Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias  Gotthelf


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entgegenbietend die Hammeschnitte und mit der zweiten Hand innig ans Herz drückend seine liebe Flasche mit dem alten Bätziwasser. Meine Hand streckte ich nur wenig und zagend und zögernd aus nach der Schrift, und ungefähr gleich weit hin schob ich den Mund vor nach der Hamme; so wie jene beiden nun mir ihre Lockvögel rasch in Hand und Mund schieben wollten, stießen sie an einander, fuhren wie vom Blitz getroffen auseinander und starrten sich eine Weile an wie versteinert. Dann faßten sie Mut und rückten wieder gegen das Bette vor. Der Kleine schob seinem Feinde als Schild seine Pfeife entgegen, der Fromme deckte sich vorsichtig mit der Flasche. Sie kamen zu gleicher Zeit am Bette an, wo ich mich gar leidend verhielt: ich wollte es mit keinem verderben. Sie merkten, daß ich den Kampf nicht entscheiden werde, sondern ihre eigene Kühnheit. Da zog der Kleine mit weit aufgethanen Nasenlöchern kühne Züge aus seiner Pfeife; der Fromme that tiefe Züge aus seiner Flasche und nun begannen sie ein Drängen und Stoßen an meinem Bette, um meiner Hand oder meines Mundes sich zu bemächtigen. Ach, ich bin zu schwach, nun des Kampfes kühnes Walten und der Helden Heldenthaten würdig zu besingen; auch erlebte ich des Kampfes Ende nicht. Es krachten und brachen ihre kühn geschwungenen Schilde. Der Pfeife Feuer sprühte mir funkelnd übers Gesicht; der Flasche brennend Naß stürzte dem Feuer nach, und im Gesichte und im Halse schien mir der Hölle Feuer zu brennen. Und wie im kühnen Männerkampfe, wenn die Schilde brechen, die kühnen Kämpen zu ringen beginnen, so faßten sich nun auch der Versucher Hände. Nämlich jeder faßte den andern mit einer Hand, während die andere mir aufzudringen suchte Schrift oder Hamme. Ach Gott, wie wütete der Kampf und wie nahe auf den Leib rückten sie mir! Der Fromme hatte den Vorteil der längern Arme, des längern Leibes. Ihm gelang es, sich auf mich zu werfen wie eine schwere Alp und die Hamme mir in den Mund zu schieben bis hinten an. Da sprühte der Kleine auf wie ein Feuerteufel, warf sich auf uns beide hin und schob in verblendeter Kampfeswut der Hamme nach seine Schrift. In grausenhafter Angst glaubte ich erstickt zu sein, und mir vergingen die Sinne oder vielmehr des Traumes Bewußtsein.

      Es war Morgen, als ich, von Mädeli sanft gerüttelt, erwachte, noch immer in Angstschweiß gebadet. Mein tiefes ängstlich Stöhnen hatte meine Frau erweckt und sie dann endlich auch mich aus Mitleid.

      Ich war wie zerschlagen am ganzen Leibe und noch mutloser in der Seele, als am Abend vorher, und that nichts als seufzen und kummern. Da hatte mein Frauchen wieder Erbarmen mit mir und einen guten Gedanken. Sie sandte mich zu einem guten Freunde, bei ihm Trost zu suchen und Erheiterung.

      Diesen Gang werden meine Leser am Ende beschrieben finden. Nur so viel kann ich ihnen sagen, daß diesem Gang dieses Buch sein Dasein verdankt.

      Zweites Kapitel. Von Mater und Mutter

      Mein Vater war ein magerer blasser Mann, von Profession ein Weber. Alle Winter hatte er den Husten; und wenn der Winter acht Monate dauerte, wie im Jahr 1836, in welchem es nur während vier Monaten nicht geschneit hat, so hustete er auch acht Monate lang. Meine Mutter war eine Frau, wie man sie auf dem Lande zu Tausenden sieht, nicht groß, nicht klein, ohne besondere Merkmale, aber mit von der Zeit verwitterten Zügen; am Sonntag, oder wenn sie das Haus verließ und gewaschen und gekleidet war, nicht eben häßlich, in der Woche aber und zu Hause oft einem Haaghuuri ähnlicher als einem Menschen. Sie besaßen ein kleines Heimwesen, auf welchem man in guten Jahren eine Kuh und einige Schafe mühselig durchbringen konnte, wenn man alle Äpfel- und Erdäpfel-Schindti sorgsam zu Rate zog. Korn konnte man wenig pflanzen; aber gar viel hielten sie auf Gspünst, weil der Vater ein Weber und die Mutter eine Frau war, d. h. weil sie sich gerne rühmte, so und so viel Flachs und Ryste gemacht zu haben. Das war dem Lande kein Nutzen; es blieb um so magerer. Und daß man um so mehr Brot kaufen mußte, rechnete man nicht, sparte es aber gar ängstlich. Es war zudem ein Gütchen, auf welchem die guten Jahre selten waren, besonders wenn man es nicht recht düngen konnte, sondern der natürlichen Fruchtbarkeit das Gedeihen überlassen mußte. Jener Länder meinte, auf die Frage, ob sie viel Heu gemacht: wo man brav gemistet, hätte es viel Heu gegeben; wo man es aber nur dem lieben Gott überlassen, wäre nichts gewesen. Diese Antwort scheint gottlos zu sein; sie enthält aber den tiefen Sinn, daß Gott nichts thut, wozu er dem Menschen Mittel und Kräfte gegeben, es selbst zu machen. Es lag an eines Waldes Saum, hatte steinichten Boden, viel Schatten, war uneben und wasserlos, bis an das Abwasser vom Hausbrünnchen, das aber in trocknen Jahren einen Wasserstrahl hatte, kaum wie eine Lismernadel. Es gingen einmal fremde Reisende, während man im Dorfe ihre Pferde fütterte, spazierend bei uns vorbei. Als sie in den Baumgarten kamen, wo die Bäume so schon grau und grün unter ihrem Moose und zwischen den Mistelen hindurch guggten, und zum Häuschen, das halb blind hinter seinen papierenen Fenstern sich schämte und sein strohloses Dach mit allerlei Pflanzen und Trümmern bedeckt hielt, halb versteckt in den Bäumen und im Schatten des Waldes — meinten sie: das sei hier doch gar zu romantisch. Ich verstund den Ausdruck nicht, hielt es aber für ein Spott- und Hohnwort, und hetzte hinter dem Tennsthor hervor unsern Spitzi auf sie. Daß es nicht besser aussah, hatte seine zwei guten Gründe. Mein Vater hatte das Gütlein nicht schuldenfrei, sondern er mußte alle Jahre 50 Kronen Zins haben auf demselben. Sein Vater war schon schuldig gewesen. Und er wurde noch mehr schuldig, weil er seinen Schwestern herausgeben mußte. So häufte sich von Geschlecht zu Geschlecht die Schuldenlast an. Gewiß ist aber auch niemand gedrückter, als der Besitzer eines kleinen, verschuldeten Heimwesens, er mag ein Handwerk haben oder keins; der hängt sein Lebenlang zwischen Tod und Leben, kann nicht leben, kann nicht sterben, wenn er auch noch so fleißig ist. Die gemeinen Lasten sind im Verhältnis größer als bei größern Gütern, Verbesserungen lassen sich weniger anbringen; auch hat man nicht die Mittel dazu; was gepflanzt wird, muß ins Haus gebraucht werden; man bleibt hungrig dabei, und muß noch dazu kaufen. Hat man kein Handwerk, so gibt es keinen Nebenverdienst und der Zins kann nicht aufgebracht werden; hat man ein Handwerk und ist nicht sehr gescheut, so pfuschet man auf dem Gut und im Handwerk, treibt keines recht und kommt auch nirgends hin. So mußte auch bei uns allem aufgeboten werden, um den jährlichen Zins aufzubringen; auf Verbesserungen oder gar Verschönerungen hatte man nichts zu verwenden, nicht einmal auf die nötigen Reparaturen. Und weil man kleinen Schaden nicht ausbesserte zur rechten Zeit, so wurde er groß; und um ihn zu heilen, mußte man neue Schulden machen. Wer für sein Dach z. B. zur rechten Zeit 10 Xr. scheut, der kann später 10 L. rüsten. Aber das bedenken wenige; sie fühlen nur den Geldklamm, in dem sie sind. Mein Vater hielt sein Handwerk für die Hauptsache und es war ihm in der Seele zuwider, wenn er außer seinem Webekeller etwas thun sollte; dann konnte ihm niemand etwas recht machen. Die Frau und später die Kinder sollten alles besorgen; und das ist der zweite Grund, warum es nicht besser aussah. Man kann sich denken, wie es zugeht, wenn eine Frau, die entweder Kindbetterin, oder schwanger ist, alles in allem thun muß: Kinder säugen und hüten, Schweine mästen, Kühe füttern, für Menschen kochen, pflanzen, begießen, jäten, mähen, dreschen, spinnen soll; und wie es ihr sein muß, wenn sie nirgends kommen mag, weder mit der Arbeit noch mit dem Gelde; wenn sie manchmal in die Erde sinken möchte vor Mattigkeit und Müdigkeit mit ihren geschwollenen Beinen, und dazu ein Kind hier schreit, das andere dort, und der Mann mit sauren Augen sie fragt, warum das noch nicht gemacht sei und jenes nicht, und wann man doch einmal essen könne und warum sie die Kinder so brüllen lasse. Und wenn sie zu diesem allem nichts brauchen soll, nichts anschaffen darf, und über jeden Kreuzer ein endloses Gefrägel ist und der Mann keinen Verstand hat über einen Hausbedarf, sondern nur den jährlichen Zins von 59 Kr. im Sinn und Kopfe hat, so kann man denken, wie bös eine solche Frau hat. Das ist wahr, er selbst arbeitete auch brav. Allein entweder war er nicht besonders geschickt oder unglücklicher Art — er kam nicht weit. Früher hatte er Garn gekauft und auf eigene Rechnung gewoben für die Händler; allein das wollte nicht gehen. Und wenn er auf dieses Kapitel kam, so konnte er nicht aufhören zu schimpfen über die Ungerechtigkeit in der Welt. Je ärmer man sei, meinte er, desto mehr hätte man nötig zu lösen. Aber das sei gerade umgekehrt, die Reichsten lösten aus ihren Sachen am meisten. So ein Händler oder Handelsherr sehe es einem auf hundert Schritte an, ob man Geld nötig hätte, und am schlimmsten darin sei ein gewisser Christen (den Geschlechtsnamen nannte er nicht) und gebe einem sicher einen halben oder einen ganzen Vierer weniger für die Elle, als wenn man kein Geld nötig hätte. Da werde man gedreht, daß einem die Augen übergehen und man nur noch sehen könne, wie sie einem, der es nicht so nötig hätte, mehr geben für sein Tuch, das doch nicht so gut sei. Doch das sei noch nicht alles. Wenn man glaube, fertig zu sein und sein geringes Profitchen am Schermen


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