Bissula. Felix Dahn

Bissula - Felix  Dahn


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hoch aufrichtend, noch einige Sekunden: nichts rührte sich. Jetzt sprang er in ein paar Sätzen über die Waldblöße auf die Heuhütte zu, bückte sich und drang durch die Lücke von Norden her ein.

      Da raschelte etwas unter dem dichten Grase: dieses schien lebendig zu werden: aus den tiefen Schichten glitt etwas — war es ein Wiesel? — nach der gerade gegenüber liegenden Öffnung und wollte entwischen: nur die wogende Bewegung der Grasgarben verriet die Richtung. — Hastig griff Herculanus mit dem Schildarm nach dem Raschelwesen, die Rechte mit dem gezückten, breiten, kurzen Schwert zu mörderischem Stoß erhebend.

      Er faßte etwas Warmes und riß es aus dem dichten Heu nach oben: die Garben fielen rechts und links zur Seite und er zog heraus ein Mädchen, von rotem Wirrhaar und von Heuhalmen überflutet das Antlitz, welches in tödlichem Schreck und mit flammendem Zorn zugleich zu dem Ergreifer aufblickte.

      So wunderbar, so sinneberauschend schön war das junge Geschöpf, daß Herculanus einen wilden Schrei der Lust ausstieß.

      Er hatte sich fest geschworen, der erste Augenblick, da er die gefährliche Barbarin allein vor dem Schwerte haben würde, sollte ihr letzter werden: und auch jetzt ward er in diesem Beschluß wahrlich nicht wankend; weder Erbarmen noch Leidenschaft mochten seinen lediglich auf den Reichtum des Oheims gerichteten Sinn beirren: aber doch weckte ihm soviel Jugendreiz eine kurze Wallung der Gier: — bevor er die Feindin erstach, wollte er einmal diese roten Lippen küssen. So zog er sie, mit der Rechten zum Todesstreich ausholend, mit der Linken näher an sich.

      Mit der Kraft der Verzweiflung sträubte sich das Mädchen; das Haupt soweit wie möglich von ihm abwendend, stieß es einen Angstschrei aus, wie ein sterbendes Reh: es war nur ein Augenblick Verzögerung des Mordstoßes: aber er rettete sie. Denn bevor Herculanus seine häßlichen Lippen ihrem abgekehrten Gesicht nähern konnte, fiel von außen ein Schatte vor die nach der Seeseite führende Öffnung, in der die Ringenden nun standen. »Mörder!« rief eine tiefe Stimme: und mit überlegner Kraft vor die Brust gestoßen, taumelte Herculanus zurück, die Ergriffene loslassend.

      Rasch, wie die Forelle dahin huscht, wollte die Befreite zur Lücke hinaus: allein sie fühlte sich am Arme gefaßt mit dem eisernen Griff einer viel stärkeren Faust: zu einem zweiten hochbehelmten Römer blickte sie empor.

      »Du bist‘s, Tribun!« stammelte Herculanus und steckte hastig das Schwert in die Scheide. Dieser würdigte ihn keines Wortes: »Du bist Bissula, Kleine? Nicht wahr?« fragte er. Und mit staunenden Blicken maß er die wunderbare Erscheinung. Ein süßes Feuer durchrieselte ihn, wie er das holde Köpfchen, die zarten, anmutreichen Glieder, die nackten, weißen Füßlein prüfte und das warme junge Leben fluten fühlte durch den vollen Arm, den seine Hand fest umschlossen hielt.

      Die Gefangene gab nicht Antwort: aber vertrauender schaute sie in dies männlich schöne Antlitz auf. Dann warf sie einen seltsamen Blick, wie suchend, in die Hütte zurück: denn Saturninus hatte sie aus der Thüre heraus in das Freie gezogen: sie schien ängstlich zu horchen.

      »Ja, es ist Bissula,« sprach Herculanus, nun ebenfalls heraustretend. »Wie kamst du zu dem Wahn, ich wollte sie morden? Seit frühstem Morgen such‘ ich sie.« — »So dachte ich.« — »Nicht für mich! — Ich hielt sie nur fest, ihr Entfliehen zu hindern.« — »Mit gezücktem, zum Stoß erhobenem Schwert?«

      »Nur, sie einzuschüchtern.« Aber Bissula warf einen strafenden Blick auf ihn. »Wie dem sei,« fuhr der Illyrier fort, »sie ist meine Gefangene!« Und leuchtend ließ er die Augen auf ihr ruhen: — verwirrt senkte das Mädchen die langen Wimpern. »Nein, nein! Ich habe sie entdeckt!«

      »Aber bevor du sie abermals bewältigt — denn sie war wieder frei — griff ich sie! Wag‘ es, zu widersprechen, Mädchenmörder!« und drohend schritt er gegen ihn heran. Da scholl vom Rücken her aus dem Wald ein Tubaruf. »Wir müssen zurück! Das Tubazeichen mahnt,« sprach der Tribun. »Die erste Spur der Feinde ist gefunden: — nicht nur das Kind: — ein Mann.«

      Ängstlich sah Bissula auf.

      »Von Fellen bedeckt lag er,« erzählte jener im Gehen, »im Röhricht verborgen, von einem umgestürzten Baumstamm nicht zu unterscheiden. Bevor wir ihn greifen konnten ...« —

      Bissula atmete hoch auf.

      »War er im Schilf verschwunden. Ein batavischer Schütze schoß ihm nach. Horch, der Präfekt wiederholt das Zeichen! Geh‘ in Güte, Kind.«

      Er führte sie am Handgelenk, sorglich bemüht, ihr nicht weh zu thun; sie blieb manchmal stehn und sah zurück nach der Hütte, auch einmal in den See.

      Herculanus folgte finstern Blickes.

      Nach wenigen Schritten hörten sie das Wiehern eines Rosses und traten bald in eine Waldlichtung: da hielt Ausonius mit seinem berittenen Gefolge.

      »Vater Ausonius!« rief die Gefangene freudig und wollte sich losreißen, auf ihn zuzufliegen. Aber da ward der Griff des Illyriers um ihren Arm eisern. Militärisch grüßend trat er an den Präfekten, der Bissula beide Arme entgegenstreckte, heran und sprach streng: »Der erste Zusammenstoß mit dem Feind! Ein Mann ist entflohn —: ein Mädchen — diese hier — ward meine Gefangene: meine Sklavin.«

      ZWEITES BUCH. DIE SKLAVIN 

      Erstes Kapitel

      In diesen Tagen wogte ein reges Leben auf dem Weihberg, auf dem ein großer Teil der Geflüchteten sich geborgen hatte: und von Norden her, der durch die Römer nicht bedrohten Seite, strömte Zuzug, der Heerbann anderer Gaue, heran.

      Die Versuche des Tribuns, die Zufluchtstätten der Entwichenen zu entdecken, waren bisher gescheitert: weder die in den Ostsümpfen, noch die auf dem Wodansberg waren von den ausgeschickten Spähern und Streifscharen erreicht worden. Moor und undurchdringlicher Urwald umgab das Römerlager auf dem Idisenhang auf allen Seiten, ausgenommen gen Süden, nach dem See hin. In den letzten Tagen war, nach einem wolkenbruchartigen Gewitter, Südwestwind eingesprungen, der nun mit triefenden Schwingen strömende Regengüsse brachte: da wurden die Wälder vollends undurchdringbar für den schweren Tritt der Legionen: die wenigen Furten lagen versumpft oder überschwemmt, die kleinsten Rinnsale waren zu reißenden Bächen angeschwollen. Mißmutig, fröstelnd hielten sich die Eindringlinge, meistens Südländer, in dem Lager beisammen, unter Bretterdächern und aufgespannten Lederzeltdecken, Tag und Nacht große Feuer schürend, die aber, da alles Holz naß geworden, mehr Qualm als Wärme verbreiteten. Auf weite Strecken hin vor dem Fuß des Weihberges waren überall die seltenen und schmalen Zugänge, die in das Innere der ungeheuren Wälder führten, gesperrt, verrammelt durch Verhacke. Gewaltige Eichen, Eschen, Tannen waren gefällt und quer übereinander, über Mannshöhe, aufgeschichtet worden, durch Rasen und Erde gefestigt, in Abständen durch mächtige, senkrecht in den Boden gerammte Pfähle oder durch Bäume, die man hatte stehen lassen, zusammengehalten. So entstand eine fast unersteigliche Brustwehr: auf deren Krone aber und in den Wipfeln der überragenden Bäume versteckt waren die besten Bogenschützen verteilt.

      Solche Verteidigungslinien von Waldverhauen wiederholten sich hintereinander überall, wo die Örtlichkeit sie verstattete: viel mehr Tage als der zu Ende neigende August den Römern noch versprach — vor Eintritt der Herbstregen pflegten sie ihre stets nur sehr kurzen Sommerfeldzüge in Germanien abzubrechen — hätten die Legionare gebraucht, all‘ diese Schanzen nacheinander zu stürmen: — zu umgehen waren sie schlechterdings nicht, wegen der Sümpfe. Wären sie aber durch alle Sperrlinien bis an den Fuß des Wodanberges gelangt, dann hätte erst die unsäglich müheschwere Belagerung dieser natürlichen Feste anheben müssen.

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