Tausend Und Eine Nacht. Gustav Weil
hinein und legte ihn zusammen. Hierauf gab er beides dem Diener und sagte zu ihm: »Geh‘ und bring dies deiner Gebieterin und öffne das Schreiben vor ihr.« Der Diener trat in das Zimmer der Prinzessin und öffnete das Schreiben vor ihr. Sobald sie es gelesen hatte, tat sie einen lauten Schrei, stemmte sich mit den Füßen gegen die Wand, zerriß die Kette, mit welcher sie angeschlossen war, lief nach der Türe und öffnete den Vorhang. Sie erkannte den Prinzen, der Prinz erkannte sie, und beide stürzten aufeinander zu und umarmten sich zärtlich und waren voll Verwunderung, wie sie sich nun nach ihrer ersten Zusammenkunft in jener Nacht wieder sahen. Der Diener staunte sie eine Weile an, dann entfernte er sich, um den König von China von dem Vorgang zu benachrichtigen. »Mein Herr«, sagte er zu ihm, »dieser Sterndeuter, der wackerste von allen, hat die Prinzessin geheilt, während er hinter dem Vorhang war.« Nachdem er nun dem König das Vorgefallene berichtet, machte letzterer sich freudig auf und begab sich zu seiner Tochter, die er auf dem Divan sitzend fand. Als sie ihren Vater erblickte, stand sie ehrerbietig auf, ging ihm entgegen und küßte ihm die Hand. Der König küßte sie auf dem Haupte und zwischen die Augen; desgleichen den Prinzen und dankte ihm und fragte ihn nach seinen Verhältnissen. Der Prinz sagte zu ihm: »Ich bin ein Prinz, Sohn eines Königs, mein Name ist Kamr essaman, mein Vater heißt Schah Seman und beherrscht die Kanarieninseln.« Hierauf erzählte er ihm seine Geschichte, wobei er die Zusammenkunft mit der Prinzessin in jener Nacht heraushob, in welcher er den Ring von ihrem Finger genommen. Als der Prinz Kamr essaman geendigt hatte, rief der König erstaunt aus: »Bei Gott, diese Geschichte ist so außerordentlich, daß sie verdient, urkundlich aufgezeichnet und der Nachwelt überliefert zu werden.« Die Vermählung wurde noch an demselben Tag gefeiert. Die beiden Liebenden sahen sich am Ziel ihrer Wünsche und erfreuten sich der Seligkeit ihrer Vereinigung.
Nach einiger Zeit dachte Kamr essaman an seine Eltern und sein Leben trübte sich. Eines Nachts hatte er einen Traum, in welchem er seinen Vater zu sehen glaubte, wie er ihm Vorwürfe machte und zu ihm sagte: »Mein Sohn, ist es auch recht, daß du so gegen deinen Vater handelst, der dir das Leben gegeben? Wie schnell hast du mich vergessen! Bei Gott! du mußt wiederkehren, daß ich meine Sehnsucht nach dir stille, ehe ich sterbe!« Dieser Traum machte den Prinzen sehr traurig, und er teilte ihn seiner Gemahlin mit. Bedur ging zu ihrem Vater, küßte ihm die Hand und bat ihn um die Erlaubnis, mit Kamr essaman zu ihrem Schwiegervater reisen zu dürfen, da sie es keine Stunde ohne ihn aushalten könne. Der König von China gewährte seiner Tochter die Bitte und gestattete ihr, ein Jahr am Hofe des Königs Schah Seman zu bleiben; nach Verfluß desselben sollte sie zurückkehren und ihn jedes Jahr besuchen. Die Prinzessin versprach es, und der König gab Befehl zu den Anstalten der Reise; er machte Kamr essaman viele wertvolle Geschenke, empfahl ihm seine Tochter, ließ die Pferde und Kamele vorführen und reiste mit bis an die Grenzen seines Reichs. Dann nahm er von ihnen Abschied und kehrte nach seiner Hauptstadt zurück.
Ungefähr nach Verlauf eines Monats kam das neuvermählte Paar auf seiner Reise in eine große, grüne, fruchtbare Ebene, und da die Hitze außerordentlich drückend war, so beschloß Kamr essaman, hier zu lagern und sich und den Pferden Ruhe zu gönnen, und sie stiegen ab. Die Zelte wurden aufgeschlagen. Die Prinzessin Bedur schlief bald ein. Als Kamr essaman in ihr Zelt trat, fand er sie auf dem Rücken schlafend, nur von einem leichten Hemde und einer Kopfbinde bedeckt, und er ergötzte sich an ihrem Anblick. Dann bemerkte er einen Knoten am Bande ihrer Beinkleider, und als er ihn löste, fand er einen dunkelroten Stein, auf welchem zwei Zeilen ihm unbekannter Namen eingegraben waren. »Dieser Stein«, sagte er leise vor sich hin, »muß meiner Gemahlin sehr wert sein, sonst würde sie ihn nicht so sorgfältig bei sich tragen.« Um ihn besser betrachten zu können, trat er aus dem Zelte. Indem er ihn nun auf der Hand hielt, schoß plötzlich ein Vogel aus der Luft nieder, ergriff ihn und flog damit weg; doch erhob er sich nicht weit vom Boden.
Kamr essaman, sehr bestürzt darüber, lief auf den Vogel zu, wie er aber herankam, flog der Vogel auf. Der Prinz verfolgte ihn so von Tal zu Tal und von Hügel zu Hügel bis zum Abend, da schwang sich der Vogel auf den Gipfel eines hohen Baumes und ließ sich darauf nieder. Kamr essaman blieb erschrocken stehen. Er wollte umkehren, wußte aber nicht, von welcher Seite er gekommen war, bald ward es vollständig Nacht und er rief: Wir sind Gottes und zu ihm kehren wir zurück, legte sich dann unter den Baum und schlief. Am folgenden Morgen verließ der Vogel den Baum, und Kamr essaman lief ihm wieder den ganzen Tag nach, indem er sich von Kräutern nährte und aus Bächen trank, denn der Vogel flog nur langsam vor ihm her. Wunderbar, rief der Prinz aus, der Vogel lockt mich entweder in eine Einöde, in der ich umkomme, oder in ein bewohntes Land, wo ich Rettung finde. Die Nacht brachte der Vogel wieder auf einem Baume und der Prinz unter demselben zu. So trieb er es bis zum zehnten Tage. Endlich am elften Tage gelangte Kamr essaman mit dem Vogel in die Nähe einer großen Stadt. Hier verschwand der Vogel in einem Nu seinen Blicken. Kamr essaman näherte sich den Toren der Stadt, setzte sich vor denselben nieder, wusch Hände, Füße und Gesicht, ruhte ein wenig aus und dachte über sein unglückliches Schicksal nach. Dann ging er in die Stadt hinein, welche, wie er jetzt bemerkte, am Ufer des Meeres lag. Er schlenderte längs des Ufers hin, und nachdem er an verschiedenen Baumgruppen vorübergewandelt war, blieb er endlich vor der Türe eines Gartens stehen. Der Gärtner kam zu ihm heraus, hieß ihn willkommen und sagte: »Gelobt sei Gott, daß du den Bewohnern dieser Stadt glücklich entronnen bist; tritt herein!« Kamr essaman gehorchte und fragte den Alten: »Was ist es denn mit den Leuten dieser Stadt?« — »Wisse, mein Sohn, diese Stadt ist von lauter Götzendienern bewohnt, doch was führt dich hierher?« Da erzählte ihm Kamr essaman, was ihm widerfahren. Der Alte erstaunte sehr darüber und sagte: »Mein Sohn! man braucht zur See vier Monate, um auf islamitisches Gebiet zu gelangen, zu Land aber ein volles Jahr!« Dann sagte er ihm: »Jedes Jahr geht ein Schiff nach der Ebenholzinsel ab, von wo aus du nach den Kanarieninseln gelangen kannst.« Nach einigem Bedenken hielt es Kamr essaman für das beste, bis zur Abfahrt des Schiffes nach der Ebenholzinsel in diesem Garten zu verweilen. Er blieb also da und half dem Gärtner in seinen Gartenarbeiten; die Nacht aber brachte er bei der Erinnerung an seinen Vater und an seine Geliebte mit Seufzen, Klagen und Weinen hin. So viel von Kamr essaman.
Was die Prinzessin Bedur betrifft, so war dieselbe sehr verwundert, als sie beim Erwachen den Prinzen Kamr essaman nicht fand und bemerkte, daß der Knoten an den Beinkleidern gelöst und der Stein nicht mehr darin war. Sie sagte: »Bei Gott, ich glaube, Kamr essaman hat ihn genommen, und er kennt dessen Geheimnis nicht, es muß ihm was zugestoßen sein, sonst würde er nicht fern von mir weilen. Gott verdamme den Stein«, rief sie aus, »und die Stunde, in welcher er solches Unheil herbeigeführt.«
Die Prinzessin Bedur dachte dann über ihren Zustand nach und sagte zu sich selbst: »Wenn ich hinausgehe und dem Gefolge sage, daß ich meinen Gatten vermisse, so wird es lüstern nach mir werden, und ich bin doch nur ein Weib.« Sie stand daher schnell auf, zog Kamr essamans Kleider an, setzte seine Kopfbedeckung auf, legte seine Sandalen an, ergriff seine Keule und warf ein Tuch um ihr Gesicht. Dann befahl sie einer ihrer Sklavinnen, den Kamelsattel einzunehmen, auf welchem sie die Reise bis hierher gemacht hatte, bestieg ein Pferd, das sie den Dienern ihr vorzuführen befahl, ließ die Kamele bepacken und reiste weiter, ohne daß jemand von der Veränderung etwas bemerkte; denn ihre Person hatte große Ähnlichkeit mit der des Prinzen Kamr essaman.
Die Reise ging nun fort, bis man an eine Stadt am Ufer des Meeres gelangte. Die Prinzessin stieg vor den Toren ab, ließ ihr Lager aufschlagen, erkundigte sich nach dem Namen der Stadt und ihres Beherrschers und erfuhr, daß sie vor der Hauptstadt des Reichs der Ebenholzinseln angekommen sei, deren König Armanus heiße und der eine Tochter mit Namen Hajat Alnusus habe. Als der König Armanus von der Ankunft der Fremden hörte, schickte er einen Boten, um zu hören, wer die Ankömmlinge seien und was sie hierher geführt habe. Der Bote brachte die Nachricht, es sei der Sohn des Königs Schah Seman, welcher auf der Rückkehr in seine Heimat sich verirrt habe und seinen Weg nach den Kanarieninseln fortzusetzen wünsche. Der König Armanus ging sogleich, von seinen Großen umgeben, Bedur entgegen, und nach gegenseitiger Begrüßung führte er sie in die Stadt und bot ihr seinen Palast zur Wohnung an. Er ließ ihr Lager abbrechen und ihre Dienerschaft nebst allem, was sie mit sich führte, in seinem Palast unterbringen. Er bewirtete sie drei Tage hindurch, und als die drei Tage verflossen waren, kam der König Armanus zu ihr. Sie war eben aus dem Bade gestiegen, hatte ihr Gesicht unverhüllt und trug einen seidenen Kaftan, der mit Gold durchwirkt war. Der König sprach zu ihr: