Satan und Ischariot I. Karl May
im Tone einer höflichen Erkundigung. Ich fühlte, daß er freundlich sein wollte, aber er brachte dies nicht fertig, und so klang seine Frage wie diejenige eines Beamten oder Vorgesetzten, welcher zu einer tief unter ihm stehenden Person spricht.
»Nein,« antwortete ich. »Ich habe hier nichts zu suchen.«
»Wo wollen Sie hin?«
»Vielleicht nach La Libertad.«
Ich nannte diese Stadt, weil in ihrer Nähe Lobos lag, wohin das von ihm erwartete Schiff, wie ich gehört hatte, segeln wollte.
»Wo kommen Sie her?«
»Von der Sierra Verde herunter.«
»Was haben Sie dort gemacht? Vielleicht Gold gesucht? Haben Sie welches gefunden?«
»Nein,« berichtete ich ihm der Wahrheit gemäß, ohne auf seine Erkundigung weiter einzugehen.
»Das dachte ich mir. Man sieht es Ihnen an, daß Sie ein armer Teufel sind. Sie haben überhaupt ein sehr unglückliches Metier gewählt.«
»Wieso?«
»Nun, ich habe im Fremdenbuche gefunden, daß Sie Escritor sind, und weiß, daß es in diesem Fache meist nur verkommene Existenzen gibt. Wie konnten Sie sich in diese Gegend wagen! Sie sind ein Deutscher. Wären Sie in Ihrem Vaterlande geblieben, so könnten Sie dort für Leute, welche mit der Feder nicht umzugehen wissen, Briefe schreiben, Rechnungen anfertigen und durch ähnliche Arbeiten sich wenigstens soviel verdienen, daß Sie nicht zu hungern brauchten.«
»Hm!« brummte ich, indem ich ihm nicht merken ließ, daß er mich belustigte; »das Briefschreiben ist kein so einträgliches Geschäft, wie Sie anzunehmen scheinen. Man kann dabei hungern, daß einem die Seele knackt.«
»Und da haben Sie nichts anderes gewußt, als in die Fremde zu gehen und Ihre Seele noch lauter knacken zu lassen! Nehmen Sie es mir nicht übel; aber das war eine Dummheit von Ihnen. Es hat nicht jeder solches Glück wie Ihr Namensvetter, der übrigens, ehe er in die Welt ging, ein gelernter Jäger und kein Escritor war.«
»Ein Namensvetter von mir? Wen meinen Sie?«
»Ah, ich dachte, Sie wären schon einmal drüben in den Vereinigten Staaten gewesen, in den westlichen Prairien; aber Ihre Frage sagt mir, daß dies nicht der Fall ist, sonst hätten Sie doch einmal von Old Shatterhand gehört.«
»Old Shatterhand? Den Namen kenne ich. Ich habe, es war wohl in irgend einer Zeitung, ein Reiseerlebnis gelesen, in welchem dieser Mann vorkam. Er scheint ein Prairiejäger, oder Pfadsucher, oder wie man diese Leute nennt, zu sein?«
»Das ist er allerdings. Ich weiß zufälligerweise, daß er ein Deutscher ist, und da Sie mit ihm denselben Namen haben, so kam ich im ersten Augenblicke auf die Idee, in Ihnen diesen Old Shatterhand vor mir zu haben, habe aber meinen Irrtum sehr bald eingesehen. Ihre klägliche Lage erbarmt mich, und da ich ein gutes Herz besitze, will ich Ihnen auf die Beine helfen, vorausgesetzt, daß Sie soviel Verstand haben, das Rettungsseil, welches ich Ihnen zuwerfe, zu ergreifen und festzuhalten.«
Eigentlich hätte ich ihm in das Gesicht lachen sollen, behielt aber den bisherigen, sehr bescheidenen Ausdruck des meinigen bei. Die sehr von oben herabkommende Ausdrucksweise des Mormonen hätte mich wohl ärgern sollen; aber es machte mir Spaß, ihn bei seiner Meinung zu lassen, und so antwortete ich in aller Gelassenheit:
»Warum soll ich nicht soviel Verstand haben? Ich bin doch kein Kind, welches eine ihm angebotene Wohlthat nicht zu schätzen weiß.«
»Gut! Wenn Sie auf meinen Vorschlag eingehen, sind Sie aller Sorgen enthoben und ein gemachter Mann.«
»Wenn ich das glauben könnte! Ich bitte Sie, mir diesen Vorschlag schleunigst mitzuteilen!«
»Nur gemach! Sagen Sie mir vorher, was Sie eigentlich in La Libertad wollen.«
»Arbeit suchen, mich nach irgend einer Unterkunft umsehen. Da ich hier in diesem toten Guaymas nichts gefunden habe, so hoffe ich, dort glücklicher zu sein.«
»Sie irren sich. La Libertad liegt zwar auch an der See, ist aber ein noch viel traurigerer Ort als Guaymas. Hunderte von hungrigen Indianern lungern dort herum, ohne Arbeit zu finden, und Sie wären dort noch viel schlimmer dran als hier. Es ist ein wahres Glück für Sie, daß die Vorsehung Sie auf meinen Weg geführt hat. Sie werden vielleicht gehört haben, daß ich zu den Heiligen der letzten Tage gehöre. Meine Religion gebietet mir, jedes Schaf, welches ich in der Wüste finde, nach dem blühenden Gefilde des Glückes zu bringen, und so ist es meine Pflicht, mich Ihrer anzunehmen. Sprechen und schreiben Sie englisch?«
»Leidlich.«
»Das genügt. Und schreiben Sie spanisch vielleicht auch so, wie Sie es sprechen?«
»Ja; aber in die Interpunktion kann ich mich nicht recht finden, weil im Spanischen die Frage- und Ausrufezeichen nicht nur hinter, sondern auch vor dem Satze stehen.«
»Das wird sich schon noch finden,« lächelte er von oben herab. »Ich verlange keine Meisterschaft von Ihnen. Haben Sie Lust, Tenedor de libros[2], zu werden?«
Er fragte das mit einer Miene, als ob er mir damit ein Fürstentum anböte; darum antwortete ich im Tone freudiger Ueberraschung:
»Tenedor de libros? Wie gern würde ich so eine Stelle annehmen; aber ich bin nicht Kaufmann. Zwar habe ich gehört, daß es eine einfache und eine doppelte Buchführung geben soll, aber ich verstehe nichts davon.«
»Das ist auch nicht nötig, denn Sie sollen nicht bei einem Kaufmanne, sondern auf einer Hazienda angestellt werden. Zwar kann ich die Höhe Ihrer Besoldung nicht bestimmen, da dies Sache des Haziendero ist, aber ich gebe Ihnen die Versicherung, daß Sie sich sehr gut stehen werden. Sie haben alles frei, und ich bin überzeugt, daß Sie monatlich nicht unter hundert Pesos erhalten werden. Hier ist meine Hand. Schlagen Sie ein, und dann fer- fertigen wir gleich heute abend noch den Kontrakt darüber aus!«
Er hielt mir seine Hand hin. Ich hob die meinige, als ob ich einschlagen wolle, zog sie aber langsam zurück und fragte:
»Ist es denn wirklich Ihr Ernst, oder scherzen Sie nur mit mir? Es erscheint mir als ein Wunder, daß Sie einem fremden Menschen, welcher kaum seine Blöße decken kann, ein so großartiges Anerbieten machen.«
»Es ist auch beinahe ein Wunder, und darum rate ich Ihnen, ja nicht zu zögern, sondern schleunigst zuzugreifen.«
»Das möchte ich wohl, wie Sie sich denken können, doch möchte ich natürlich vorher etwas Näheres erfahren. Wo liegt denn die Hazienda, nach welcher Sie mich schicken wollen?«
»Nicht schicken will ich Sie, sondern ich werde Sie hinbringen.«
»Das ist mir noch lieber. Kostet die Reise viel Geld?«
»Sie haben keinen Centavo auszugeben, denn ich bezahle alles. Sobald Sie Ihre Zusage erteilt haben, sind Sie nicht nur von jeder Ausgabe entbunden, sondern ich bin sogar erbötig, Ihnen eine Prenda[3], auszuzahlen. Der Haziendero ist mein Freund. Er heißt Timoteo Pruchillo und ist der Besitzer der Hazienda del Arroyo.«
»Wo liegt die Hazienda?«
»Jenseits Ures. Man fährt von hier per Schiff nach Lobos und hat dann bis zum Ziele einen herrlichen Landweg, eine kurze, sehr angenehme Reise, auf welcher Sie viel Unterhaltung und Belehrung finden werden, zumal es dabei zahlreiche Gesellschaft aus Ihrem Vaterlande geben wird.«
»Wieso das? Gesellschaft aus meinem Vaterlande?«
»Ja, aus Preußen, welches doch in Deutschland liegt. Der Indianer ist kein ausdauernder und zuverlässiger Arbeiter; darum mangelt es hier an Leuten, welche zu der Beschäftigung, wie eine Hazienda sie erfordert, tauglich sind. Sennor Timoteo hat sich deshalb Leute aus Deutschland verschrieben. Es sind gegen vierzig Arbeiter, welche morgen hier ankommen werden und zum großen Teile auch ihre Weiber und Kinder mitbringen. Sie haben die Kontrakte unterzeichnet und sind so gestellt, daß sie in kurzer Zeit wohlhabende Leute sein werden. Der Haziendero hat mich gesandt, sie hier zu empfangen und über Lobos ihm zuzuführen.«
»Aus welcher Gegend Deutschlands
2
Buchhalter.
3
Angeld, Draufgeld.