Jenny. Fanny Lewald
konnte.
Nach einigen Tagen hatte der Unterricht begonnen, und beide Theile waren sehr mit einander zufrieden gewesen. Reinhard fühlte sich durch die ursprüngliche Frische in Jenny’s Geist angenehm überrascht, und die ruhige, stille Aufmerksamkeit Theresens machte ihm Freude. Was Jene plötzlich und schnell erfaßte, mußte diese sich erst sorgsam zurechtlegen und klar machen, dann aber blieb es ihr ein liebes, mühsam erworbenes Gut, dessen sie sich innig freute, während Jenny des neuen Besitzes nicht mehr achtete, wenn er ihr Eigenthum geworden war, und immer eifriger nach neuen Kenntnissen strebte. Diese unruhige Eile machte, daß sie sich ihres geistigen Reichthums kaum bewußt ward und sich und Andere damit in Verwunderung setzte, wenn sie gelegentlich veranlaßt wurde, ihn geltend zu machen.
Für Reinhard war der Unterricht doppelt anziehend. Er hatte wenig in Gesellschaften gelebt, wenig mit Frauen verkehrt, und ihr eigenthümliches Gemüthsleben, die ganze innere Welt desselben, war ihm fremd. Mit erhöhter Begeisterung las er die deutschen Klassiker mit den Mädchen, wenn er Jenny, hingerissen durch die Schönheit der Dichtung, roth werden und ihr Auge in Thränen schwimmen sah. So hatte er ihnen einst das erhabene Gespräch zwischen Faust und Gretchen vorgetragen, das mit den Worten beginnt: »Versprich mir, Heinrich!« und das schönste Glaubensbekenntniß eines hohen Geistes enthält. Reinhard selbst fühlte sich wie immer lebhaft davon ergriffen, und als Jenny bei den Versen: »Ich habe keinen Namen dafür! Gefühl ist Alles. Name ist Schall und Rauch, umnebelnd Himmelsglut!« weinend vor Wonne dem Lehrer beide Hände reichte, ihm zu danken, hatte er dieselben schnell und warm in die seinen geschlossen, obgleich er es einen Augenblick später schon bereute.
In Folge dieser Stunde und eines dadurch entspringenden Gesprächs war Reinhard zu der Erkenntniß gekommen, daß Jenny, obgleich tief durchdrungen von dem Gefühl für Schönheit und Recht und von dem zartesten Gewissen, dennoch in seinem Sinne aller religiösen Begriffe entbehrte. Ihre Familie hatte sich von den jüdischen Ritualgesetzen losgesagt; Jenny hatte daher von frühester Kindheit an sich gewöhnt, ebenso die Dogmen des Judenthums als die des Christenthums bezweifeln und verwerfen zu hören, und es war ihr nie eingefallen, daß es Naturen geben könne, denen der Glaube an eine positive geoffenbarte Religion Stütze und Bedürfniß sei. Ja, sie hatte ihn, wo ihr derselbe erschienen war, mitleidig wie eine geistige Schwäche betrachtet. Um so mehr mußte es sie befremden, daß Reinhard, vor dessen Geist und Charakter ihr Bruder so viel Verehrung hatte, daß ihr Lehrer, der ihr so werth geworden war, einen Glauben für den Mittelpunkt der Bildung hielt, den sie wie ein leeres Märchen, wie eine den wahren Kern verhüllende Allegorie zu betrachten gelernt hatte. Reinhard behauptete geradezu, daß ein weibliches Gemüth ohne festes Halten an Religion weder glücklich zu sein, noch glücklich zu machen vermöge. Absichtlich führte er deshalb die Unterhaltung mit seinen Schülerinnen häufig auf christlich-religiöse Gegenstände, so daß in seinem Unterricht Religion und Poesie Hand in Hand gingen, wodurch den Lehren des Christenthums ein leichter und gewinnender Einzug in Jenny’s Seele bereitet wurde.
Ihr und Reinhard unbewußt war aber mit dem neuen Glauben nur zu bald eine leidenschaftliche Liebe für den Lehrer desselben in des Mädchens Herzen entstanden, für den begeisterten jungen Mann, der ihr wie ein Apostel des Wahren und des Schönen gegenüberstand. Aus Liebe zu ihm zwang sie sich, die Zweifel zu unterdrücken, die immer wieder in ihrem Geiste gegen positive Religionen aufstiegen, und sich nur an die Morallehren zu halten, die dem Gläubigen in dem Christenthume geboten werden. Reinhard seinerseits hatte nicht eigentlich daran gedacht, seinem Glauben eine Proselytin zu gewinnen, diese Schwäche lag ihm fern, denn er ließ jeden Glauben gelten, weil er Geltung für den seinen forderte; nur einem dringenden Mangel in dem Herzen seiner Schülerin hatte er abhelfen wollen. Er war überzeugt, daß der Glaube in Jenny den geistigen Hochmuth zerstören, ihr Wesen milder machen müsse, und war sehr erfreut, wirklich diese Resultate zu erblicken, ohne zu ahnen, daß ihre weichere Stimmung, die er für das Werk der Religion gehalten, nur eine Folge ihrer Liebe zu ihm war. Jenny fühlte das Bedürfniß, an einen Gott zu glauben, der das Gute jenseits lohne, weil ihr kein Erdenglück für Reinhard ausreichend schien; sie wurde demüthiger, aber nicht im Hinblick auf Gott, sondern vor dem Geliebten; und der Gedanke, ihre Liebe könne jemals ein Ende finden, oder durch den Tod aufhören, machte sie so unglücklich, daß ihr die Hoffnung auf Unsterblichkeit und ein ewiges Leben wie der einzige Trost dagegen erscheinen mußte.
Den Eltern und Eduard blieb die vortheilhafte Veränderung in Jenny’s Wesen nicht verborgen, und wenn Eduard, was häufig geschah, mit Reinhard über die Schwester sprach, so verfehlte er nicht, es dankend anzuerkennen, wie wohlthuend des Freundes Unterricht auf Jenny wirke. Nur Joseph schien die Meinung nicht zu theilen.
Er wird eine schlechte Christin aus ihr machen, äußerte er gelegentlich, verweigerte es aber, sich näher darüber zu erklären, weil er ein Geheimniß nicht verrathen wollte, das ihn nur seine eifersüchtig wachende Liebe so früh hatte erkennen lassen.
So war Jenny in das sechszehnte Jahr getreten. Ihr Aeußeres hatte sich schön entwickelt, ihre Liebe zu Reinhard war von Tag zu Tag gewachsen, und es konnte nicht fehlen, daß sie mit der Hingebung, die sie dem jungen Lehrer in den Stunden bewies, einen Eindruck auf ihn machen mußte, den er vergebens mit allen Waffen der Vernunft bekämpfte. Denn welche Hoffnungen konnte er für die Neigung hegen, die er für Jenny zu fühlen begann? Selbst wenn die Eltern darin willigten, sie Christin werden zu lassen und sie ihm zur Frau zu geben, konnte er es wagen, das reiche, verwöhnte Mädchen in sein armes Haus zu führen? — So eigensüchtig durfte er nicht sein; und von den Unterstützungen ihres Vaters zu leben, zu wissen, daß seine Frau ihre behaglichen Verhältnisse nicht ihm allein verdanke, der Gedanke schien ihm, nach den Erfahrungen seiner Jugend, fast unerträglich. — Nach jeder Stunde nahm er sich vor, den Unterricht unter irgend einem Vorwande zu beendigen, um eine Liebe nicht tiefer in sich Wurzel fassen zu lassen, die kein Erfolg krönen konnte, die einmal aufgegangen, blitzesschnell und mächtig aufschoß, obwohl er sie mit festem Willen still in sich verschloß. Auch Jenny hielt sich scheu zurück. Aus Furcht, sich zu verrathen, ging sie, sobald der Unterricht vorüber, und ihre Familie oder Fremde zugegen waren, plötzlich aus ihrer Hingebung in eine fremdthuende Kälte über. Sie zeigte anscheinend für jeden Andern mehr Theilnahme als für Reinhard, und dieser blieb dann meistens an Theresens Seite, um im Gespräch mit ihr seine qualvolle Aufregung so gut als möglich zu verbergen.
Besonders war es Erlau, welcher Reinhard’s Eifersucht erregte. Mit ächtem Künstlerenthusiasmus bewunderte er Jenny’s erblühende Schönheit, und seine frohe, kecke Laune half dem jungen Mädchen oft über ihre Befangenheit und über all ihre Verwirrung fort. Es that ihr wohl, wenn Erlau sie ganz begeistert lobte; sie freute sich, wenn Reinhard es hörte, dessen scheinbare Gleichgültigkeit sie schmerzte, und während sie eifersüchtig auf Therese sich von dieser und von Reinhard fern hielt, suchte sie Erlau geflissentlich auf, der sich ohnehin gern in ihrer Nähe befand.
In solchen Stimmungen ließ sie sich von Steinheim bisweilen zu lebhaften Unterhaltungen hinreißen, in denen der Witz die Hauptrolle spielte, und die oft in eine Art von Neckereien und Scherzen übergingen, an denen Reinhard, seiner ganzen Natur nach, keinen Antheil zu nehmen vermochte. Jenny wußte das wohl, aber sie vermochte nicht, dem Geliebten die unangenehme Empfindung zu ersparen. Je theilnahmsloser und ferner er sich davon hielt, jemehr überzeugte sich Jenny, daß sie ihm ganz gleichgültig sei, und um so weniger sollte er eine Ahnung von ihrer Liebe erhalten. Nur vor Reinhard’s Mutter löste sich die Stimmung des jungen Mädchens zu seltener Weichheit auf.
So oft die Pfarrerin das Meiersche Haus besuchte, verließ Jenny augenblicklich die ganze übrige Gesellschaft, um sich ausschließlich der Pfarrerin zu weihen. Jedes Wort, das diese sprach, war ihr werth; stundenlang konnte sie ihr zuhören, wenn sie von der Kindheit ihres Sohnes erzählte, von den unzähligen Opfern, denen der Jüngling sich für sie unterzogen, von der immer gleichen Liebe, die der Mann ihr darbringe, und wie sie nichts sehnlicher wünsche, als den geliebten Sohn bald in Verhältnissen zu sehen, die es ihm möglich machten, an der Seite einer guten Frau das Glück zu finden, das Gott ihm gewiß gewähren müsse.
Jede solche Erzählung diente nur dazu, Jenny’s Liebe lebhafter anzufachen; und je deutlicher das Bewußtsein derselben in ihr wurde, je bestimmter der Wunsch in ihr hervortrat, Reinhard anzugehören, um so unerträglicher mußten ihr die Bewerbungen Joseph’s scheinen, die von den