Der Waldläufer. Gabriel Ferry

Der Waldläufer - Gabriel  Ferry


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heftigen Kampfes, in den sein Gewissen mit seinem Ehrgeiz geraten war. Sollte er, so nahe dem Ziel, das er verfolgt hatte, zurückweichen müssen oder sich entscheiden, weiterzugehen? So wälzen die Ehrgeizigen unaufhörlich den schweren Felsblock des Sisyphus.

      Die Vorsehung, sagte der Spanier zu sich – und bei dem Wort Vorsehung flog ein bitteres Lächeln über seine Lippen —, bot mir die Gelegenheit dar, dem jungen Mann den Namen, die Ehre und die Güter, die er verloren hat, wiederzugeben. Diese gute Handlung meines reifen Alters hätte vielleicht das Verbrechen meiner Jugend gesühnt. Ich habe es verschmäht; ich verschmähe jetzt noch diese Gelegenheit; ist es nicht schon genug der Opfer für die Sache, der ich diene?

      Der Spanier kehrte zu Cuchillo zurück, der ihn aufmerksam beobachtete; aber der Schatten der Granatbäume hatte Don Estévans Gesicht dem lauernden Blick des Banditen entzogen. »Die Stunde ist da«, nahm er halblaut das Wort, indem er sich an Cuchillo wandte, »wo sich unsere Zweifel vielleicht lösen werden; aber erinnert Euch, daß, wenn ich mich herablasse, einen Mann in dem Augenblick zu belauern, wo sein Herz keine Geheimnisse haben darf, es nur geschieht, weil höhere Interessen mich zwingen, es zu tun; es geschieht aber keineswegs, um Euch von einer Tatsache zu überzeugen, deren Wirklichkeit Ihr nicht leugnen könnt. Erinnert Euch aber auch daran, daß Eure rachsüchtigen Pläne meinem Willen untergeordnet bleiben müssen!«

      Nach diesen letzten Worten, die nicht mehr mit jenem Spott gesprochen waren, der Cuchillo so sehr außer Fassung brachte, ging Don Estévan voran, und jener folgte ihm, indem er vor sich hinmurmelte: »Mein Freund Baraja soll niemals gehängt werden, wenn hier nicht genügend Grund vorliegt, daß jemand den Geschmack an guten Handlungen verliert, der zu solchen Albernheiten einen viel entschiedeneren Beruf hat als ich!«

      Man wird sich gewiß erinnern, daß Don Agustin in seiner Unterhaltung mit Don Estévan diesem letzteren alle vertraulichen Nachrichten Fray José Marias, Tiburcio Arellanos betreffend, mitgeteilt hatte. Der Spanier brauchte nur die auf Marcos‘ Mörder bezüglichen Punkte mit der Entdeckung, die Cuchillo sich hatte bezahlen lassen, in Verbindung zu bringen, um den Mörder im früheren Gefährten des Gambusinos zu entdecken. Das war einerseits ein glücklicher Umstand, da er den Banditen noch mehr in seine Gewalt brachte; andererseits aber war es kein Hindernis, daß nicht die Liebe Tiburcios zu Doña Rosarita den Plänen des edlen Spaniers ernstlich hemmend in den Weg trat.

      Der Sturm, der Tiburcio bedrohte, wurde also immer furchtbarer. Allem Anschein nach war er kurz vor dem Ausbruch, denn zu der gedemütigten Eigenliebe und der aufgeschreckten Rachsucht Cuchillos, deren Stimmen in seiner Brust grollten, kam auch noch – je nach dem Resultat seines Zusammentreffens mit Rosarita – der getäuschte Ehrgeiz des Herzogs von Armada.

      Tiburcio hatte sein Zimmer mit so viel Vorsicht verlassen, daß er sich schmeicheln konnte, jeder Beobachtung entgangen zu sein – besonders in dem Augenblick, wo alle Gäste der Hacienda sich auf ihre Zimmer zurückgezogen hatten —, aber der Zufall hatte ihn, wie wir eben gesehen haben, verraten.

      Obwohl die Nacht nicht so dunkel war, als Cuchillo und Don Estévan gewünscht hätten, um sich ungesehen zu nähern, so konnten sie doch ohne Geräusch an der Ringmauer entlangschlüpfen. Ein kleines, ziemlich dichtes Orangen- und Zitronenwäldchen, das einen süßen Duft ausströmte, den die Nachtluft in sich aufnahm, war der Ort, den man erreichen mußte. Glücklicherweise warf der Mond seine Schatten nach der Seite der Mauer hin, und jene konnten somit das Gebüsch unbemerkt gewinnen. Hier angelangt, hörten sie schon das bald unbestimmte, bald deutliche Murmeln der Fragen und Antworten. Als sie mit noch mehr Vorsicht mitten in das dichtbelaubte Holz geschlüpft waren, wurde es ihnen leicht, dank der Ruhe in der Luft, die von keinem Lärm unterbrochen wurde, auch die leisesten Worte zu verstehen.

      »Was Ihr auch hören mögt«, sagte Don Estévan Cuchillo leise ins Ohr; »bleibt ruhig wie ich.«

      Gut, dachte Cuchillo, ich allein bin jetzt beteiligt; eine Beleidigung gegen mich und nicht gegen dich habe ich zu rächen, und bei allen Teufeln, ich bin neugierig, zu erfahren, ob ich denn wirklich nichts weiter mehr bin als ein Dummkopf.

      Alle beide machten Anstalten zu hören und zu sehen. Ein Raum, den ein gewandter Mann mit zwei Sprüngen durchmessen konnte, ein schwacher Zaun von kleinen Zweigen und Blättern trennte sie allein von demjenigen, den sie belauschen wollten und der weit davon entfernt war, die Gefahr, in der er schwebte, zu ahnen.

      Wenn die spanischen Sitten heutzutage in Spanien nicht mehr ganz so sind wie vor zwei Jahrhunderten, so hat doch Mexiko sie in ihrer ganzen traditionellen Reinheit bewahrt. Der Fremde, der in die großen Mittelpunkte mexikanischer Bevölkerung kommt, kann sich leicht einbilden, plötzlich mitten in eine Stadt des Mittelalters versetzt zu sein. Es ist fast, als ob er plötzlich eine aus der Erde wiedererstandene Gesellschaft vor sich sähe mit den fremdartigen Sitten, dem malerischen Anzug und den barbarischen Bräuchen der Zeit vor dreihundert Jahren. Der Reisende in Mexiko wird ohne Zweifel an der Oberfläche einen schwachen Abglanz europäischer Gesittung finden; im Grunde aber hat das seltsame, fremdartige Wesen sich noch gar nicht verloren. In den fernen Gegenden, wo die Ereignisse dieser Geschichte sich zutragen, in jenen abgelegenen Provinzen, an deren Grenzen indianische Wildheit tobt, findet man nicht einmal mehr diese oberflächliche Ähnlichkeit mit Europa, und der Schriftsteller, der hier die Sitten schildern will, muß sich darauf gefaßt machen, wider seinen Willen zu jenen Episoden zurückgehen zu müssen, die aus den Zeiten Guzmáns von Alfarache, Don Juans de Maraña und aller jener Helden mit Mantel und Schwert aus der spanischen Überlieferung entlehnt zu sein scheinen.

      Anfänglich, eine Zeit hindurch – und die Zeit schien den beiden Lauschern sehr lang —, hörten sie nur jene gewöhnlichen Redensarten eines Liebenden, der sich in zärtlichen Klagen und Vorwürfen ergießt, die er für wohlverdient hält; der sich in Beweisen erschöpft, die ihm unumstößlich scheinen, während die Frau sie spielend mit jener freien, bestimmten und fest geschlossenen Logik widerlegt, die sie mit so großem Erfolg gegen den Mann anwendet, den sie nicht liebt. War Tiburcio wirklich ganz in dem Fall, wo das Ohr der Frau taub ist, weil ihr Herz stumm bleibt? Das Folgende wird es uns lehren; fassen wir zunächst den Anblick der Szene auf, wie sie sich unter den Augen Don Estévans de Arechiza und Cuchillos gestaltete.

      Ein schwacher Lichtglanz, der sich aus dem offenen Fenster Doña Rosaritas hervorstahl, verlor sich auf dem Sand des Gartens. Hinter starken Eisenstäben stand aufrecht das junge Mädchen, weiß gekleidet, in einer Stellung voll Anmut und Ungezwungenheit, und trat aus der erleuchteten Fensternische wie eine geheimnisvolle, strahlende Erscheinung hervor. In einer solch milden, balsamischen Nacht war sie womöglich noch verführerischer als im Salon der Hacienda; denn gerade durch das Gitter ihres Balkons hindurch scheinen die Frauen spanischen Ursprungs den mächtigsten Zauber auszuüben. Der seidene Schleier umhüllte ihr Haupt, und dessen zarte Falten wogten bei jeder unwillkürlichen Bewegung wie die Federn der Taube über Hals und Schultern. Man konnte am Fenster, das zur ebenen Erde war, durch das Gitter hindurch ihre elegante Taille bemerken und bis zum kleinen Schuh hinblickten, den sie trug.

      Tiburcio hatte die Stirn gegen die Stäbe gestützt und schien sich zu beugen unter einem harten, unwiderruflichen Ausspruch oder einer verzweifelten Überzeugung. »Ach«, sagte er, »ich habe nicht wie Ihr, Rosarita, den Tag vergessen, an dem ich Euch das erstemal im Wald sah. Bei der düsteren Abenddämmerung konnte ich von Eurer Gestalt nur einen Schatten unterscheiden; aber einen Schatten, verführerisch wie der des Geistes dieser Wälder. Schon in Eurer Stimme schien mir eine solche Anmut zu liegen, wie sie die Stimmen, die ich bis dahin gehört hatte, nicht besaßen.«

      »Ich habe den Dienst, den Ihr uns geleistet habt, nicht vergessen, Tiburcio«, sagte das junge Mädchen; »aber wozu nützt es, eine Zeit zurückzurufen, die nicht mehr ist?«

      »Eine Zeit, die nicht mehr ist? Nennt ihr so den Zeitpunkt, wo mir mein Leben erst anzufangen scheint? Aber diese Zeit ist nicht vergangen für mich; mir ist, als ob es gestern gewesen wäre. Denn«, fuhr Tiburcio fort, der melancholisch alle Blätter seiner Erinnerung zerpflückte, wie man einen Strauß, den eine treulos gewordene Hand uns gereicht hat, nach und nach entblättert und dabei doch jede Blume bedauert, »so strahlend auch die Schönheit war, die mir erschien, als die Flamme der Feuerstätte nach und nach Eure Gestalt beleuchtete – ich hatte sie doch schon am Klang Eurer Stimme erraten, an dem Empfinden, in das sie mich versetzte.«

      Wenn


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