Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf
Jeremias Gotthelf
LEIDEN UND FREUDEN EINES SCHULMEISTERS
ERSTER TEIL
Zueignung
Nachdem im Januar 1837 zu Burgdorf der »Bauernspiegel« als Lebensgeschichte des Jeremias Gotthelf und 1838 ebenda unter demselben Namen die Beschreibung der Wassernot im Emmenthal vom August 1837 herausgekommen, suchte der Pfarrer von Lützelflüh bereits wieder einen Verleger, diesmal für einen »Gevatterbrief an das Publikum«, wie er, der selbst im Jahr 1837 zum drittenmal Vater geworden, die angeblich von dem Lehrer Peter Käser zu Gytiwyl geschriebenen »Leiden und Freuden eines Schulmeisters« anfänglich zubenannt hatte. »Lange«, so erzählt uns die ältere 1834 geborne Tochter, »wanderte das Manuskript von einem schweizerischen Verleger zum andern, da keiner es zu drucken wagte, der beißenden Bemerkungen wegen, die Bitzius sich darin gegen Autoritäten erlaubt hatte. Der Umschlag zerfiel in Fetzen und man mußte eine eigene Schachtel dafür machen lassen, um die einzelnen Bogen nicht zu verlieren.«Lebensabriß Gotthelfs in: Anhang der »Neuen wohlfeilen Ausgabe« des »Schulmeisters«; Berlin, Springer 1877, S. 20.
Aus dieser Pappschachtel, die von der andern Tochter sorglich gehütet wird, tritt nach 60 Jahren zum erstenmal der ganze »Schulmeister« ans Licht. Denn als sich endlich ein politisch radikaler Verleger, Wagner in Bern, zur Veröffentlichung des stacheligen Werkes herbeigelassen hatte und den 1. Band im Oktober 1838 herausgab, den zweiten auf Mitte Januars 1839 ankündigte, war der ursprüngliche Text beider Teile durch den Verfasser wohl um ein Siebentel gekürzt worden. Viele Stellen, die politisch oder moralisch anstößig und daher wohl auch buchhändlerisch bedenklich schienen, waren getilgt, ebenso manche Weitläufigkeiten beseitigt, die einen Teil der Leser ermüden oder abschrecken konnten. Die Zensur von Gotthelfs Gattin hatten diese Stellen unbeanstandet passiert, höchstens daß bei zwei oder drei allzu persönlichen Ausfällen die einsichtige Mitarbeiterin ein rotes Fragezeichen an den Rand setzte, dem der nachkorrigierende Verfasser durch kleine Änderungen Rechnung trug; erst für den Druck offenbar wurden diese und andere Stellen endgiltig durch oft seitenlange Striche weggeschafft.
Den ursprünglichen, aus sehr verschiedenen Gründen abgeänderten Text haben auch wir in der für das große Lesepublikum bestimmten Ausgabe selbst, gegenüber dem ausgesprochenen Willen Gotthelfs, nicht herstellen dürfen. Wohl aber geben die gleichzeitig erscheinenden, diesmal ausnahmsweise umfangreichen »Beiträge« des Ergänzungsbandes, mit dem Text der Ausgabe zusammengehalten (wozu wiederum der beigegebene Zeilenzähler dienen soll), den »Schulmeister« vollkommen in der Gestalt wie ihn Gotthelf im Jahr 1837 zuerst für den Druck in einem Zuge niederschrieb und wie er ihn — er war nicht der Mann vielfacher Wiedererwägung — damals hätte drucken lassen, hätte er nicht persönliche und geschäftliche Rücksichten tragen müssen, die für uns nicht mehr bestehen.
Für uns sind diese getilgten und jetzt wiedergewonnenen Teile des Werkes — von der ersten Stelle, I, Kap.1 (zu S.19 [28 29]), mit der Anspielung auf den Bauernspiegel, die der Verf. schon zur bessern Wahrung der Pseudonymität des neuen Werkes streichen mußte, bis zur letzten, II, Kap.83, mit der gutmütigen Ironie auf die Schützlinge des Verfassers, die Schulmeister, die bei höherer Besoldung nur längere Pfeifen anschaffen würden — für uns sind diese noch ungedruckten Abschnitte des »Schulmeisters« wertvolle Beiträge zum Bilde des Verfassers, dessen thatkräftige und schlagfertige Persönlichkeit uns daraus in neuer Frische und Unmittelbarkeit entgegentritt. Wir dürfen hoffen, daß die Verehrer unseres Schriftstellers für diesen Zuwachs, sowie für die reichliche Ausbeute, die die Originalhandschrift außerdem zur Geschichte des Textes und zur Kenntnis von Gotthelfs Sprache geliefert hat, der Familie von Rütte-Bitzius ebenso dankbar sein werden, wie wir selbst es sind.
Auch die Änderungen, bezw. Verhochdeutschungen, Neufassungen und gelegentlichen Verzimpferungen, der Ausgabe von 1848, die vom Verf. selbst herrühren und einerseits geradezu ein Wörterbuch ersetzen, anderseits für Gotthelfs sprachliche und ethische Persönlichkeit sehr bezeichnend sind, werden die Freunde des Schriftstellers mit Interesse kennen lernen. Wir haben von diesen Änderungen und von den bloß formellen Abweichungen die Plusstellcn der ursprünglichen Gestalt durch ein einfaches Mittel im Druck unterschieden und ferner die längern Varianten, zu denen diese Plusstellen meist gehören, durch neuen Absatz hervorgehoben.
Die Sacherklärungen beschränken sich wiederum auf das vorerst Erreichbare. Wir hoffen auf weitere Beiträge dazu aus dem Kreise der Leser Gotthelfs in Stadt und Land Bern und werden solche gelegentlich nachtragen.
Der 4. Band unserer Ausgabe, der die »Wassernot im Emmenthal«, die »Fünf Mädchen« und »Dursli« enthalten soll, wird von den HH.a.-Rektor Kronauer und a.-Schulinspektor Wyß unter Mithilfe des Unterzeichneten besorgt und soll noch in diesem Jahr nachfolgen, indem wir auch bereits mit »Uli« zu beginnen hoffen.
Bern, Mai 1898.
Ferdinand Vetter.
Hochverehrter Herr Direktor des bernerischen Schullehrer-Seminar!
Ein dankbarer Schulmeister möchte Ihnen eine Gabe bieten; sie ist groß, denn sie ist alles, was er zu geben vermag.
Sie sind der Bildner der werdenden Lehrer im Kanton Bern. Sie sind nicht nur die Quelle ihres Wissens, sondern auch der Lenker ihrer gemütlichen und sittlichen Kräfte.
Ihre Hand führt sie freilich nicht durchs Leben; Ihre Lehre aber bereitet sie auf das Leben.
Diese Vorbereitung vermag nie vor jedem Fehltritt zu wahren, aber doch vor vielen, wenn sie die rechte ist.
Keines Lehrers Leben ist ein gleichgültiges; Segen oder Fluch säet er aus, je nach der Aussaat erntet er.
Zu dieser Vorbereitung bedarf der Führer nicht nur des Wissens Schätze, sondern auch des Lebens Erfahrungen.
Doch keinem Sterblichen ist gegeben, zu erschöpfen das Meer der Erfahrungen — jeder Tag bringt neue, jeder Mensch macht andere.
Hier kann auch der Arme dem Reichen geben, was der Reiche in seiner Fülle vielleicht vergebens sucht.
In des Reichen Willen steht es, die dargebotene Gabe zu benutzen — je nachdem er glaubt an fremde Erfahrungen, thut er es. Ich fordere den Glauben an meine Erfahrungen nicht — aber ich weiß, daß Sie deren Prüfung nicht verschmähen werden. Hält auch nur eine diese Prüfung aus, bewährt sich auch nur eine rettend für Einen Lehrer, so weiß ich. Sie werden mir um dieser einen willen die übrigen unbewährt gefundenen vergeben. Dieses Vertrauen gab mir Ihr hoher reiner Sinn, der nicht das seine, sondern das des Meisters, dem auch ich in allen Treuen dienen möchte, sucht; darum wage ich, Ihnen zu Ihren Schätzen mein Scherflein anzubieten.
Herr Seminar-Direktor Rikli,
Dero gehorsamster
Peter Käser,
Schulmeister zu Gytiwyl,
im Kanton Bern.
Keine Vorrede ist dies; auf neue Mode steht dieselbe hinten im Buche. Nur wer das Buch durchlesen hat, wird sie finden und begreifen. Aber weil dieses Buch von einem Schulmeister handelt, so werden viele es nicht anrühren mögen. Es ist eine alte Mode, daß man die Nase rümpft, wenn man einen Schulmeister von weitem sieht, daß zu gähnen anfängt, wer nur von einem Schulmeister hört. Und doch ist ein Schulmeister accurat ein Mensch wie ein anderer. Vielleicht trägt er einen kuriosen Rock, halb herrschelig, halb bäurisch, vielleicht schlengget er ihn auch auf appartige Weise; aber unter dem Rock im Herzen sitzt genau der gleiche Mensch wie unter des Ammanns, wie unter des Schultheißen Rock. In diesem Buche steht nun freilich beschrieben, wie der Schulmeister seinen Rock apparti schlengge; aber noch besser ist der Mensch beschrieben, der auch Euch im eigenen Herzen sitzt. Schauet Euch diesen Menschen recht an; vielleicht macht Euch dessen Anblick milder gegen andere, namentlich gegen Schulmeister, strenger aber gegen Euch selbst; dann hat dieses Buch auch für Euch, Ihr Laien, reichlich Frucht getragen.
Erstes Kapitel. Von großer Betrübnuß und Elend
Peter Käser heiße ich, ein Schulmeister bin ich, und im Bette lag ich trübselig, nämlich den 31. Juli 1836.
Desselben Tages, als wir gefrühstückt hatten, trug meine Frau Kaffeekanne und Chacheli