Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns

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sind[18], der wiederum seinerseits von manchen Grundgedanken der österreichischen Exekutionsordnung von 1896 beeinflusst war. Wichtige Elemente einer solchen Totalreform lassen sich mit folgenden Stichworten charakterisieren: bessere Transparenz durch einheitliche und verbesserte Kodifikation; Vereinfachung des Rechtsbehelfssystems auf wenige globalere Rechtsbehelfe; zentrale Leitung und Koordination der Vollstreckung bei einem Organ, wobei meist an das Vollstreckungsgericht und weniger an den Gerichtsvollzieher gedacht ist; Offizialmaxime im Verfahren mit amtswegiger Sachverhaltsaufklärung; obligatorische Vermögensoffenbarung des Schuldners möglichst bei Vollstreckungsbeginn; stärkere Beachtung der Verhältnismäßigkeit des Vollstreckungseingriffs, u.a. auch durch Festlegung der Reihenfolge einzelner Vollstreckungsarten (z.B. Forderungspfändung, Pfändung beweglicher Sachen, Immobiliarvollstreckung etc.); Abschaffung des Prioritätsgrundsatzes zu Gunsten eines Ausgleichs- oder Gruppenprinzips nach französischem oder schweizerischem Vorbild (Rn. 59.7, 59.8, 59.11, 59.134); klare organisatorische Bevorzugung der Forderungspfändung als der wirtschaftlich wesentlichen Vollstreckungsart; Gestaltungsspielraum für die Vollstreckungsorgane bei Abwicklungsvereinbarungen; Vereinheitlichung der zivilprozessualen Vollstreckung und der Verwaltungsvollstreckung.

      4.9

      Soweit der Wunsch nach geschlossener Kodifikation des Vollstreckungsrechts laut wird, erscheint er von der Grundidee her billigenswert, aber in der Gegenwart letztlich relativ chancenlos; zu mächtig und stark ist die Emanzipationsbewegung der Spezialrechtsgebiete, insbesondere des Sozialrechts, wo vor nicht allzu langer Zeit erst Novellierungen des „hauseigenen“ Vollstreckungsrechts stattgefunden haben[19]. Bei der Harmonisierung des Verwaltungsvollstreckungsrechts durch vereinfachte Zuständigkeiten und eine Bereinigung der verwirrenden Verweistechnik und Formenvielfalt (Rn. 2.37 ff.) könnte die lange geplante Vereinheitlichung des Verwaltungsprozessrechts eine gewisse Erleichterung schaffen[20]. Die grundsätzliche Zweiteilung der Rechtsbehelfe in Rechtsbehelfe für materiellrechtliche Anliegen (Vollstreckungsgegenklage, Drittwiderspruchsklage) und Rechtsbehelfe gegen Verstöße verfahrensrechtlicher Art (Erinnerung, Beschwerde etc.) sollte beibehalten werden (s.a. Rn. 3.20, 3.21), denkbar wäre eine Korrektur der Vielfalt der Rechtsbehelfe gegen verfahrensrechtliche Fehler mit ihrer schwierigen Zuordnung, wobei man aber die Vereinfachungserwartung sicherlich nicht zu hoch setzen sollte.

      Die Zentralisierung der Vollstreckung bei einem leitenden Organ, die Offizialmaxime beim fortlaufenden Vollstreckungsbetrieb, die obligatorische Offenbarungsversicherung gleich am Anfang der Vollstreckung – all dies sind Elemente einer Bürokratisierung und Reglementierung des Ablaufs, die eher zur Verzögerung und Komplizierung führen müssten. Man sollte nicht vergessen, dass das dezentrale französische System als Antithese zur gemeinrechtlichen zentralisierten Vollstreckung teilweise deutsche Nachahmung gefunden hat (Rn. 3.20, 3.21) und im Ruf nach Besserung durch zentrale Leitung ein grundsätzlicher historischer Irrtum liegen könnte: Verfahren leben von privater Initiative und Gestaltungsmöglichkeit; eine Gesellschaft, die auf Privatautonomie setzt, wird Verfahrensfreiheiten ordnen, aber nicht reglementierend erdrücken, sodass nur vorsichtige Randkorrekturen des bestehenden Grundsystems insoweit angezeigt scheinen. Auch eine feste Vollstreckungsreihenfolge – die Hinterlassenschaft der gemeinen Vollstreckung (Rn. 3.17) – wäre ein Korsett, das zur Lähmung und Unbeweglichkeit führen müsste; aus Verhältnismäßigkeitserwägungen lässt sie sich nicht zwingend ableiten (Rn. 6.14, 7.21). Wenn die Rechts- und Wirtschaftsentwicklung die Forderungs- und Gehaltspfändung zur erfolgsträchtigen Vollstreckungsform gegen den „kleinen“ Schuldner macht, so regelt der freie Vollstreckungszugriff des Gläubigers solche Akzentverschiebungen am besten, und es bleibt allenfalls die Notwendigkeit systemimmanenter Verbesserungen. Die Abschaffung des Prioritätsprinzips zu Gunsten des Ausgleichsprinzips oder eines Gruppenprinzips würde den Prinzipien materiellrechtlicher Sicherheiten widersprechen und im Übrigen in Gestalt notwendiger Nachpfändungen neue Komplikation schaffen (Rn. 6.42). Ein Gestaltungsspielraum der Vollstreckungsorgane für Abwicklungsvereinbarungen ist im Rahmen der vollstreckungsrechtlichen Disposition des Gläubigers vertretbar, nicht aber als Ausfluss selbstständigen Entscheidungsspielraums.

      4.10

      Insgesamt findet der Ruf nach einer Totalreform gegenwärtig wenig Gehör. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass im Vollstreckungsrecht der früheren DDR (§§ 85 ff. ZPO-DDR) einige Reformgedanken verwirklicht waren (z.B. zentrale Vollstreckungsleitung, Offenbarungsversicherung am Verfahrensbeginn, Vorrang der Pfändung von Arbeitseinkünften, Offizialmaxime etc.) und nunmehr als vollstreckungsrechtliche Ausformung eines bevormundenden, unfreiheitlichen Verfahrensstils erkannt oder – je nach Grundüberzeugung – diskriminiert sind. Die Möglichkeit der Abnahme einer Vermögensauskunft des Schuldners durch den Gerichtsvollzieher vor fehlgeschlagenem Zugriffsversuch (§§ 802c ff.) erweitert optional die Sachaufklärungsmöglichkeiten des Gläubigers, ohne mit obligatorischer Voranfrage den sofortigen Vollstreckungszugriff auszuschließen oder seine Erfolgsaussichten zu gefährden und ohne mit der dezentralen Ausgestaltung der Zwangsvollstreckung zu brechen.

      4.11

      Der Schwerpunkt der gegenwärtigen Überlegungen liegt mehr bei systemimmanenten Teilreformen („Reform der kleinen Schritte“). Promotoren sind dabei neben den Berufsverbänden der Rechtspfleger und Gerichtsvollzieher[21] Wissenschaft und Praxis. Die Justizminister der alten Bundesländer setzten zunächst 1988 eine Arbeitsgruppe aus Ministerialbeamten und Praktikern ein, die in ihren Zwischenberichten von 1990 und 1991 und in ihrem Schlussbericht 1992 ihre Ergebnisse vorgelegt hat. Im Jahre 2005 beauftragte die Justizministerkonferenz im Rahmen der Vorarbeiten für eine große Justizreform eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Organisation des Gerichtsvollzieherwesens/Privatisierung“ mit der Erarbeitung eines Reformvorschlages für das Gerichtsvollzieherwesen und erneuerter Berichterstattung in 2006. Außerdem erarbeitet eine weitere Bund-Länder-Arbeitsgruppe Vorschläge zur Modernisierung des Zwangsvollstreckungsrechts. Insgesamt enthalten die Zwischenberichte und der Schlussbericht 1992 eine nahezu vollständige Auflistung diskutierter Detailreformvorschläge. Die wichtigsten Vorschläge sollen kurz skizziert werden, ohne Rücksicht auf ihre Verwirklichung und Verwirklichungschance.

1. Die wichtigsten Reformvorschläge

      4.12

      Regelung der allgemeinen Befugnisse des Gerichtsvollziehers; Kompetenz des Gerichtsvollziehers zum gütlichen Erledigungsversuch (§ 802b); Kodifikation der Rechtsprechung des BVerfG zur richterlichen Durchsuchungsanordnung (Rn. 7.13, 7.43, 8.12 ff.) mit Abgrenzung der betroffenen Vollstreckungsarten und Regelung der Stellung von Mitinhabern der Wohnung (§ 758a); einstweiliger Rechtsschutz beim Vollstreckungsschutz gemäß § 765a (Rn. 47.6) und Verhältnis des Vollstreckungsschutzes zum Räumungsschutz; Kostenfestsetzungsmöglichkeit für Vollstreckungskosten nach § 788 (Rn.


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