterlassen – zwecks Abwendung der Zwangsvollstreckung veranlasst hat.
Die bloße Erwirkung des vorläufig vollstreckbaren Urteils genügt nicht[87]. Lässt aber der Gläubiger dem Schuldner eine vollstreckbare Ausfertigung der Entscheidung zugehen, so erweckt er dadurch den Anschein, er beabsichtige die Vollstreckung; der Gläubiger muss daher das Gegenteil erklären, wenn er vermeiden will, dass der Schuldner Schritte zur Abwendung der Vollstreckung ergreift[88]. Nach Zustellung von Titel und Klausel „droht“ die Zwangsvollstreckung für den Schuldner auch dann, wenn die Sicherheitsleistung des Gläubigers noch fehlt[89]. Hingegen gehört bei Unterlassungstiteln zur „bevorstehenden“ Vollstreckung die Androhung des Ordnungsmittels[90]; erfolgt die Androhung bereits im zu vollstreckenden Urteil, ist auch die Sicherheitsleistung zu erbringen[91]. Doch fehlt bei Unterlassungsvollstreckung selbst nach Sicherheitsleistung des Gläubigers der notwendige Vollstreckungsdruck, wenn der Gläubiger ausdrücklich erklärt oder es sich aus den Umständen ergibt, dass von der Vollstreckung noch abgesehen werde[92]. Eine Lohnfortzahlung des Arbeitgebers angesichts einer Verurteilung zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses erfolgt mangels hinreichenden Vollstreckungsdrucks nicht zur Abwendung der Zwangsvollstreckung[93].
c) Kein Verschulden
15.46
Anspruchsvoraussetzung ist dagegen nicht irgendein Verschulden des Gläubigers. Er trägt vielmehr das volle Risiko des vorläufigen Vollstreckungsbetriebs[94].
Deshalb ist es gleichgültig, ob der Gläubiger die Zwangsvollstreckung persönlich oder durch einen Vertreter in die Wege geleitet hat. Auch kommt es nicht darauf an, ob er für die Gründe, die später zur Aufhebung oder Abänderung des Vollstreckungstitels geführt haben, in irgendeiner Weise verantwortlich gemacht werden kann, sie gekannt hat oder auch nur kennen konnte.
2. Inhalt und Umfang der Ersatzansprüche
15.47
Inhalt und Umfang der Ansprüche aus der voreilig betriebenen Zwangsvollstreckung bestimmen sich nach den allgemeinen Vorschriften.
a) Inhalt der Schadensersatzpflicht
15.48
Für die Schadensersatzpflicht gelten die §§ 249–255 BGB. Zu ersetzen ist nicht nur die beigetriebene oder „freiwillig“ erbrachte Leistung selbst, sondern jeder unmittelbare und mittelbare Schaden, der dem Schuldner durch die Vollstreckung des Urteils oder durch eine Leistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung entstanden ist[95]. Keinesfalls ist erforderlich, dass der Gläubiger durch die Vollstreckung etwas erlangt hat[96].
So muss auch der Schaden ersetzt werden, den der Schuldner durch einen gegen ihn gerichteten, aber vergeblich gebliebenen Vollstreckungsversuch erlitten hat, z.B. durch Aufbrechen seiner Türen oder Behältnisse. Der Ersatzanspruch umfasst ferner beispielsweise den Schaden, den der Schuldner dadurch erleidet, dass er Geld als Sicherheit zum Vollstreckungsschutz hinterlegen muss, welches er sonst Gewinn bringend anderweitig hätte verwerten können[97]; nicht dagegen den Schaden, der durch andere Maßnahmen zur Abwendung der Zwangsvollstreckung als durch Zahlung, Hinterlegung oder Sicherheitsleistung entstanden ist, also z.B. aus der Erklärung der Zahlungseinstellung oder durch den Antrag auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens[98]. Nicht von § 717 Abs. 2 erfasst sind nach der Rechtsprechung des BGH auch „Begleitschäden“ am Inventar bei Räumungsvollstreckung, die aber nach den Grundsätzen der Amtshaftung ersatzfähig sein können (§ 839 BGB, Art. 34 GG)[99]. Sehr zweifelhaft ist, ob unter die Ersatzpflicht auch ein Vermögensschaden fällt, der erst Folge einer durch die Zwangsvollstreckung hervorgerufenen seelischen Erkrankung ist, oder ein Schaden, der in der Zurückhaltung möglicher Geschäftspartner wegen vollzogener Vollstreckungen begründet liegt[100]. Beides sollte man – entgegen dem BGH – bejahen, sofern es nicht um Schäden geht, die in der Verurteilung als solcher ihre Ursache haben.
b) Inhalt des Bereicherungsanspruchs
15.49
Der Bereicherungsanspruch – bei Vollstreckung aus oberlandesgerichtlichen Urteilen – geht nach näherer Maßgabe der §§ 818, 819 BGB auf Erstattung des vom Schuldner auf Grund des vorläufig vollstreckbaren Urteils Gezahlten oder Geleisteten (§ 717 Abs. 3 S. 2 und 3). Da mit der Zahlung oder Leistung des Schuldners die Rechtshängigkeit seines Erstattungsanspruchs fingiert wird (§ 717 Abs. 3 S. 4 i.V.m. § 818 Abs. 4 BGB), kann sich der Gläubiger allerdings niemals (wie sonst gemäß § 818 Abs. 3 BGB) auf den Wegfall der Bereicherung berufen[101].
Bei der Verweisung auf die Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung (§ 717 Abs. 3 S. 3) handelt es sich um eine bloße Rechtsfolgenverweisung; die tatbestandlichen Voraussetzungen der Erstattungspflicht sind dagegen im § 717 Abs. 3 S. 2 abschließend geregelt, sodass es daneben auf die §§ 812 ff. BGB nicht mehr ankommt[102].
c) Nebeneinander von Schadensersatz und Bereicherung
15.50
Der Anspruch kann auf Ersatz des Schadens (dessen Ursache bis zum Erlass des Urteils des OLG entstanden ist) und auf Herausgabe der Bereicherung (von diesem Zeitpunkt ab) gehen[103].
3. Anspruchsinhaber und Anspruchsschuldner
15.51
Das Gesetz (§ 717 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 S. 2) nennt als möglichen Anspruchsinhaber nur den Beklagten, als möglichen Anspruchsgegner nur den Kläger des Prozesses, in dem das jetzt aufgehobene, vorläufig vollstreckbare Urteil ergangen war.
Damit ist zwar der häufigste Fall erfasst, dass der Kläger als Vollstreckungsgläubiger den ihm im Prozess zugesprochenen Anspruch gegen den Beklagten als Vollstreckungsschuldner beitreibt. Auch ist es richtig, dass einem beliebigen Dritten, in dessen Vermögen aus dem vorläufig vollstreckbaren Urteil absichtlich oder versehentlich vollstreckt worden ist, die Ansprüche aus § 717 nicht zustehen, so z.B. nicht der Ehefrau des Beklagten[104] oder dem Versicherer, der für den Schuldner zur Abwendung der Zwangsvollstreckung leistet[105]. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die gesetzliche Formulierung zu eng ist:
a) Vertauschte Parteirollen
15.52
Denn wegen der völligen Gleichheit der Interessenlage sind die Ansprüche auch bei vertauschten Parteirollen gegeben, also beispielsweise zu Gunsten eines im Prozess unterlegenen Klägers, der auf Grund eines nur vorläufig vollstreckbaren und später wieder aufgehobenen Titels unter der Drohung der Zwangsvollstreckung die Prozesskosten an den Beklagten bezahlt hat[106].
b) Rechtsnachfolge
15.53
Hat nicht der Kläger, sondern gemäß § 727 sein Rechtsnachfolger die Zwangsvollstreckung betrieben, so trifft ihn die Pflicht zum Schadensersatz bzw. zur Bereicherungsherausgabe[107]. Umgekehrt kann auch ein von der Zwangsvollstreckung betroffener Rechtsnachfolger des Beklagten Anspruchsgläubiger sein[108].
4. Einwendungen
15.54
Gegenüber