Tausend Und Eine Nacht. Gustav Weil
seine Teilnahme und zog mich nach einer Weile in mein Kämmerchen zurück, immer über mein Abenteuer nachdenkend und über meinen Übermut, der mich auf den Talisman zu treten verleitet hatte. Ich zürnte auf mich selbst, da kam auf einmal der Schneider zu mir herein und sprach: »Draußen steht ein alter Mann mit deiner Axt und deinen Sandalen; er erzählte mir, er habe sie im Walde gefunden, und von den Holzhauern, bei denen er sich nach ihrem Eigentümer erkundigt, erfahren, daß sie dir gehören.« Als ich dies vernahm, ward ich ganz blaß, und noch ehe ich dem Schneider geantwortet, spaltete sich das Zimmer und der fremde Alte, welcher der Geist selbst war, trat herein. Da er, nämlich der Geist, trotz der Folter von der Dame nicht erfahren hatte, wer bei ihr gewesen, nahm er die Axt und die Sandalen und sagte: »Bin ich nicht ein Geist, Enkel des Iblis?Iblis ist der Luzifer der Araber, der aus dem Himmel vertrieben wurde, weil er sich weigerte, vor Adam hinzuknieen, wie es die übrigen Engel auf Gottes Befehl getan. es muß mir wohl ein leichtes sein herauszubringen, wem diese Axt und die Sandalen gehören;« hierauf nahm er die Gestalt eines fremden Greisen an und fragte alle Holzhauer, bis er mich aufgefunden.
Der Geist war kaum erschienen, erzählte der Kalender weiter, so ergriff er mich ohne weitere Umstände, flog mit mir eine Strecke in die Höhe, und ließ sich dann zur Erde hinunter, die sich sogleich vor ihm spaltete, als er sie mit dem Fuße berührte. Hier verging mir das Bewußtsein, und als ich wieder zu mir kam, befand ich mich mitten im Palaste, in dem ich eine so schöne Nacht zugebracht hatte; ich sah das Mädchen entkleidet vor mir auf den Boden hingestreckt, das Blut strömte von allen Seiten ihres Körpers herab und ich mußte über einen solchen Anblick heftig weinen. »Hier hast du deinen Liebhaber«, sagte der Geist sogleich zu ihr. Diese warf einen Blick auf mich und antwortete: »Ich kenne diesen Menschen nicht, ich sehe ihn zum ersten Male.« »Wehe dir!« rief ihr dann der Geist zu, »bist du noch nicht genug gepeinigt worden? Willst du deine Schuld noch nicht gestehen?« Das Mädchen aber wiederholte immer, sie kenne mich nicht und wolle nicht durch eine Lüge Ursache meiner Tötung werden. »Nun gut«, sagte der Geist, »wenn du ihn nicht kennst, so nimm dieses Schwert und schlage ihm den Kopf damit herunter.« Das Mädchen ergriff hierauf das Schwert und ging auf mich zu; als sie vor mir stand, suchte ich sie durch einen Mitleid erregenden Blick zu erweichen; aber auch sie gab mir durch einen Blick zu verstehen, daß ich selbst an meinem Tode schuld sei; wir verstanden uns gegenseitig so gut, daß wohl folgende Verse auf uns passend erscheinen:
»Statt meiner Zunge spricht mein Auge zu dir und gesteht dir die Liebe, die ich verbergen wollte. Tränen flossen, als wir uns begegneten, ich schwieg, doch die Augen hatten alles gesagt. Du winkst mir zu, und ich verstehe dich schon; ich verändere nur meinen Blick, und schon weißt du, was ich will. Unsere Augenlider vermitteln unsre Anliegen, wir schweigen, aber die Liebe spricht.«
Nach und nach ließ sie sich doch von meinen Blicken erweichen, warf das Schwert weg und sagte dem Geiste: »Wie soll ich einen Mann töten, den ich nicht kenne? Wie soll ich sein unschuldiges Blut vergießen?« »Gewiß«, sagte der Geist, »kannst du ihn deswegen nicht umbringen, weil du ihn liebst und eine Nacht mit ihm hier zugebracht hast, darum läßt du dich lieber noch so hart bestrafen, als daß du etwas gegen ihn aussagest; übrigens weiß ich ja wohl, daß alle Geschöpfe nur ihre Gattung lieben und du daher natürlich mir einen Menschen vorziehst.« Er wandte sich dann zu mir und fragte mich, ob ich diese Frau kenne, und als ich beteuerte, sie nie gesehen zu haben, gab er mir das Schwert und sagte: »Bringe sie denn um, damit du wieder frei wirst, so nur glaube ich, daß du sie wirklich nicht kennst.« Ich nahm hierauf das Schwert und ging auf das Mädchen zu.
Als ich, fuhr der zweite Kalender in seiner Erzählung fort, mich mit dem Schwerte in der Hand ihr genähert, warf sie mir einen Blick zu, welcher deutlich sagte: »Belohnst du auf diese Weise meine Großmut?« Ich erwiderte ihren Blick mit einem andern, welcher sagen sollte: »Fürchte nichts! gern gebe ich mein Leben für das deinige hin.« Sehr gut finde ich unsere Lage in folgenden Versen beschrieben:
»Wie mancher Liebende spricht zu seiner Geliebten mit den Augenlidern von dem, was sein Herz verbirgt. Mit einem Blicke zeigte sie dann an, daß sie ihn wohl verstanden. Wie schön steht dem Gesichte ein bedeutungsvoller Blick, wie reizend ist ein Auge, das jeden Wink versteht. Es ist, als lese der eine mit den Augen, was der andere mit den Augenlidern geschrieben.«
Ich warf nunmehr das Schwert weg und sprach zu dem Geiste: »O du mächtiger Geist, wenn ein Weib von schwächlicher Natur, leichtfertigem Verstande und übereilter Zunge einen unbekannten Menschen nicht unschuldigerweise erschlagen wollte, wie soll ich überlegender Mann so etwas tun? lieber will ich den Todesbecher leeren, als ein solches Verbrechen begehen.« Der Geist erwiderte darauf: »Ihr sollt nun gleich erfahren, daß ihr mir nicht ungestraft trotzen dürfet.« Dann ergriff er das Schwert und hieb der Schönen zuerst die rechte und dann die linke Hand ab; sie fiel sterbend hin und winkte mir ein ewiges Lebewohl zu. Auch ich fiel in Ohnmacht und wünschte nur recht bald durch den Tod von meinen Qualen befreit zu werden. Als ich wieder zu mir kam, sagte der Geist: »Du hast gesehen, wie Untreue bestraft wird. Bei uns Geistern ist es Sitte, daß, sobald ein Weib uns untreu geworden, wir sie nicht mehr berühren dürfen, und es bleibt uns nicht übrig, als sie umzubringen. Was nun aber dich betrifft, da ich doch von deiner Schuld nicht überzeugt bin, so kannst du wählen, in welche Gestalt von folgenden Tieren du verwandelt werden willst. Du kannst unter einem Hunde, einem Esel, einem Löwen oder irgend einem anderen wilden Tiere, oder auch einem Vogel, wählen.« Da ich nunmehr beim Geiste schon einige Spuren der Milde wahrgenommen, sagte ich zu ihm: »O erhabener Geist! wie großmütig wärest du, wenn du mir gänzlich verzeihen wollest, wie jener Beneidete dem Neider verziehen.« Als der Geist fragte, was das für eine Geschichte wäre, erzählte ich ihm folgendes:
Es wohnten einst zwei Männer hart neben einander in der Stadt. Einer derselben beneidete den anderen und gab sich alle mögliche Mühe, seinen Nachbar zu kränken und ihm allerlei Unannehmlichkeiten in den Weg zu legen. Der Neid plagte ihn so sehr, daß er zuletzt, vor Erbitterung über den immer zunehmenden Wohlstand seines Nachbars, weder essen, trinken noch schlafen konnte. Als der Nachbar dieses bemerkte, beschloß er, die Nähe eines so bösen Menschen zu meiden und nicht nur sein Haus, sondern auch die Stadt zu verlassen, um an einem fremden Orte sich niederzulassen. Er kaufte daher ein Stück Land in der Nähe einer anderen Stadt, das er mittelst einer alten Zisterne wässern und fruchtbar machen konnte. Er lebte hier still, zurückgezogen, in frommer Andacht. Er war aber so wohltätig gegen Arme, die ihn von allen Seiten her besuchten, daß man doch bald in der nahen Stadt viel von ihm redete und die vornehmsten Leute ihn zuweilen in seiner Einsamkeit besuchten. Als nun dem neidischen Nachbar dies zu Ohren kam, begab er sich auf das Gut seines ehemaligen Nachbars, sprach zum Beneideten, ich habe etwas Wichtiges mit dir allein zu sprechen, lasse die Armen sich zurückziehen, die dich umgeben. Nachdem diese, auf Geheiß des Gutsbesitzers, sich entfernt hatten und die beiden ehemaligen Nachbarn, im Gespräche vertieft, immer weiter gingen, bis sie in die Nähe der Zisterne gekommen waren, ergriff der Neider den Beneideten plötzlich und warf ihn hinein; hierauf ging der Neider wieder nach Hause, in der Gewißheit, den Beneideten glücklich getötet zu haben.
Da aber dieser Brunnen von Geistern bewohnt war, fuhr der zweite Kalender in seiner Erzählung fort, fingen diese den Beneideten auf und brachten ihn wieder aufs Trockene, dann erzählte einer der Geister den übrigen, wer dieser Halbertrunkene sei und wie er durch die Bosheit seines Nachbars ohne ihre Hilfe hätte sterben müssen. Dann berichtete ein andrer, wie der Sultan so viel von der Frömmigkeit und dem heiligen Leben dieses Mannes gehört, daß er sich entschlossen habe, ihn zu bitten, seine Tochter heilen zu wollen, die von bösen Geistern besessen sei, vom Geiste Maimun, Sohn des Dimdim, nämlich, der sich in sie verliebt habe. Da fragte ein Geist: Womit könnte aber die Tochter des Sultans geheilt werden? Der fromme Mann müßte, erwiderte der erste Geist, aus dem weißen Fleckchen am Schwanze seiner schwarzen Katze, das so groß ist wie eine Silbermünze, sieben Haare ausreißen und die Prinzessin damit beräuchern, dann muß der böse Geist sogleich aus ihrem Kopfe fahren und nie mehr zurückkehren. Da der Beneidete dieses ganze Gespräch der Geister mit angehört hatte, so nahm er, sobald der Tag angebrochen, sieben Haare aus dem weißen Fleckchen des Schwanzes seiner schwarzen Katze, und kaum war er wieder mit seinen Freunden, die ihn am Brunnen abholten, ins Haus zurückgekehrt, so trat auch schon der Sultan mit einem zahlreichen Gefolge herein, während eine Abteilung Soldaten vor der Türe stehen blieb. Der Beneidete sagte dem