Bissula. Felix Dahn

Bissula - Felix  Dahn


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aber nicht recht traf. »Allein stehn! Hast du nicht mich, der dich so herzlich liebt?« Der Tribun heftete einen kühlen Blick auf den eifrigen Neffen. Ausonius aber beschwichtigte gutmütig: »Gewiß, Liebster, du bist mir geblieben. Aber du allein aus der ganzen reichblühenden Familie, welche in einem Jahre die böse Seuche hinraffte: meine Sabina, meine drei Kinder, meine beiden Schwestern und zwei junge holde Nichten! Du allein kannst mir doch nicht sie alle ersetzen! Ich fühle mich oft so vereinsamt! Und du bist ein Mann! Meine milde Frau, meine Töchter, meine Schwestern, meine Nichten: wie fehlen sie mir! Ich gestehe es: — ich bedarf des Wohlklanges weiblicher Stimmen, der weichen Bewegung von Frauengestalten um mich her! Mir fehlt etwas!«

      Der Neffe griff hastig, erregt, nach dem Becher. Der Tribun aber sah ihm scharf ins Gesicht und, ohne den Blick von dem Neffen zu wenden, sprach er plötzlich zu dem Oheim sehr laut: »Heiraten mußt du wieder!« Erst jetzt kehrte sich der Illyrier von Herculanus ab: er schien sich an ihm satt genug gesehen zu haben.

      »Ja,« sprach langsam, fast feierlich Ausonius. »Ich habe das oft erwogen. Es ist eine ernste, sehr ernste Sache — in meinem Alter!« »In jedem Alter,« sprach Saturninus. »Die Jahre stehen dir nicht im Weg! Du magst fünfzig sein?« »Zweiundfünfzig,« seufzte der Gefragte. »Und mein Haar ist grau!« — »Noch nicht sehr! — Übrigens: das meine auch! Bei mir vom Helmdruck! — Und es läßt dir recht gut! Du bist ein —« »Ein schöner alter Herr! willst du sagen,« lächelte Ausonius. »Ist just nicht, was die Mädchen lieben.«

      »Nun, du brauchst dir ja keine sechzehnjährige auszusuchen.« »Aber auch keine viel ältere!« fiel der Dichter hurtig ein. »Nein, mein Freund! Ich will ja Jugend und Anmut um mich haben!« »Auch gut,« meinte der Illyrier. »Du hast die Auswahl in deiner Provinz, ja im ganzen Reich. Du, der höchste Beamte in Gallien, des Kaisers Lehrer und Liebling, der gefeierte Dichter und ... —«

      »Und die reichste Partie im Abendland!« rief der Neffe in grellem Ton dazwischen. Er hatte bisher hartnäckig geschwiegen, die Augen niedergeschlagen und den im Ausdruck allzu beweglichen Mund mit der Hand bedeckt. »Der reichste Greis diesseit der Alpen!« fügte er bei. »Ja, das ist es,« seufzte Ausonius bitter. »Herculanus spricht nur offen, freimütig aus, was mich in diesen Jahren im stillen soviel gequält, ja, was allein mich abgehalten hat. Du weißt, mein Freund — oder vielmehr, du rauher Tribun der Kriegslager, du weißt es nicht! — wie, aus welchen Erwägungen in unseren großen Städten die Eltern ihre Töchter verheiraten, ja wie diese Mädchen selbst, kaum haben sie die Puppe beiseite gelegt, sofort ausspähen nach einer ›guten Partie‹! Wahrlich, nicht Eros und Anteros, — Hermes und Plutos führen heute die Paare zusammen.« »Ja, sie heiraten nur das Geld!« zürnte Herculanus. »Ich bin arm: — mich fliehen die Mädchen! —« Der Tribun wollte etwas erwidern, aber er lachte nur — und trank. »Obwohl ich fast dreißig Jahre jünger als der Oheim! — Ihn umschmeicheln Väter, Mütter, Vormünder, ja diese aufdringsamen Katzen selbst, — daß ich ihn kaum genug warnen und hüten kann.« »So hütet der Zeidler den Honig vor den Mäusen,« brummte der Illyrier unhörbar vor sich hin. — »Mein Neffe hat ganz recht. Ein Freund von mir, Erminiscius, ein reicher Kaufmann, Juwelenhändler, fünfzig Jahre alt, heiratet ein Mädchen von zwanzig. Eine Woche darauf ist sie verschwunden, mit all‘ seinen alten Juwelen und — mit seinem jüngsten Freigelassenen. — Ein anderer, Euronius, ein großer Weinbergbesitzer, etwas älter, heiratet eine junge Witwe von fünfundzwanzig — das heißt: er ward von ihr geheiratet: denn sie ruhte nicht eher! Noch vor der Hochzeit mußte er sein Testament machen: sie diktierte es ihm Wort für Wort: — an den nächsten Calenden starb er an — Bauchgrimmen. Gefiel mir gar nicht: — ich hasse Bauchgrimmen! Und ganz nahe seinem Garten wuchsen so viele Tollkirschen! Und nun hättest du die Lebensvergnüglichkeit dieser Doppelwitwe sehen sollen! Auf einmal machte sie mir einen Besuch — sie ist sehr schön und war hinreißend lieb gegen mich: — aber ich dachte immer an des verewigten Euronius Bauchgrimmen und kam so noch ungeheiratet davon. Nun bilde ich mir nicht in allen Fällen das Durchgehen oder einen Tollkirschenkuchen ein: — nicht jede ist eine Helena oder eine Locusta! — Mißtrauen ist mein Fehler sonst nicht! —« »Eher das Gegenteil,« meinte Saturninus. — »Aber, ich gestehe es, meine grauen Haare machen mich argwöhnisch. Ich wäre so unglücklich — Apollos reichster Lorbeer würde die Wunde nicht heilen! — müßte ich glauben, man habe mich geheiratet, nur um mich zu beerben. Ich verdiene das nicht.« »Nein, wahrlich nicht,« rief der Tribun, warm seine Hand drückend. »Du weiches, warmes, offnes Herz! Niederträchtig wäre, wer dir Liebe heuchelte um deines Geldes willen! Und ich wünsche dir, daß du noch ein ganzes Rudel von Kindern um deine Kniee spielen siehst in den herrlichen Villengärten an deiner geliebten Garumna blühenden Ufern.« Ausonius lächelte behaglich vor sich hin. Das Bild schien ihn zu vergnügen. Da traf sein Auge den Blick des Neffen, der, minder behaglich, in die Ferne zu schauen schien. »Sorge nicht, Herculanus!« mahnte er. »Auch wenn das so käme, — mein Testament würde deiner nicht vergessen — und deiner Gläubiger!« fügte er mitleidig lächelnd bei. »Testament! Welch‘ Unheilswort! Fern sei das Omen!« rief der Neffe. »Nun, man stirbt ja nicht am Testiren! Sonst wäre ich lange tot. Ein römischer Bürger bestellt als beflissener Hausvater sein Haus für alle Fälle: — auch für den Todesfall. Und so habe ich denn, obzwar Herculanus jetzt nach dem Gesetz ohnehin mein einziger Erbe, vor dem Aufbruch zu dem Heere mein Testament vor der Kurie zu Burdigala errichtet und ihn feierlich zum Erben eingesetzt: ein paar kleine Vermächtnisse, dann Freilassungen von treuen Sklaven mußte ich doch auch anordnen. Dir, Saturninus,« fuhr er lachend fort, »vermache ich aber nach der Heimkehr in einem Kodicill ein wertvoll und dankbar Andenken an diesen Abend!« — »Nun?« — »Ein Exemplar der Mosella — jedoch: die Verse über die Fische zur Strafe herausgeschnitten!« Und er trank, vergnügt über seine eigne gute Laune.

      Elftes Kapitel

      »Du sollst und wirst mich überleben, mein edler Freund! Der Kriegstribun liegt doch bald, wohin er gehört: auf seinem Schild. Du aber, du gehörst nach Burdigala in dein geschmackvolles, von seltenen Kunstwerken gefülltes Säulenhaus: — welche Gastfreundschaft hab‘ ich dort nach meiner letzten Verwundung genossen! — Oder gar nach Rom: in den Senat! Nicht hierher in die Waldsümpfe dieser Alamannen! — Warum — mochtest du immerhin den Kaiser nach Vindonissa begleiten — warum hast du, Mann des Friedens und der Musen, dich diesem Streifzug angeschlossen? Das ist doch nichts für dich! Was hast du auf dem barbarischen Ufer dieses Sees zu schaffen?« »Ich? — Ich — suche hier etwas,« antwortete Ausonius nach einigem Zögern. — »Lorbeern des Mars zu denen des Apollo?« — »Nicht doch! — Nur — eine Erinnerung!« Herculanus warf einen verständnisscharfen Blick auf den Oheim.

      »Oder: wenn du lieber willst — einen Traum, eines Traumes Erfüllung. Ich halte viel auf Träume!« »Natürlich,« lächelte der Tribun, »wie alle Poeten! — Ich halte mehr auf wache Gedanken.« — »Als ich mit dem Heere drüben in Bindonissa angelangt war, stieg mir lebhaft empor eine liebe, holde Erinnerung an ein Kind: ein an Leib und Seele gleich reizendes Kind, das ich vor einigen Jahren hier kennen gelernt und liebgewonnen habe.«

      »Einen Knaben?« — »Nein, ein Mädchen.« »Ei, ei, Pädagoge des Kaisers!« scherzte der Tribun. Der Neffe scherzte nicht; schweigend beobachtete er jede Miene des Oheims.

      »O beruhige dich! Bissula ist ein Ding von etwa zwölf Jahren, — das heißt — sie war es damals. Sie brachte mit einem sarmatischen Knecht jede Woche die Fische nach Arbor, die ihr Oheim hier am Nordufer gefangen. Und wie anmutig plauderte sie! Ihr barbarisches Latein sogar klang zierlich aus dem kirschroten Mund! Wir wurden die besten Freunde. Ich schenkte ihr — Geld nahm sie nicht und nicht kostbaren Schmuck — geringen Zierat und vor allem: Sämereien von gallischem Edelobst und Blumen von der Garumna für ihren kleinen Hausgarten. Sie aber erzählte mir wundersame Geschichtlein von den Sylvanen und Faunen der Wälder, von den Nymphen des Sees und der Quellen hier im Lande: — aber ganz anders benannte sie die Kleine! — und von den Berg-Giganten da drüben, deren weiße Häupter im Abendgolde glänzten. Und ich — ich —« — »Du lasest ihr natürlich die Mosella vor!« lachte Saturninus. »Allerdings!? Und die kleine Barbarin zeigte mehr Geschmack dabei als der große römische Feldherr! Nicht die Fische gefielen ihr am besten ...—« — »Glaub‘ es gern. Sie hatte ja selbst bessere, rühmtest du vorhin.«


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