Tausend Und Eine Nacht. Gustav Weil
und seiner Krankheit sprechen hörte, und von dem bösen Geiste, der ihm den Verstand getrübt. Er erkundigte sich, in welcher Stadt dieser Prinz lebe, und erfuhr, daß er zu Lande sechs Monate, zu Wasser aber nur einen Monat brauche, um sie zu erreichen. — Marsawan bestieg einen eben reisefertigen Kauffahrer, auf welchem er nach Verlauf eines Monats die Hauptstadt von Schah Semans Königreich erblickte, denn das Schiff war nur noch eine Tagesreise weit vom Ufer entfernt. Da stieß das Schiff auf einen Felsen. Die Bretter flogen auseinander und das Schiff versank mit allem, was darauf war. Marsawan wurde aber von der Strömung dem Ufer zugetrieben. So gelangte er bis in die Nähe des Schlosses, in welchem Kamr essaman sich aufhielt. Zufälligerweise war es an einem Tage, an welchem die Emire dem König ihre Aufwartung machten. Der König saß auf dem Ruhebette und hatte den Kopf seines kranken Sohnes auf dem Schoße liegen, während ein Diener die Fliegen von ihm verscheuchte. Der Prinz rief in einem fort: »O ihr Wuchs! o ihre Wangen!« Endlich schlief er ein, und der Vezier, der ihm zu Füßen saß, blickte nach dem Meere hin und sah, wie Marsawan dem Ertrinken nahe war. Voll Mitleid mit ihm, benachrichtigte er den König davon und sagte: »Wenn du es erlaubst, so will ich hingehen und ihn vom Tode retten: wer weiß, ob nicht Gott auch deinen Sohn von seinem Übel befreit.«
Der König willfuhr der Bitte, und der Vezier öffnete die Türe, die nach dem Meere führte und ging den Damm entlang und kam gerade am Ufer an, als Marsawan noch einmal aus den Wellen auftauchte. Er reichte ihm die Hand und half ihm heraus und wartete eine Weile, bis er wieder zu sich gekommen war, dann zog er ihm seine Kleider aus und gab ihm andere. Dann sagte er ihm: »Mein Sohn! Ich bin das Werkzeug deiner Rettung, und so kann vielleicht durch dich auch anderen geholfen werden.«
Marsawan bat, ihm zu erzählen, wem geholfen werden sollte und der Vezier sagte ihm alles, was sich mit Kamr essaman zugetragen hatte, von Anfang bis zu Ende.
Die Erzählung des Veziers traf genau mit demjenigen zusammen, was Marsawan schon anderwärts gehört hatte, er konnte jetzt nicht mehr zweifeln, daß der Prinz Kamr essaman derjenige sei, für den die Prinzessin von China in Liebe entbrannte, und er sah sich am Ziel seiner Wünsche. Er folgte dann dein Vezier ins Schloß. Dieser setzte sich zu den Füßen des Prinzen, während Marsawan vor letztern hintrat. Als er ihn erblickte, rief er: Gepriesen sei der Schöpfer! Sein Wuchs, seine Farbe, seine Wangen sind wie die der Prinzessin. Als der Prinz die Augen aufschlug und mit seinen Ohren aufhorchte, sprach Marsawan, nach dem Gebete über Mohammed, folgende Verse:
»Ich sehe dich kummervoll und vernehme dein Seufzen. Deine Gedanken schwärmen bis zu den äußersten Wolken des Himmels.«
»Hat Liebe sich deiner bemächtigt, oder bist du von Pfeilen getroffen? Denn alles, was ich an dir sehe, ist Zeichen eines verwundeten Herzens.«
»Hüte dich, an nächtliche Besuche mich zu erinnern; denn schon der Mund, der von ihr spricht, erregt meine Eifersucht.«
»Ich beneide ihre Kleider, weil sie ihren zarten Körper umgeben, und den Becher mit Getränk, weil er ihre Lippen berührt.«
»Tödlich bin ich verwundet, doch nicht von der Schneide des Schwerts, sondern von Blicken, die gleich Pfeilen in mich drangen.«
»Als wir uns begegneten, fand ich ihre Fingerspitzen rot, als wären sie mit dem Safte des Drachenblutes gefärbt.«
»Ach, sagte ich zu ihr, wie kannst du deine Hände noch färben, wenn ich ferne von dir bin? Ist das der Lohn für Liebespein und Trennungsschmerz?«
»Bei deinem Leben, antwortete sie mir, und ihre Rede schleuderte einen unauslöschlichen Liebesbrand in mein Herz, und kam aus einem Herzen, das aus seiner Liebe kein Geheimnis macht: das ist nicht Farbe, womit ich meine Finger gefärbt habe! laß dich durch diesen Schein nicht trügen und vermehre nicht deinen Kummer durch solche Vermutung;«
»Wisse, als ich dich ferne von mir sah, der du mein Ober— und Unterarm warst, entquoll Blut meinen Augen: davon sind meine Finger so rot.«
»Leicht hätte ich mich trösten können, wenn ich zuerst geweint hätte; aber sie weinte vor mir, und ihre Tränen brachten auch mich zum Weinen und der Vorzug gebührte dem Vorangehenden.«Dieser Vers kommt bei älteren Dichtern vor, es fehlt aber das Vorhergehende, in welchem von einer klagenden Taube die Rede ist.
»O scheltet mich nicht, daß ich sie liebe: denn bei meiner Liebe! es ist schon Leid genug bei der Liebe!«
»Schönheit sondergleichen hat ihr Antlitz geschmückt, und in keinem Lande hat mein Aug‘ etwas Ähnliches gesehen.«
»Schmachtend sind ihre Augen, fein ihr Wuchs; Rosen sind ihre Wangen, und Wohlgeruch ist ihr Mund. Sie hat die Weisheit Lokmans und die Schönheit Josephs, die Stimme Davids und die Keuschheit Marias.«
»Aber ich empfinde den Schmerz Jakobs und die Angst des Jonas, die Qualen Hiobs und die Reue Adams.«
»Schont ihres Lebens, wenn ihr auch Macht habt, sie zu töten; fragt sie nur, wie sie mein unschuldiges Blut vergießen mochte.«
Der Prinz Kamr essaman fühlte bei diesen Worten Marsawans eine süße Erquickung in seinem Herzen, seine Zunge bewegte sich in seinem Munde und er gab seinem Vater durch Winke zu verstehen, er möchte erlauben, daß der Fremdling sich neben ihn setze. Der König, außer sich vor Freude, stand auf und setzte Marsawan zu Häupten seines Sohnes. Er fragte ihn dann, wer er sei und woher er komme, und nachdem Marsawan ihm geantwortet hatte, er sei ein Untertan des mächtigen Königs von China und komme aus dessen Staaten, sagte er: »Wollte Gott, daß du meinen Sohn von seiner Krankheit heilen könntest.« »So Gott will, wird es geschehen,« erwiderte Marsawan. Er näherte sich hierauf dem Ohre des Prinzen und sprach zu ihm: »Mein Herr, fasse Mut und höre auf, dich so zu betrüben! Frage nicht nach der, um welcher willen du leidest, noch nach ihrem Zustande: du hast dein Geheimnis in deine Brust verschlossen und bist dadurch krank geworden; sie aber hat alles geoffenbart und leidet noch mehr; ihr Zustand grenzt an Wahnsinn, und sie trägt deshalb Ketten an Händen und Füßen.«
Marsawans Worte brachten auf den Zustand Kamr essamans eine so mächtige Wirkung hervor, daß dieser seinen Vater herbeiwinkte, um ihn im Bette aufrecht zu setzen. Der König und der Vezier richteten ihn empor und unterstützten ihn mit zwei Polstern. Die Emire waren hoch erfreut und der König ließ die Pauken schlagen und sagte zu Marsawan: »Das verheißt uns eine glückliche Zukunft.« Dann ließ er Speisen und Getränke bringen. Kamr essaman trank und aß, der Sultan war beglückt durch die Genesung seines Sohnes, der sich den ganzen Abend von Marsawan erzählen ließ, was er von der Prinzessin Bedur wußte. Zuletzt sagte Marsawan: »Mein Herr! was dir mit deinem Vater widerfahren ist, hat sich auch bei ihr mit ihrem Vater ereignet, doch fasse Mut und stärke dein Herz, ich werde dich zu ihr bringen und euch vereinen.« So unterhielt er den Prinzen, bis er gegessen und getrunken und sich wieder gestärkt hatte.
Der König ließ die Stadt sieben Tage hintereinander festlich schmücken, Geschenke unter die Truppen austeilen, alle Gefängnisse öffnen, jede Gewalttat aufhören und die Zölle abschaffen. Als der Prinz mit Marsawan allein war, sagte er zu ihm: »Wie wird es mir mit der Reise gehen? Mein Vater liebt mich so sehr, daß er sich nicht eine Stunde von mir trennen kann; sage mir, wie ich es angreifen soll: ich werde deinem verständigen Rat pünktlich gehorchen und mich in allem deinen Befehlen fügen.« Bei diesen Worten konnte der Prinz seine Tränen nicht zurückhalten. — »Mein Herr«, antwortete Marsawan, »der Zweck meiner Reise hierher war kein anderer, als meinem Herrn, dem König Ghejjur, seine Tochter geheilt wieder zu geben, ich rate dir nun: bitte den König, deinen Vater, er möchte dir vergönnen, morgen mit mir auf die Jagd zu gehen. Willigt er ein, so besteigst du ein gutes Pferd und führst ein zweites neben dir her, ich tue desgleichen, und wir nehmen auch einen Sack Geld mit auf die Reise und flehen Gott um seinen Schutz an.
Am folgenden Morgen ging der Prinz Kamr essaman zu seinem Vater und bezeigte ihm seinen Wunsch, mit Marsawan auf die Jagd zu reiten. »Ich erlaube es gern«, antwortete der König, »jedoch nur unter der Bedingung, daß du nicht mehr als eine Nacht ausbleibest. Du weißt, daß ich fern von dir am Leben keine Freude habe und eine längere Abwesenheit würde mir Sorge machen: denn ich befinde mich in dem Zustande, welchen der Dichter beschreibt:
»Lebte ich im schönsten Wohlbehagen und besäße das