Jenny. Fanny Lewald
nur die Leidende, die Kranke, sondern immer das schöne Weib gesehen hatte. Ihre Liebenswürdigkeit, ihr ruhiger Verstand waren ihm von Tag zu Tag anziehender geworden, und er konnte es sich nicht verbergen, daß Clara für ihn das Ideal eines Mädchens sei.
So hatte er sich seine Geliebte gedacht, so seine künftige Frau gewünscht, und sollte er sich nicht auf dem Gipfel des Glückes wähnen, da Clara ihn liebte? Er konnte nicht daran zweifeln. Jeder Blick, jedes Wort des schönen Mädchens verriethen ihm, ihr selbst unbewußt, eine Neigung, die bei diesem tiefen Gemüthe stark und dauernd werden mußte. Alle seine Pulse schlugen warm bei der Ueberzeugung, Gegenliebe gefunden zu haben, wo sein Herz sie so sehnlich begehrte. Er hatte einen Augenblick hindurch ein Gefühl jenes Glückes, das den Menschen für jahrelanges Entbehren schadlos hält; dann aber zuckte sein Herz kalt und krampfhaft zusammen unter der rauhen Berührung der Wirklichkeit. Er hatte sich es ausgemalt, wie Clara, seine Liebe erwidernd, mit ihm vor seinen Eltern erscheinen würde, um diesen Bund segnen zu lassen — aber war das möglich?
Thor! rief er aus, kindischer Thor! wohin hast Du Dich verirrt! Und er stand still und sah hinab in die schäumenden Wellen, die so unruhig wogten, wie sein gequältes Herz. Da brach der Mond durch die dunkeln Wolken, und glänzte einen Augenblick in dem Wellengekräusel wieder, das sich vor den milden Strahlen zu beruhigen und zu ordnen schien; und der Mond dünkte ihm ein klares, lichtes, unerforschliches Auge zu sein, das auf das wilde Meer seines Lebens besänftigend herniederschaute. Das Herz that ihm unbeschreiblich weh, die Thränen traten ihm in die Augen. Gott! Gott! rief es in ihm, warum mußte ich in Verhältnissen geboren werden, die mir bei jedem Schritte hemmend entgegentreten? Warum muß ich von Allem, was meine Seele am glühendsten begehrt, geschieden sein? Warum mir dies Leben des Kämpfens und Entbehrens?
Vor ihm lagen die Schiffe in lautloser Stille, die Wachen gingen, um sich zu erwärmen, mit großen Schritten auf dem Deck umher; hier und dort schimmerte ein Licht aus den kleinen Fenstern der Kajüten. Er fühlte die Nähe von Menschen, er sah, daß auch sie ein schweres, saures Tagewerk zu erfüllen bestimmt waren, und doch beneidete er ihr Geschick und ihren ruhigen Schlummer. Mochte der Schiffer noch so lange von der Heimath getrennt sein, einst kehrt er doch zurück in ein Land, dessen Bürger, dessen eingeborner Sohn er ist, das ihn schützt in allen seinen Rechten; und die Gattin, die er unter allen Mädchen frei erwählte, sinkt an seine Brust, ohne daß der Glaube, wie ein drohendes Gespenst, zwischen sie tritt und mit kalter Hand die warmen Herzen trennt. Was bot das Leben ihm? Kränkungen waren ihm geworden, seit er zum ersten Bewußtsein erwacht war; weder Mühe noch Fleiß war ihm vergolten worden, wie er es gewünscht hatte und zu hoffen berechtigt war. Nun hatte sein herz sich dem hemmenden Einflusse allmälig entzogen, es war neu belebt und erblüht in dem erwärmenden Hauch einer edlen Liebe, er hatte die Gefährtin gefunden, an deren Seite er den Lebensgang zu gehen begehrte — und wieder trat das alte Schreckbild zwischen ihn und sein Glück. — Aber war dies Schreckbild nicht zu bannen? Warum sollte er nicht, wie tausend Andere, einem Glauben entsagen, dessen Form allein ihn von der übrigen Menschheit trennte? Was band ihn an Moses und seine Gesetze? Es sträubte sich bei diesen ebenso viel gegen seine Vernunft, als bei den Lehren Jesu. Warum nicht einen Aberglauben gegen den andern vertauschen, und mit der Geliebten vereint zu dem allmächtigen Wesen beten und rein vor seinen Augen wandeln? — Aber war es denn allein der Glaube, den er zu verleugnen hatte? War es nicht auch das Volk, in dem er geboren war, von dem er sich losreißen mußte? Das uralte Volk, das in tausendjährigen Kämpfen seine Selbstständigkeit zu wahren und damit seine innere Mächtigkeit zu bekunden gewußt hat? — Kann man sich losreißen von seinem Volke? fragte er sich, darf ich um meiner Selbstbefriedigung willen mich von meinem Volke trennen, weil es ungerecht mißachtet, weil es unterdrückt wird? — Nimmermehr! — Unzählige meiner Stammesgenossen haben ausgeharrt in Treue, haben Verbannung und Tod erlitten um ihres Glaubens und ihres Volkes willen, und ich wäre feig genug, auf meines Herzens Wünsche nicht verzichten zu können, während die Meinen leben und mich lieben, während es mir gegeben und geboten ist, so viel ich vermag, für die unterdrückte Nation zu wirken, der ich angehöre; sie frei zu machen aus Sklavenfesseln, die Jahrhunderte auf ihr lasten. Wie mag ich mein Glück, das Glück des Einzelnen, so hoch schätzen, während mein ganzes Volk nicht glücklich ist! Ehe ich meineidig werde an den Meinen und an meiner Ehre, mag dies Herz brechen in Sehnsucht nach der Geliebten, nach meiner süßen, schönen Clara! Und wieder und immer wieder wollte der männliche Entschluß wankend werden, bei dem Gedanken an die Geliebte. Eduard malte es sich aus, wie auch Clara’s Seele leiden werde unter der Trennung, die er über sie und sich verhängen müsse — wie sie ihm zürnen werde, weil er so großes Weh über sie bringe — und doch vermochte er noch weniger den Gedanken zu ertragen, sich und ihr durch die Taufe alle diese Schmerzen zu ersparen und sich mit ihr zu verbinden. Er war entschlossen und resignirt, aber tief traurig, als er langsam den Rückweg nach seiner Wohnung antrat. Reiflich überlegte er, wie er sein künftiges Betragen gegen Clara einrichten werde, wie kein Blick, kein Wort das Gefühl seiner Brust enthüllen solle, und das bleiche Licht eines Wintertages sah bereits durch seine Fenster, ohne daß Eduard daran gedacht hätte, sich zur Ruhe zu legen. Der Morgen fand ihn todtmüde in einem Lehnstuhl sitzen, erfreut über die körperliche Abspannung, die ihn das geistige Leid weniger zerreißend empfinden ließ.
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Ein Jeder hat es gewiß erfahren, wie in einem Kreise befreundeter Menschen sich allmälig eine Epoche vorbereitet, in der unvorhergesehene Ereignisse eine gänzliche Umgestaltung der Verhältnisse hervorrufen. Es ist, als ob ein Jeder sich mit einem Male bewußt geworden sei, was er wolle und müsse; und wo noch vor kurzer Zeit nur Keime vorhanden waren, steht schnell emporgewachsen eine reife Ernte da. Aber dem Erscheinen solcher Zeitpunkte gehen in den Familien, wie in der Natur bei der Ernte, heiße, schwere Tage voraus, in denen die Luft drückend und unheilschwer über uns liegt und sich in gewaltsamen Gewitterstürmen abkühlt. Wir fühlen den herannahenden Orkan, eine Unruhe überfällt uns, wir zagen vor dem entscheidenden Momente, und sehnen ihn doch ungeduldig herbei, um in der erfrischten Atmosphäre frisch und frei aufathmen zu können.
Ein solcher Zeitpunkt war für den Kreis von Menschen herangerückt, in dessen Mitte diese Erzählung uns führt. Jeder der Betheiligten fühlte, daß ein entscheidender Schritt geschehen müsse, und Keiner hatte den Muth, ihn zu thun. Eduard hielt es sich als eine Nothwendigkeit vor, Clara zu verlassen, ehe das Scheiden ihm und ihr noch schwerer werde, und konnte es doch nicht über sich gewinnen, ihre Behandlung fremden Händen zu übergeben, die leicht weniger geschickt und sorgsam sein konnten, als die seinen. Wenigstens täuschte er sich über seine Unentschlossenheit mit dieser scheinbaren Pflichterfüllung. — Jenny begriff es nicht in liebender Ungeduld, warum Reinhard zögere, ihr ein Geständniß zu machen, dessen es kaum noch bedurfte, während dieser selbst ernst mit sich zu Rathe ging und, je mehr er sich und Jenny prüfte, um so ängstlicher über den Erfolg einer Verbindung mit der Geliebten wurde.
In dieser peinlichen Unruhe vergingen einige Wochen. Clara’s Genesung war so weit vorgeschritten, daß Eduard nur noch bisweilen ihr väterliches Haus besuchte, um sich nach dem Zustande seiner Kranken zu erkundigen, und vor Allem, um sie zu sehen, um mit ihr über Alles zu sprechen, was seine Seele in Anspruch nahm. Vor ihr hatte er sich gewöhnt, alle Regungen seines Herzens, alle Gedanken seines Geistes zu enthüllen. Er hatte sie eingeweiht in das Glück und in das Leid, das er um seiner Abstammung willen erduldet, und während er sich die Genugthuung gönnte, der Geliebten von sich und seinem früheren Leben zu erzählen, hatte er gehofft, es Clara dadurch zugleich deutlich zu machen, wie sie getrennt wären durch das Vorurtheil der Menschen, und wie er niemals daran denken könne, sie sein Weib zu nennen. Anders aber, als er es berechnet hatte, wirkten diese Schilderungen auf das liebende Herz des Mädchens. Sie wünschte und fühlte in sich die Macht, ihn zu entschädigen für Alles, was fremde Unduldsamkeit an ihm verbrochen hatte; sie wollte ihm zeigen, daß sie wenigstens die Vorurtheile der Menge nicht theile. Darum sprach sie offen von ihrer Achtung und Verehrung für ihn, darum hatte sie tausend jener kleinen Aufmerksamkeiten ihm gegenüber, in denen weibliche Liebe so erfinderisch ist, und die, allen Andern unbemerkbar, sicher den Weg in das Herz Dessen finden, dem sie gelten. Sie war tief ergriffen von seiner ihr bisher fremden und doch so freien Weltanschauung; die Wahrheit seiner Worte prägte sich ihr so deutlich und unbestreitbar ein, daß auch in dieser Beziehung der Geliebte ihr zum Ideal wurde. Ein Tag, an dem sie