Tausend Und Eine Nacht. Gustav Weil
Maimuna hatte ihn durch ihre Bezauberung in einen tiefen Schlaf versenkt. Die Prinzessin schüttelte ihn auf diese Weise zu wiederholten Malen, und als sie sah, daß er nicht aufwachte, fuhr sie fort: »Mein Geliebter! Ich beschwöre dich bei meinem Leben, erwache doch, daß wir uns freuen! Öffne deine Augen und sieh‘ meine Narzissen! Fühle meinen zarten Körper! Sollte ein auf unser Glück neidischer Nebenbuhler dich behext und in diesen unüberwindlichen Schlaf versenkt haben? Oder ist es vielleicht Veranstaltung von meinem unglückseligen Vater, daß du dich nicht mit mir unterhalten willst?« Aber der Jüngling erwachte nicht, und ihre Leidenschaft ward immer heftiger. Sie verschlang ihn mit Blicken, welche tausendfachen Schmerz in ihrem Busen zurückließen. Endlich küßte sie seine Hand und bemerkte ihren Ring an seinem Finger. Da seufzte sie tief auf und sagte: »Wehe dir, was verstellst du dich so? Gewiß hast du gewacht, während ich schlief, und hast mich geküßt, und — o Gott! Ja, diesen Ring nehme ich nicht zurück.« Sie küßte ihn dann zwischen die Augen, auf die Wangen und auf den Mund, öffnete seinen Hemdkragen und suchte nach etwas, das sie als Andenken nehmen könnte, fand aber nichts; zuletzt streckte sie sich neben ihn hin, legte eine Hand unter, die andere über ihn, und in dieser Umarmung schlief sie wieder ein. Als sie fest schlief, sagte Maimuna zu Dahnesch: »Nun, du Verfluchter! Hast du‘s gesehen? Bist du nun überzeugt, daß deine Prinzessin nicht so schön ist als mein Prinz? Doch ich verzeihe dir.« Und indem sie sich zu Kaschkasch wandte, fügte sie hinzu: »Geh‘ mit Dahnesch und hilf ihm die Prinzessin an ihren Platz zurücktragen, denn die Nacht ist vorüber und ich kann mein Ziel nicht weiter verfolgen.« Kaschkasch gehorchte, und die beiden Geister flogen mit dem Mädchen nach ihrer Heimat, wo dann jeder seines Weges ging, und Maimuna entfernte sich gleichfalls.
Als der Prinz Kamr essaman am folgenden Morgen erwachte, blickte er um sich, fand aber das Mädchen nicht mehr. Da sagte er bei sich selber: »Ich hatte mir es doch gleich gedacht, daß mich mein Vater nur necken will.« Er rief dann dem Sklaven und sagte zu ihm: »Wehe dir, du nichtswürdiger Hund! wie lange willst du noch schlafen? Steh‘ einmal auf!« Der Diener stand ganz betäubt auf und brachte ihm Waschbecken und Wasser. Kamr essaman erhob sich von seinem Lager, wusch sich, und nachdem er sein Gebet verrichtet hatte, nahm er den Koran und las eine zeit lang. Dann ging er wieder zum Sklaven und sprach zu ihm: »Wehe dir, wenn du mich belügst! Komm her und sage mir die Wahrheit: wo ist das Mädchen hingekommen, das heute Nacht an meiner Seite geschlafen hat?« — »Mein Herr!« versetzte der Sklave, »ich schwöre dir, daß ich nichts davon weiß. Wie sollte denn ein Mädchen hereingekommen sein, da ich doch an der Türe schlafe?« — »Du lügst, verdammter Sklave!« erwiderte der Prinz. »Du bist auch mit ihnen im Einverständnis.« Der Verschnittene wich erschrocken vor ihm zurück und wiederholte: »Bei Gott, mein Herr, ich habe nichts gesehen!« Aber Kamr essaman hieß ihn näher treten, faßte ihn an der Kehle, warf ihn zu Boden, kniete auf ihn und trat ihn mit Füßen; dann schleppte er den Ohnmächtigen zum Brunnen hin, band ihm das Seil unter die Arme, ließ ihn daran hinab und tauchte ihn mehrmals mit dem Kopf unters Wasser. »Ich lasse dich nicht herauf«, rief er ihm zu, als er nach Hilfe schrie, »wenn du mir nicht sagst, wer das Mädchen ist, und wie es zu mir hereinkommen ist.« Der Sklave dachte: Ohne Zweifel hat der Prinz, mein Herr, den Verstand verloren, und ich kann nur durch eine Lüge mich retten. — »Mein Herr!« sagte er hierauf, »ziehe mich herauf, ich verspreche dir, alles zu sagen.«
Der Prinz zog nun den vor Furcht zitternden Sklaven wieder herauf. Dieser sagte aber: »Mein Herr, vergönne mir, meine Kleider zu wechseln, dann will ich dir über das Mädchen Auskunft geben.« — »Ich gewähre es dir«, erwiderte Kamr essaman; »aber mach‘ geschwind, du elender Sklave, hättest du nicht den Tod vor Augen gesehen, so würdest du mir nicht die Wahrheit eingestehen.« Der Sklave ging hinaus und lief, wie er war, in den Palast. Der König unterhielt sich eben mit seinem Großvezier über Kamr essaman. Er hatte eine lange schlaflose Nacht gehabt und an die Worte des Dichters gedacht:
»Mir wird die Nacht so lange, während die Verleumder ruhig schlafen; ist es nicht genug an einem Herzen, das unter Gram und Kummer erliegt?«
»Während die Nacht noch immer nicht weichen will, rufe ich dem Tageslichte zu: Willst du gar nicht mehr erscheinen?«
Er konnte kaum den Morgen erwarten, bis er mit dem Vezier allein war. Dieser sagte: »Gott verfluche diese Welt! Aber, lasse den Prinzen eine Weile eingesperrt, bis die jugendliche Hitze verraucht, dann wird er deinem Wunsche, sich zu vermählen, willfahren.«
Der Vezier endigte soeben diese Rede, als der Sklave in seinen durchnäßten Kleidern vor den König Schah Seman trat. »Herr!« sagte er zu ihm, »dein Sohn spricht von einem Mädchen, welches vergangene Nacht bei ihm geschlafen habe, er ist rasend geworden und hat mich in den Zustand versetzt, in welchem du mich hier siehst.« Nachdem der König den Sklaven angehört hatte, warf er einen vorwurfsvollen Blick auf den Vezier und rief: »O mein Sohn, mein armer Sohn!« Hierauf befahl er dem Vezier, selbst hinzugehen und zu erforschen, was sich zugetragen. Der Vezier gehorchte auf der Stelle. Beim Eintritt in das Zimmer fand er den Prinzen lesend. Er grüßte ihn, und Kamr essaman erwiderte den Gruß. Nachdem er sich hierauf neben ihm niedergelassen, sprach er zu ihm: »Gott verdamme deinen Sklaven, der dem König etwas eingeflüstert, das ihn in solchen Schrecken gesetzt hat!« — »Wieso?« erwiderte der Prinz, »ich glaube doch eher, daß er mir was vorgeschwatzt hat.« — »Prinz!« versetzte der Vezier, »verhüte Gott, daß dasjenige, was er von dir berichtet hat, wahr sei! Es wäre jammerschade um deine Jugend und Schönheit.« — »Nun«, erwiderte der Prinz, »da ihr doch meinen Sklaven über seine Rede tadelt, so sage du mir, du bist doch ein verständiger Mann, wo das Mädchen ist, welches diese Nacht bei mir geschlafen hat.« Bei dieser Frage rief der Vezier: »Gott schütze dich, mein Sohn! Wie wäre es möglich, daß ein Mensch bei Nacht hier eingedrungen sein sollte, da doch die Türe verriegelt ist und ein Sklave vor derselben schläft? Nimm deinen Verstand zusammen!« Der Prinz geriet in heftigen Zorn und rief: »Wehe dir! sage mir, wo das Mädchen hingekommen ist, das ich nur aus Furcht und Scheu vor meinem Vater unberührt gelassen?« Der Vezier war sehr erstaunt über diese Worte und rief: »Es gibt keinen Schutz und keine Macht außer bei dem erhabenen Gott! Sage mir, mein Herr! hast du das Mädchen mit deinen eigenen Augen gesehen?« — »Ja, ja!« antwortete der Prinz, »ich habe sie gesehen und wohl gemerkt, daß sie eurer Weisung zufolge kein Wort mit mir sprach, doch habe ich an ihrer Seite geschlafen und des Morgens sah ich sie nicht mehr.« — Der Vezier versetzte; »Mein Herr! du hast vielleicht das Mädchen nur im Traume gesehen.« — »Du kommst also auch nur, um deinen Spott mit mir zu treiben«, erwiderte zornig der Prinz, »und um mir zu sagen, daß dasjenige, was ich dir erzähle, ein Traum sei. Der Diener wird aber sogleich kommen und mir die Wahrheit berichten.« Mit diesen Worten griff Kamr essaman dem Vezier in den Bart, schlang denselben um seine Hand und bearbeitete den Unglücklichen so lange mit Schlägen, bis er das Bewußtsein verlor. Sobald er sich erholt hatte, dachte er bei sich selber: Hat sich doch der Diener aus der Gefahr zu ziehen gewußt, warum sollte ich nicht auch mein Leben retten. Er rief daher dem Prinzen zu, er möchte aufhören ihn zu schlagen, und als er einhielt, sagte er: »Entschuldige mich, mein Sohn! ich bin nur dem Befehl deines Vaters gefolgt, dem ich mich nicht widersetzen konnte, warte nur, ich will dir alles erzählen.« — »So steh‘ auf«, versetzte der Prinz, »und erzähle!« — »Mein Herr!« sprach der Vezier, »du willst über das schöne Mädchen Auskunft haben?« — »Ja«, antwortete der Prinz, »sage mir, wer sie hergebracht hat und wo sie jetzt ist, damit ich sie heirate, sage dies meinem Vater und bitte ihn herzukommen, und mir sie zur Frau zu geben. Mache geschwind!« Der Vezier hörte kaum die Worte, als er sich auf den Weg machte, und zwar so schnell, daß er über die Schleppe seines Kaftan stolperte. Er glaubte sich nicht eher in Sicherheit, als bis er aus dem Turme war. Als er vor dem König erschien, fragte dieser, »Was bringst du?« — »Herr«, antwortete der Vezier, »dein Sohn ist wahnsinnig.« Schah Seman sagte zu dem Vezier: »Daran ist der Rat schuldig, den du mir gegeben hast! Bei Gott, wenn meinem Sohn etwas widerfahren ist, so lasse ich dir den Kopf abschlagen und alles wegnehmen, was du besitzest!« Hierauf erhob er sich und machte sich auf den Weg nach dem Turme. Der Vezier begleitete ihn.
Als Kamr essaman seinen Vater eintreten sah, stand er auf, küßte ihm die Hand, trat dann ehrerbietig wieder einige Schritte zurück und neigte sein Haupt, während ihm Tränen aus den Augen stürzten. Der König setzte sich auf den Divan, rief den Prinzen an seine Seite und