Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas. Balduin Mollhausen
ringsum durch ungeheure Wüsten und Steppen von allen zivilisierten Ländern getrennt; der Weg dahin ist also ein langer und beschwerlicher. Ferner ist dort nicht hinreichend tragbarer Boden vorhanden, um eine so starke Bevölkerung, wie die des Mormonenstaates zu werden verspricht und die hauptsächlich auf Ackerbau und Viehzucht angewiesen ist, gestatten zu können. Für diese beiden so fühlbaren Übelstände konnte der Colorado im günstigsten Fall eine Aushilfe bieten. Erwies sich dieser Strom als schiffbar, so konnte das südliche Utah-Gebiet in direkte Verbindung mit den Hafenstädten der ganzen Erde gebracht werden; waren die Täler des Flusses umfangreich und fruchtbar genug, so konnte das Mormonentum langsam, aber zugleich fest einwurzelnd, sich gegen Süden, und zwar bis in den Staat Sonora, ausdehnen.
All dies hatten die Mormonen im Auge, als sie bei der Regierung in Washington um die Erforschung des Colorado einkamen. Die beste Unterstützung fanden sie bei der Regierung selbst, die von dem eifrigen Wunsch beseelt ist, jeden unbekannten Winkel auf dem amerikanischen Kontinent erforschen zu lassen. Zum Unglück brachen aber offene Feindseligkeiten zwischen den Vereinigten Staaten und den Mormonen aus, und anstatt von letzteren unterstützt zu werden, wurden unserer Expedition unüberwindliche Hindernisse in den Weg gelegt. Schon in Pueblo de los Angeles erging an mich durch einige Mormonen die Aufforderung, mich als Ausländer von der Expedition zu trennen, wenn mir mein Leben lieb sei. Es wurde also einem Unternehmen, das rein wissenschaftlicher Art war, ein militärischer Zweck untergeschoben, und als bewaffnete, feindliche Macht sollten wir am oberen Colorado von den Mormonen empfangen werden. Ich bestreite übrigens keineswegs die Möglichkeit, daß die Orders, die später unsere Expedition teilweise in eine militärische umwandelten, schon lange vorher beabsichtigt waren.
Wir erreichten also am 19. Dezember den Colorado und schlugen an der Stelle, wo wir den Fluß zuerst erblickten, unser Lager auf. Unsere Lebensmittel waren erschöpft, kein Gras in der Nähe sichtbar, weshalb Peacock noch an demselben Tag hinauf nach dem Fort ritt, dort unsere Ankunft meldete und mit dem kommandierenden Offizier ein Übereinkommen hinsichtlich der Weide für unsere Herde und Lebensmittel für uns selbst traf.
Gegen Abend füllte sich unser kleines Lager mit Yuma-Indianern, lauter schönen, großen Leuten, die durch ihr ganzes Benehmen zeigten, wie sehr sie sich schon an den Umgang mit den Weißen gewöhnt hatten. Besonders hervorragend war unter diesen der Häuptling Pasqual mit seiner Familie; er überreichte uns seine Empfehlungsschreiben, die von verschiedenen Offizieren des Militärpostens ausgestellt waren und die ihn als ersten »Capitano« der Yumas und zugleich als einen zuverlässigen Indianer schilderten. Wie die Indianer gewöhnlich dergleichen »sprechende Papiere« für die besten Mittel zum Betteln halten, so geschah es auch hier; Senor Pasqual schien daher bitter enttäuscht, als er keine Geschenke von uns erhielt, und dabei ermüdete er nicht, uns zu wiederholen, wie anständig frühere Reisende ihn immer bedacht hätten. Seine Gattin mit ihrem dicken Bastrock und den ungekämmten Haaren gab ihren Unmut über den Mangel an Freigebigkeit, dem diesmal nur augenblickliche Armut zugrunde lag, auf deutlichere Weise zu erkennen; sie setzte sich zu den Packknechten ans Feuer und schickte von dort einen solchen Schwall von Schmähungen und Verwünschungen zu uns herüber, daß wir nicht umhin konnten, über den Beweis der indianischen Unermüdlichkeit ihr die größte Bewunderung zu zollen. Übrigens bestanden die Vorwürfe in sieben bis acht englischen und spanischen Worten, die nur den niedrigsten Menschenklassen eigentümlich sind und die hinlänglich bewiesen, daß die edle Häuptlingsfrau sich ihre Kenntnis fremder Sprachen in der Gesellschaft amerikanischer Soldaten angeeignet hatte und daß sich diese eben nur auf diese wenigen unwürdigen Worte beschränkte.
In aller Frühe des folgenden Tages stieß Peacock wieder zu uns; wir hatten uns schon gerüstet und traten daher ohne Zeitverlust die Reise nach Fort Yuma an. Es waren noch zehn Meilen bis dahin, und der Weg führte von unserem Lager aus dicht am Pilot Knob vorbei, dessen Basis vom Colorado bespült wird; hinter dem Pilot Knob öffnete sich ein umfangreiches Tal, das wie der Fluß eine starke Biegung gegen Osten machte. Die dichten Mesquitewaldungen, die Weiden und Cottonwood-Bäume benahmen uns fast fortwährend die Aussicht, und nur wenn wir uns dem Fluß näherten, gewannen wir einen Blick auf die blaue Gebirgskette im Norden, die sich nicht durch ihre Höhe, wohl aber durch ihre phantastischen Formen auszeichnete, denen sie auch den Namen »Dome Mountains« verdankt. An einigen indianischen Farmen und an zwei größeren Gehöften weißer Ansiedler zog sich die staubige Straße vorbei, und als endlich die dichte Weidenwaldung sich öffnete, erblickten wir vor uns auf einem kahlen Felsenhügel die Baracken und Gebäude des Militärpostens Fort Yuma. In kurzer Zeit waren wir oben; das Quartier des Dr. Newberry fanden wir leicht, und unsere Gefährten, die sich in San Pedro von uns getrennt hatten, bewillkommten uns herzlich.
Hier nun erfuhren wir, daß Lieutenant Ives schon am 1. Dezember an der Mündung des Colorado gelandet sei, daß die Zusammenstellung des Dampfbootes gut vonstatten gehe und daß wir der Ankunft des Restes der Expedition in den ersten Tagen des Januar entgegensehen könnten. Wir hatten also noch wenigstens vierzehn Tage vor uns, die wir auf beliebige Art in Fort Yuma verwenden konnten; es war daher unsere Hauptaufgabe, uns in irgendeinem heimlichen Winkelchen so bequem und häuslich wie nur immer möglich einzurichten und dann der Dinge zu harren, die da kommen sollten.
Die zu der Militärstation gehörigen Herden hatten die nächste Umgebung, die an sich schon arm an Gras war, so kahl abgeweidet, daß wir gezwungen waren, alle unsere Tiere über den Colorado zu setzen und nach einer acht Meilen weit entfernten Wiese am Gila zu senden. Zum Schutz derselben schickten wir alle unsere Mexikaner mit, die dort ihr Standquartier aufschlugen und ihre Lebensmittel vom Fort bezogen. Wir selbst behielten nur einen Koch und einen Diener bei uns, begaben uns mit diesen und unserer Lagerequipage an das Ufer des Flusses und wählten zu unserem Aufenthalt eine Lichtung, die ringsum von hohen, dicht bestandenen Weiden und Pappeln eingeschlossen war und nur eine Aussicht auf den Colorado offen ließ. Dort schlugen wir unser geräumiges Zelt auf, breiteten aus grünen Zweigen einen weichen Teppich auf den staubigen Boden und auf diesen unsere einfachen Feldbetten; in einem schattigen Winkel unter den überhängenden Bäumen wurde der Speisesaal hergestellt, in einem anderen die Küche; und als wir dann endlich mit unserer Arbeit zu Rande gekommen waren, da blickten wir sie wohlgefällig an und fanden, daß wir in keinem Palast zufriedener und bequemer hätten unterkommen können als auf dem erhöhten Ufer des stattlichen Colorado.
Wenn man an einer unbekannten Stelle eben frisch zugezogen ist, namentlich in einer Wildnis wie am Colorado, so sucht man gern, ehe man sich nützlichen Arbeiten zuwendet, mit der Umgebung vollständig vertraut zu werden, zugleich aber auch die Menschen, auf die man zunächst angewiesen ist, kennenzulernen. — Unsere Nachbarschaft war bald durchforscht; fast undurchdringliche Weidengebüsche dehnten sich von unserem Lager weithin über die Niederung aus; hundert Schritte hinter unserem Zelt führte die Landstraße vorbei, einige Pfade verbanden dieselbe mit unserer Häuslichkeit, und dicht vor unserer Tür rauschte ununterbrochen der wilde, sandführende Strom. Was dann zunächst unsere Aufmerksamkeit am meisten in Anspruch nahm, das waren der Militärposten und seine Lage.
Gegenüber der Mündung des Gila, auf einem abgesonderten vulkanischen Hügel von granitischem Porphyr, dessen Höhe kaum hundert Fuß übersteigt, liegt Fort Yuma. Der Hügel findet seine Fortsetzung auf der Ostseite des Colorado, wo er sich auf geringe Entfernung ins Land hinein erstreckt, und es hat ganz den Anschein, als ob der Strom absichtlich den Weg um die kurze Felsenkette herum aufgegeben habe, um sich ein Tor durch diese zu bahnen. Obgleich der Posten auf viele Meilen im Umkreis der einzige hervorragende Punkt ist, der die weiten Ebenen gleichsam zu beherrschen scheint, so bietet die Lage doch nichts, was das Auge irgendwie ansprechen könnte. Kahl und dürr sind die Felsen, auf denen die einfachen Gebäude sich erheben; nur die anspruchslose Euphorbia, deren Wurzel die Eingeborenen als Heilmittel gegen den Biß der Klapperschlangen anwenden, keimt hin und wieder zwischen dem Geröll, und dann auch nur so lange, bis die Junisonne, welche die Atmosphäre bis auf 120° Fahrenheit erhitzt, sie wieder versengt und tötet. Die Gebäude und Kasernen, die den Hof in Form eines länglichen Vierecks bilden, sind von Adobes zierlich, aber fest aufgeführt, doch muß der Aufenthalt dort oben während des ganzen Jahres mehr als peinigend sein, denn wenn die sengende Hitze ihre Qualen nicht ausübt, so sind es wieder die furchtbaren Sandstürme, welche die Besatzung heimsuchen.
Solche Stürme springen fast allwöchentlich, manchmal auch einen Tag um den anderen, in der Richtung