Jenny. Fanny Lewald

Jenny - Fanny  Lewald


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Christen gegen seine Glaubensgenossen ausüben sehen. Er konnte sich nicht denken, daß das Recht und die Wahrheit sich auf einer Seite befänden, die so zu handeln im Stande war, und Verfolgung machte auch ihn, wie tausend Andere zu allen Zeiten, nur fester seinem Volke angehörig.

      Er hatte sich aber in jener Zeit gewöhnt, sich in der Opposition zu empfinden und das Gefühl verließ ihn nie wieder, weil er beständig in Verhältnissen lebte, die dazu gemacht waren, seine Opposition hervorzurufen.

      Da Eduard keine Neigung für den Kaufmannsstand hegte, beschlossen seine Eltern, ihn studiren zu lassen, wobei ihm freilich nur die Wahl blieb, Mediziner zu werden, oder nach beendigten Studien in irgend einem andern Fache als Privatgelehrter zu arbeiten, da ihm der Eintritt in eine Staatsstelle ebenso wie die Erlangung eines Lehrstuhles als Jude unmöglich waren. Er entschied sich für das Erstere und verließ das Vaterhaus, um die Universität zu beziehen.

      Glücklicherweise herrschte damals auf den Hochschulen ein freier akademischer Geist, und die neuen Verhältnisse übten auf Eduard einen guten Einfluß aus. Hier galt er selbst, sein eigenstes Wesen, ohne daß ihn Jemand fragte, wer bist Du? und was glaubst Du? Sein Geist, seine körperliche Gewandtheit erwarben ihm die Achtung seiner Genossen, sein Fleiß, das Wohlwollen der Lehrer, und die Bereitwilligkeit, mit der sein reichlich gefüllter Beutel Allen offen stand, die Sorglosigkeit und Genußfähigkeit, die er zu jedem Feste brachte, machten ihn bald zum Lieblinge der ganzen Burschenschaft, der er sich mit jugendlicher Begeisterung angeschlossen hatte. Die Idee der Freiheit und Sittlichkeit, die jenem Bunde ursprünglich zum Grunde lag, berührte die zartesten Seiten seiner Seele, und kam seiner ganzen Richtung entgegen. Er fühlte sich gehoben als Glied eines schönen Ganzen, das harmonisch aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzt war, frei in einem Verbande, in dem Alle gleiche Rechte genossen.

      Unter den Jünglingen, die sich an ihn angeschlossen hatten, und deren Freundschaft ihn beglückte, war Reinhard ihm der liebste geworden. Er war der Sohn einer armen Predigerwittwe, die einer reichen Familie angehörte. Von seinen Verwandten unterstützt, hatte er die Schule besucht und kaum die Universität bezogen, als er erklärte, nun weiter keines Beistandes zu bedürfen, da er in sich die Kraft fühle, für seine Existenz selbst zu sorgen und hoffentlich auch seine Mutter ernähren zu können. Es hatte ihn seit Jahren schmerzlich gedrückt, von Andern abhängig zu sein, es hatte ihn gedemüthigt, seine Mutter von den Wohlthaten einer hochmüthigen Familie leben zu sehen, welche ihr niemals die Heirath mit einem armen bürgerlichen Candidaten vergeben wollen. Abhängigkeit irgend einer Art schien ihm die größte Schmach, weil sie ihm Kränkungen zugezogen, die er nie vergessen konnte, und nur zu leicht mußten er und Eduard sich verständigen, da Beide, wenn auch aus ganz verschiedenen Gründen, sich in ihrem Ehrgefühle verletzt, in mancher Rücksicht von der Allgemeinheit ausgeschlossen empfunden hatten.

      Wenn Reinhard den halben Tag mit mühevollem Unterrichten zugebracht hatte, und mit unerschütterlichem Eifer seinen theologischen Studien nachgekommen war, erquickte ihn Abends der Frohsinn, der Geist und der Reichthum an Hoffnungen, mit denen Meier in die Zukunft sah. Im Anfang ihrer Bekanntschaft waren ihre religiösen Ueberzeugungen freilich oftmals zwischen ihnen zur Sprache gekommen, und ein Gegenstand lebhafter Erörterungen geworden. Meier konnte es nicht begreifen, wie man an einen Sohn Gottes, an seine Menschwerdung, an die Dreieinigkeit, an die wirkliche Anwesenheit Christi im Abendmahl zu glauben vermöge — ein Glaube, den Reinhard mit tiefer Ueberzeugung heilig hielt, und den zu lehren und zu predigen sein sehnlichster Wunsch war; denn er gehörte zu jenen poetischen Naturen, die sich Alles, was sie ergreifen, zu einer Religion gestalten, und bei denen der Glaube an die Wunder ein wahrhaftes Bedürfniß ist. Später aber war davon niemals mehr die Rede zwischen ihnen gewesen, weil sie fühlten, daß der verschiedene Glaube sie Beide doch zu demselben Ziele leite, und ein äußeres Ereigniß war dazu gekommen, sie noch fester zu verbinden.

      Es war gegen die Zeit ihres Abgangs von der Universität gewesen, als die Regierung es für nöthig gefunden hatte, eine Untersuchung gegen die Burschenschaft einzuleiten. Meier und Reinhard waren nebst vielen Andern verhaftet, längere Zeit mit Verhören und Untersuchungen geplagt und erst nach einem halben Jahre freigesprochen worden. Meier hatte diese Zeit gezwungener Zurückgezogenheit benutzt, sich für sein Doctorexamen vorzubereiten, das er in den ersten Tagen der wiedererlangten Freiheit gemacht, und war dann in seine Vaterstadt zurückgekehrt, um dort seine Carriere zu beginnen. Zwar war er, wie es zu geschehen pflegte, noch eine geraume Zeit unter der sorgsamen Aufsicht der höhern Polizei geblieben, aber das hatte ihn in der Ausübung seiner medicinischen Praxis nicht gehindert, die er gleich mit dem glücklichsten Erfolge begann. Anfänglich waren es, wie gewöhnlich, nur die Armen gewesen, die seiner Hülfe begehrt und sie bei ihm gefunden hatten, doch das Gerücht von einigen glücklichen Kuren, von seiner Uneigennützigkeit und Menschenliebe, hatte sich schnell verbreitet, seine Praxis hatte angefangen, sich auch in den höhern Ständen auszudehnen, und sein Loos würde ein beneidenswerthes gewesen sein, wenn nicht aufs Neue die alten Vorurtheile gegen ihn geltend gemacht worden wären.

      Meier’s sehnlichster Wunsch war nämlich dahin gegangen, Vorsteher irgend einer bedeutenden klinischen Anstalt zu werden, um lehrend zu lernen und zu nützen. Auf eine solche Stelle an irgend einer Universität Deutschlands hatte er aber nicht rechnen können, und es war ihm also wünschenswerth geworden, wenigstens die Leitung einer Krankenanstalt zu erhalten. Als dann durch den Tod eines alten Arztes die Directorstelle eines Stadtlazareths freigeworden, hatte er nicht gezögert, sich darum zu bewerben, besonders da er einer günstigen Meinung im Publicum gewiß gewesen war. Die Vorstellungen der Armenvorsteher und mancher andern Leute hatten die betreffende Behörde auch wirklich dazu vermocht, den jungen geachteten Arzt, dessen Kenntnisse ihn ebenso sehr zu dieser Stelle empfahlen, als seine strenge Rechtlichkeit und seine reinen Sitten, zum Director zu wählen und bei der Regierung um seine Bestätigung einzukommen. Meier war auf dem Gipfel des Glückes gewesen, und in der Freude seines Herzens hatte er sich, nachdem er gewählt worden war, anheischig gemacht, auf das immerhin bedeutende Gehalt zu Gunsten der Lazarethkasse zu verzichten. Einige Wochen waren in frohen Erwartungen hingeschwunden, er hatte die Glückwünsche seiner Freunde empfangen und bereits daran gedacht, seine Wohnung im elterlichen Hause mit der neuen Amtswohnung zu vertauschen, als der Bescheid der Regierung angelangt war, welcher statt der erwarteten Bestätigung die Aufforderung enthalten, Meier möge zum Christenthume übertreten, da es ganz gegen die Ansichten der Regierung sei, einem Juden irgend eine Stelle anzuvertrauen. Vergebens waren seine Vorstellungen, wie der Glaube bei einer solchen Anstellung gar kein Hinderniß sein könne, wie diese Zurückweisung in den Gesetzen des Staates nirgends begründet sei — die Regierung war bei ihrem Entschlusse geblieben. Man hatte Meier einen unruhigen Kopf genannt; seine Neider, an denen es dem Talentvollen, Glücklichen nie fehlt, hatten über die jüdische Anmaßung gelacht, die sich zu Würden dränge, für die sie nicht berufen sei, und dabei vergessen, daß die Behörden selbst den verspotteten Gegner durch ihre Wahl für den Würdigsten erklärt hatten.

      Auf das Empfindlichste gekränkt, hatte Meier schon damals sein Vaterland verlassen wollen; doch die angeborene Liebe zu demselben und der Gedanke an seine Eltern hatten ihn davon zurückgehalten. Er war in der Heimath geblieben, und obgleich er das Unrecht, das ihm geschehen, niemals vergessen, oder es verschmerzen können, das schöne Feld für seine Thätigkeit verloren zu haben, hatten ihn die Anerkennung, die er fand, der ausgezeichnete Ruf, den er erwarb, endlich schadlos gehalten für die erfahrene Zurücksetzung.

      Bei seiner Rückkehr von der Universität hatte er Jenny als ein liebliches Kind von eilf Jahren wiedergefunden, das sich mit leidenschaftlicher Innigkeit an ihn hing, und für das er eine Zärtlichkeit fühlte, die ebenso viel von der Liebe eines Vaters, als eines Bruders besaß. Die Eltern hatten die Kleine niemals aus den Augen verloren, und jeden Wunsch des nachgebornen Lieblings mit zärtlicher Zuvorkommenheit erfüllt. Eduard war überrascht durch den Verstand und den schlagenden Witz des Kindes, er sah, daß ein lebhaftes, leidenschaftliches Mädchen aus demselben werden müsse, konnte sich es aber nicht verbergen, daß die übergroße Liebe seiner Eltern in Jenny eine Herrschsucht, einen Eigensinn entstehen gemacht hatten, dem bis jetzt nur durch seinen Vetter Joseph eine Schranke gesetzt worden war, der, im Meierschen Hause lebend, die Kleine mit seiner ernsten, rauhen Art tadelte und zurechtwies. Dafür hatte Jenny den Cousin schon damals nicht leiden mögen, und es dem Bruder unter vielen Thränen geklagt, wie garstig der Joseph


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