Jenny. Fanny Lewald

Jenny - Fanny  Lewald


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Clara mit Thränen in den Augen vor ihm stand, mit Thränen, die, wie ihre Mutter meinte, einer übertriebenen Dankbarkeit flossen, fand sie endlich so viel Muth in sich, leise die Hoffnung auszusprechen, der hilfreiche Arzt, dem sie zu Dank verpflichtet sei, werde auch künftig sich dem Hause ihrer Eltern nicht ganz entziehen. Die Commerzienräthin konnte es also füglich auch nicht wohl vermeiden, eine ähnliche Einladung an ihn ergehen zu lassen, und trotz aller gefaßten Entschlüsse, trotz seiner Grundsätze, freute sich Eduard dieses mit Widerstreben gethanen Vorschlags. Aber wer will ihn der Schwäche zeihen, der selbst geliebt hat? Erinnert euch, wie eure Vorsätze zu Grunde gingen, wenn in der Trennungsstunde die Geliebte bittend vor euch stand! Fragt euch, ob die Sehnsucht nach der Gegenwart der Geliebten nicht stärker war, als jeder Entschluß, den die Vernunft euch vorgezeichnet hatte!

      Nachdem Eduard eine förmliche Einladung zu einem Mittagbrod im Hause der Commerzienräthin erhalten hatte, bei dem er mit vielen der angesehensten Männer der Stadt zusammengekommen war, die ihn kannten und hochschätzten, nachdem die stolze Wirthin es einmal über sich gewonnen hatte, einen Juden als Gast an ihrer Tafel zu dulden, fand es Clara nicht schwer, eine zweite Einladung für ihn zu erwirken, besonders da Ferdinand, nach heftigen Zerwürfnissen mit seinem Vater, seine sogenannte große Tour angetreten hatte, und so lange in London in dem Hause seines Onkels bleiben sollte, als William auf dem Continent verweilen würde. Statt also in ihren Absichten durch Ferdinand gehindert zu werden, fand sie dieselben durch das Zureden ihres Vetters wesentlich gefördert; und ihre Eltern ließen sich bereit finden, den Wünschen ihrer Tochter und William’s nachzugeben, da nach Clara’s Herstellung das Heirathsprojekt für diese wieder aufgenommen wurde, und die Commerzienräthin auf’s Neue die zärtlich nachgebende Mutter spielte, um desto leichter das vorgesteckte Ziel zu erreichen. Dazu kam, daß der bisherige alte Hausarzt der Horn’schen Familie gerade jetzt, nachdem er sein Jubiläum feierlich begangen hatte, seine Praxis niederlegte, und der Commerzienräthin selbst den Vorschlag machte, Eduard zu ihrem Arzte zu erwählen, wodurch er gewissermaßen von Rechtswegen in die Zahl der Hausfreunde mit aufgenommen wurde. Seine fleißigen Besuche schrieb Madame Horn der Ehre zu, die ihm durch seine Wahl widerfahren sei und die er zu schätzen wisse; und daß Clara’s Interesse für den Doctor andere Motive, als Erkenntlichkeit haben könne, war ein Gedanke, der ihr niemals einfiel, weil sie die Liebe ihrer Tochter zu einem Juden für eine Naturverirrung angesehen haben würde, die sie einem Mädchen aus ihrer Familie unmöglich zutrauen konnte.

      Das Jahr näherte sich seinem Ende, als Eduard fast ein täglicher, und selbst von den Eltern gern gesehener Gast des Horn’schen Hauses geworden war. Der Commerzienrath, der durch seine Geschäfte fortwährend mit den jüdischen Bankiers in Berührung kam, und den alten Meier persönlich achtete, war natürlich weniger hartnäckig in seinem Widerwillen gegen die Juden; und Eduard hatte, schon während er Clara behandelte, sich das volle Zutrauen ihres Vaters gewonnen. Hughes schloß sich immer mehr an Eduard an, und diesem war das um so lieber, als er durch ihn in fortwährender Berührung mit Clara blieb, deren unzertrennlicher Begleiter der Cousin seit Ferdinands Abwesenheit geworden war.

      Für Clara begann nun eine Zeit der reinsten Freude. Eduard überließ sich mit jugendlicher Lebendigkeit der Wonne, die ihm das Beisammensein mit der Geliebten gewährte, ohne an die Zukunft zu denken, weil die Gegenwart ihn hinnahm. Hughes, dem Clara mit der schwesterlichsten Traulichkeit begegnete, gerade weil ihr Herz mit Eduard allein beschäftigt war, Hughes fühlte eine wachsende Neigung für sie, der er sich sorglos hingab, da er wußte, daß sie die Wünsche beider Familien für sich habe. Er gehörte zu jenen ruhigen, trefflichen Menschen, die bei wahrem Gefühle doch keiner Leidenschaft fähig sind. Er gewann Clara lieb, er liebte sie sogar innig, aber das störte ihn weder in den Beschäftigungen und Zerstreuungen des Tages, noch raubte es ihm eine Stunde des Schlummers während der Nacht. Unermüdlich aufmerksam auf Alles, was Clara erfreuen konnte, stets besorgt, ihr Unangenehmes zu ersparen, war er ganz zufrieden mit dem Wohlwollen, das sie ihm bewies, und des Doctors Einfluß auf seine Cousine beunruhigte ihn nicht, da er mit offenem Vertrauen an Beiden hing. Eduard hinwiederum entgingen die Gefühle nicht, die William für Clara hegte, aber so fest glaubte er an ihres Herzens Wahrhaftigkeit, daß nie ein Gedanke von Eifersucht in ihm rege wurde. Wenn dann aber plötzlich die Frage in ihm hervortrat, was die Zukunft ihm bringen werde, was das Ende von allen diesen Verhältnissen sein könne? dann zog sich eine düstre Wolke auf seiner Stirn zusammen. Er sagte sich, daß er schlecht, daß er unredlich handle, er rief es sich zurück, wie fest der Entschluß, Clara zu meiden, einst in ihm gewesen sei, und fand nicht Frieden, nicht Ruhe, bis er in Clara’s Nähe Alles wieder vergaß, außer seiner Liebe für sie.

      Da er den ganzen Tag beschäftigt und Abends häufig im Hornschen Hause war, anderer Einladungen nicht zu gedenken, an denen es dem beliebten Arzte nicht fehlte, mußte er natürlich in seinem elterlichen Hause seltener werden, obgleich er das Mittagsmahl regelmäßig mit den Seinen einnahm, und oft ängstlich nach Muße strebte, um sie den Eltern zu widmen. Die nächste Folge davon war, daß Jenny aus Mißmuth, wie sie sagte, sich an Joseph zu gewöhnen begann, und Zutrauen zu ihm faßte. Denn Reinhard hielt sich in scheuer Entfernung, er mißtraute sich und der Geliebten. Eduard war, um Jenny’s Worte zu brauchen, der Fahne untreu geworden, und auf dem Punkte, zu desertiren. Erlau malte die Giovanolla und folgte ihr von früh bis spät. Steinheim endlich hatte zum zehnten Male eine jener literarischen Arbeiten vorgenommen, deren er immer ein halb Dutzend unter den Händen hatte, die ihn ein paar Wochen lang beschäftigten und ihm unsterblichen Ruhm verschaffen sollten, die aber niemals fertig wurden, weil er weder Ruhe noch Fleiß genug dazu besaß, und somit war die Meiersche Familie jetzt mehr allein, als es sonst der Fall zu sein pflegte.

      Dieser Zustand wurde der lebhaften Jenny unerträglich. Gepeinigt durch Reinhard’s Benehmen, das sie sich nicht zu deuten vermochte, gelangweilt durch die ungewohnte Einsamkeit und Stille des Hauses, tauchte einst plötzlich in ihr der Entschluß auf, Reinhard’s Zweifeln, die ihrer Meinung nach nur aus dem verschiedenen Glauben entspringen konnten, ein Ende zu machen, und zugleich dem Geliebten einen überzeugenden Beweis ihrer Liebe zu geben, indem sie sich von der Religion ihrer Väter, ihrer Eltern trennte und zum Christenthum überträte, dessen Lehren ihr durch Reinhard lieb geworden waren.

      Dieser Vorsatz, einmal gefaßt, kam ihr nicht mehr aus dem Sinn. Therese, der sie ihn zuerst als das tiefste Geheimniß mittheilte, ohne jedoch die wahren Motive anzugeben, zerfloß in Thränen der Freude bei dem Gedanken, daß ihr Jenny künftig auch durch den gleichen Glauben angehören wolle. Sie malte mit rührender Inbrunst den Segen, der Jenny in dem Besuch der Kirche, in dem Genusse des heiligen Abendmahls zu Theil werden müsse; sie schilderte ihr die Ruhe, den Himmelsfrieden, den sie nach demselben empfunden, und Jenny, deren ganze Seele gerade jetzt in der furchtbarsten Unruhe befangen war, fühlte sich dadurch in ihrer Ansicht bestärkt, und fing an, auch die Eltern allmälig auf ihre Wünsche vorzubereiten. Diese nahmen es anfänglich leicht. Sie hielten es für eine jener enthusiastischen Aufwallungen, die sie an ihrer Tochter gewohnt waren, und mit denen sie sich ebenso gut für das Christenthum und einen allgemeinen Kreuzzug, als für das Judenthum und die Begründung eines neuen jüdischen Reiches begeistern konnte. Nur Joseph faßte es anders auf. Er kannte die geheimen Triebfedern, die hier im Spiele waren, und ein doppeltes Interesse flößte ihm den Wunsch ein, die Ausführung oder das Ausbilden dieses Gedankens bei Jenny zu verhindern.

      Eines Tages, als man vom Mittagstische aufgestanden war, Eduard sich entfernt, und die Eltern eine kleine Spazierfahrt unternommen hatten, die Jenny mitzumachen abgelehnt, blieb sie mit Joseph allein in dem Eßzimmer zurück und das Gespräch wandte sich bald auf das Christenthum und Jenny’s beabsichtigten Uebertritt, da Joseph sowohl als Jenny gleich lebhaft bei dem Thema betheiligt waren.

      Was ist es denn eigentlich, fragte Joseph, was Dich so urplötzlich zu dem Entschlusse gebracht hat?

      Urplötzlich kannst Du ihn nicht nennen, antwortete sie. Ich habe bis jetzt überhaupt nicht über mich selbst nachgedacht; ich habe wie ein Kind in den Tag hineingelebt. Nun ich älter werde und ernster über mich nachdenke, fühle ich, daß die Halbheit, in der ich erzogen bin, mich nicht befriedigt, daß ich nicht glücklich bin, und ich will das ändern.

      Joseph lächelte unwillkürlich. Und Du hoffst, das Christenthum werde Dich glücklicher machen? Täusche Dich doch nicht! Der Glaube, der Friede, der nicht in uns ist, den bringt kein Wechsel der Religion


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