Jenny. Fanny Lewald

Jenny - Fanny  Lewald


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als Jenny bei der wiederholten Frage: »Sprecht, ist das Liebe, was hier so brennt?« ihn muthwillig ansah, und ganz unmerklich für jeden Andern, ihm ein freundliches »Ja« mit den schönen Augen zunickte.

      Bald war das Finale des zweiten Actes mit seinem rauschenden Prestissimo vorüber. Reinhard verließ seinen Platz, und eilte, in die Nähe der Geliebten zu kommen. Es war ihm, als müsse er nun in Einem Worte alles Leiden und Hoffen der letzten Monate vor ihr enthüllen, als müsse er sie an seine Brust schließen und ihr danken für das Glück, das sie ihm in dieser Stunde gegeben. Er hätte das zarte Mädchen auf seinem Arm forttragen mögen, sich durchkämpfend durch eine Welt von Hindernissen, um das süße Kleinod ganz allein zu besitzen, um es an einen Ort zu bringen, wo kein begehrender Blick Diejenige träfe, die sein Ein und Alles war.

      Und als er die Thür der Loge geöffnet hatte, als Jenny sich umwendete, und er das Rauschen ihres seidenen Kleides hörte, da wußte er kein Wort zu sagen. Er sprach einige gleichgültige Dinge mit ihrer Mutter, hörte, wie seine Mutter sich freute, daß er noch so spät gekommen sei, und setzte sich schweigend neben Jenny nieder.

      Sie fühlte das Peinliche seiner Lage und auch sie war befangener, als jemals. Endlich brachte sie stockend die Worte hervor: Ich habe Herrn Reinhard schon beim Beginn des zweiten Actes gesehen.

      Und warum sagtest Du das nicht gleich? fragte ihre Mutter.

      Ich dachte, ich wußte nicht, stotterte Jenny ganz verwirrt, bog sich zur Pfarrerin nieder, küßte ihr die Hand und bat, als ob sie ein Unrecht gut zu machen hätte: ach, sein Sie nicht böse!

      Beide Frauen nahmen das lächelnd für eine von Jenny’s Launen, und gaben nicht weiter auf sie Acht, als abermals der Vorhang emporrollte und das Duett zwischen Susanna und dem Grafen ertönte.

      Für Reinhard sang der Graf nicht vergebens: »So lang’ hab’ ich geschmachtet, ohn’ Hoffnung Dich geliebt«; er fühlte dabei die Trostlosigkeit der verflossenen Tage auf’s Neue, und Jenny konnte sie in dem beredten Ausdruck seines Auges lesen, ohne daß sie ein Wort mit einander zu sprechen brauchten. Sie fühlte mit Reinhard, als die Musik aufjubelte, bei der Stelle: »So athm’ ich denn in vollen Zügen der Liebe, der Liebe süßes Glück«, und Beide versanken mit dem Gefühle seliger Gewißheit in jene Träumereien, die wohl Jeder von uns gefühlt hat, wenn ein großes, heißersehntes Glück endlich von uns erreicht worden ist.

      Die Oper war zu Ende, ehe das junge Paar es vermuthete. Reinhard bot Madame Meier den Arm, während Jenny mit seiner Mutter ging. In der Vorhalle traf man Eduard mit Hughes und Erlau, und verabredete, daß er die beiden Herren zum Thee mitbringen solle, zu dem Madame Meier auch die Pfarrerin und Reinhard einlud. Der Letztere geleitete die Damen zu ihrem Wagen, stieg mit ihnen hinein, und als sie wenige Augenblicke darauf in das Portal des Meierschen Hauses einfuhren, als er Jenny die Hand zum Aussteigen bot, und diese kleine Hand in der seinen bebte, konnte er es sich nicht versagen, sie leise zu drücken und zu halten, während sie die ersten Stufen der Treppe hinaufstiegen. So hält man ein Vögelchen fest, das man eben gefangen hat, weil man sich des Besitzes bewußt werden will, weil man fürchtet, es könne uns entfliehen; aber scheu und leicht, wie ein kleiner Vogel, machte Jenny ihre Hand frei, ging eilig die Treppe hinauf und in das Theezimmer, wohin Reinhard ihr folgte.

      Der Vater brachte den Abend außer dem Hause zu; die Damen setzten sich also gleich an den Theetisch, und wenig Augenblicke später erschienen die erwarteten Herren.

      Nun, was sagen Sie heute zur Giovanolla? fragte Erlau, sobald er Platz genommen hatte. Sie müssen gestehen, reizender, anmuthiger kann man nicht sein. Ich hätte nie geglaubt, daß es möglich sei, bei so großartiger Schönheit diesen Eindruck soubrettenhafter Koketterie zu machen, und sie hat sich heute in der Susanna als eine große Künstlerin gezeigt.

      Ich denke, erwiderte Madame Meier, so gar viel Kunst bedarf sie nicht, um sich so darzustellen, als sie ist.

      Im Gegentheil! das ist ja die schwerste Aufgabe, sich selbst zu spielen; aber diese hat sie nicht zu lösen gehabt, denn kokett ist die Giovanolla nicht. Wahrhaftig nicht! rief er, als die Andern zu lachen anfingen. Sie weiß, daß sie ein Ideal von Schönheit ist, und besitzt Großmuth genug, sich den Augen der staunenden Mitwelt in all der Vollendung zeigen zu wollen, deren sie fähig ist. Ich mußte heute bei jeder ihrer Bewegungen meine Freude zurückhalten, um nicht fortwährend den Leuten zuzurufen, daß sie ein klassisches Modell vor Augen hätten. O! ich habe im Geiste die wundervollsten Studien gemacht, und die Nachwelt soll sich noch am Bilde dieses Weibes erfreuen, wenn mein Talent mit meinem Willen gleichen Schritt hält.

      Während Du an die Nachwelt dachtest, sagte Eduard, überlegte ich, daß es wohl keine größere Thorheit gibt, als die Jugend an solchen Darstellungen Theil nehmen zu lassen, in denen die Sitten einer sittenlosen, verderbten Vorzeit so anmuthig und so einschmeichelnd dargestellt werden.

      Der Meinung bin ich auch, bekräftigte Reinhard. Ich will nicht leugnen, daß dieser Abend zu den schönsten meines Lebens gehört, so viel Freude hat er mir gebracht, und doch peinigte es mich, die Logen voll von jungen Damen zu sehen.

      Damit tadeln Sie mich, lieber Reinhard! unterbrach ihn Jenny’s Mutter. Sie wollen mir sagen, was Eduard schon mitunter äußerte, daß wir Mütter mit der Erziehung unserer Töchter nicht sorgfältig genug zu Werke gehen. Ich glaube aber, daß es dem reinen Sinn eines unverdorbenen Mädchens eigen ist, an einem schönen Bilde nur die Schönheit, und nicht gleich die Flecken und Fehler zu sehen, die es entstellen. Darum haben mein Mann und ich nie Bedenken getragen, unserer Tochter manches Buch in die Hände zu geben, sie an manchen Dingen Theil nehmen zu lassen, die man ihrem Alter sonst vorenthält.

      Gewiß ist das häusliche Beispiel und die innere Seelenbildung die Hauptsache bei weiblicher Erziehung, sagte Hughes. Sonst müßten ja in Frankreich, wo man die Mädchen bis zu ihrer Verheirathung in klösterlicher Einsamkeit hält, die Sitten besser sein, als bei uns in England und hier in Deutschland, wo man der Jugend viel größere Freiheit verstattet; und gerade hier beweist doch die Erfahrung, daß die französische Zurückgezogenheit keine lobenswerthen Erfolge aufweist.

      Weil in Frankreich der ganze Zustand der Gesellschaft ein verderbter, ein aufgelöster ist; weil die Bande der Ehe dort locker geworden sind, und das Haus, die Familie aufgehört haben, der Mittelpunkt zu sein, von dem Alles ausgeht. Was kann es nützen, ein Mädchen in den strengsten Grundsätzen zu erziehen, wenn der erste Schritt ins Leben ihr zeigt, daß weder ihre Eltern, noch ihr Gatte an diese Grundsätze glauben; wenn sich das junge, liebebedürftige Herz verrathen sieht, vielleicht um einer Tänzerin willen, die nicht werth ist, der Schuldlosen die Schuhriemen zu lösen. Wenn dann das böse Beispiel dazu kommt, das die sogenannten modernen Romane und das Theater bieten, da braucht man sich freilich über die Erfolge in Frankreich nicht zu wundern, eiferte Eduard.

      Aber bei uns, mein Sohn! wandte seine Mutter ein, ist doch der Zustand der Frauen und der Gesellschaft überhaupt ein ganz anderer. Deshalb scheint mir, Du übertreibest den Nachtheil, den Theater und dergleichen auf junge Gemüther ausübt, und wir Deutschen können unseren Töchtern ruhig diese Genüsse gewähren.

      Im Gegentheil, liebe Mutter! weil bei uns der Mann sein Haus noch für den Tempel seines Glückes, die geliebte Frau für die Hohepriesterin desselben hält, weil er Ruhm, Ehre und Alles, was er ist und erwirbt, diesem Tempel und seiner Priesterin darbringt, weil sein Hoffen und Fürchten in diesen Kreis gebannt ist und er immer wieder dahin zurückkehrt, sobald das Leben mit seinen gebieterischen Forderungen ihn frei läßt; darum haben wir deutschen Männer ein Recht, zu verlangen, daß auch kein unreiner Hauch die Seele eines Mädchens berühre, dem so viel geopfert wird.

      Und wie hoch, wie heilig ist uns das Mädchen, das wir lieben! rief plötzlich Reinhard, der bis dahin schweigend zugehört hatte, als ob er aus tiefen Gedanken zu sich käme. Wenn ein Mädchen wüßte, wie schwer und heftig der Kampf ist, den der Mann zu kämpfen hat, ehe er willig und für immer auf seine Ungebundenheit verzichtet, ehe er seine Freiheit opfert! Nur einem Wesen, das man mehr liebt als sich selbst, das man gleich einer Gottheit heilig hält, kann man so unterthan werden, als die Liebe es uns dem Weibe macht. Wer aber ertrüge den Gedanken, daß die Gottheit unsres Herzens unwürdigen Festen beiwohnt? Wer wollte es ruhig ansehen, daß ihr Auge von unreinem Anblick berührt würde? Ich könnte


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