Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias  Gotthelf


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noch ein gutes Wort. Darauf hatte der Vater gezählt und nahm es sehr übel. Wenn er einen andern wüßte der ihm beständig zu weben hätte, er ginge auf der Stelle zu ihm und ließe den fahren — verfluchte er sich. Nachdem er das erhaltene Garn versorgt hatte, stellte er sich mit seinem Ankenbälli z‘weg zum Verkaufen und legte das Zwecheli mit den roten Streifen schön zurück. Mir brannte der Boden unter den Füßen; ich zappelte um den Vater herum und hielt ihm an, daß er doch mitkomme aus der finstern Laube weg, zu den Krämern ga luege und ga chrame. Endlich gab er mir einen Batzen mit dem Bedeuten, ich solle mir daraus etwas kaufen, mich ein wenig umsehen, aber nicht weit gehen und ja bald wieder kommen. Er ließ mich ungern von sich; nicht daß er fürchtete, es könne mir etwas geschehen, sondern weil er dadurch um das Lob kam, das er von den Anken kaufenden Frauen über mich einzusammeln hoffte. Bis dahin hatte mich noch kein Mensch ordentlich angesehen, geschweige denn gerühmt; und das machte ihn fast schalus.

      Glücklicher als ein König stürmte ich fort mit meinem Schatz unter die Herrlichkeiten alle. Wo der Vater stand und welchen Weg ich nahm, achtete ich nicht; und daß ich ihn nicht wiederfinden könnte, dachte ich nicht. Ich stund von Stand zu Stand und versank in immer tiefere Bewunderung. Hier sah ich so schöne Manne auf den Rossen, oben rot und unten blau, und Säbel und Gewehre daneben und schöne Wagen aller Art; dort Pelzkappen und Gold darum, das ganz prächtig glitzerte, gerade wie des Statthalters Bub eine hatte, um welche ich ihn immer beneidet; an einem dritten Orte ganze Haufen von Büchern und Helgen dabei, ach so schöne, so schöne, wie ich mein Lebtag nicht gesehen; und neben dabei Lebkuchen ganze Bygete und groß wie Ofenbretter. Vor allem stund ich still, wie lange, weiß ich nicht. Ich hatte Vater und Zeit und alles vergessen. Den Batzen hielt ich in der Hand, dachte vor dem Sehen lange nicht ans Kaufen, und als endlich Wünsche nach dem Besitzen von etwas in mir aufstiegen, wußte ich lange nicht, was ich nehmen sollte. Mich hungerte und die Lebkuchen lockten mich gar sehr. Aber die Pelzkappen waren so schön, die Manne auf den Rossen so stattlich und die Helgen, ach! die gefielen mir gar zu wohl. Endlich siegte die Lust nach diesen; ich drängte mich durch, streckte meinen Batzen dar und begehrte die, welche mir am besten gefiel. Aber es lachte der Krämer und sagte: die koste manchen Batzen. Kleinere wollte er mir zeigen; aber mein Sinn war einmal auf diese gestellt. Da gedachte ich auf einmal des Vaters, daß der viele Batzen hätte, kehrte um, ihn zu suchen und Batzen zu holen. Ich lief und lief, aber fand den Vater nicht, fand den Ort nicht, wo ich ihn gelassen. Aus dem Gedränge der Leute konnte ich nicht kommen, konnte nicht wissen, wo ich war. Da wurde mir entsetzlich bange auf einmal ums Herz; eine Angst, von welcher man sich keinen Begriff macht, befiel mich; der Schweiß bedeckte mich, das Weinen übernahm mich und ich fing an zu schreien: »Ätti, o Ätti, wo bist?« Aber kein Ätti gab Bescheid. Es wurden Leute auf mich aufmerksam und fragten, wo es mir fehle? Ich fragte nach dem Ätti, sie nach seinem Namen und wie er einer sei? Hans heiße er, sagte ich, und habe eine elbe Kutte an. Es geb gar manchen Hans und viele elbe Kutten hier, entgegneten sie; der Ätti werde wohl noch anders heißen und wie man ihm noch sonst sage? D‘Muetter, schluchzte ich heraus, sag‘ ihm allbeneinisch euige Branzi und Gugag. Da lachten die Leute und ließen mich stehen und weinen und Ätti schreien!

      Alleine war ich in der Stadt, die mir endlos schien, alleine unter den Tausenden; unter ihnen kein bekanntes Gesicht, keine teilnehmende Seele. Ein jeder stürchelte Geschäften nach oder gaffete nach einem guten Schick herum. Nirgends einen Ätti, nicht einmal das Thor fand ich, zu welchem wir herein gekommen. Ich wußte nur, daß ein großes Haus mit einer kleinen Thür dabei stund. In unendlichem Jammer drückte ich mich endlich an eine Mauer, hielt die Hände vor das Gesicht und weinte bitterlich, bitter wie in meinem Leben vielleicht nie. O, man kann sich das Furchtbare der Angst in einer Kinderseele, die sich verloren glaubt, nicht mehr vorstellen in den Jahren, wo man vergessen hat in eitlem Übermute, daß man verloren gehen könne. Wenn einmal das Eisfeld der Selbstsucht sich über das Herz gelegt und es kalt geworden ist in demselben wie in Lapplands unermeßlichem Schnee, da weiß man nicht mehr, was ein Kind fühlt, wenn es keinen Ätti, kein Müetti weiß, kein bekanntes Gesicht sieht, und es sich verlassen glaubt, alleine fühlt. Es ist wahre Höllenangst, und in dieser sieht man nichts und fühlt man nichts als sie. Die Mannen auf den Rossen, Pelzkappen, Helgen, Lebkuchen — alles war noch und auch mein Batzen noch. Aber für alles dieses hatte ich keine Augen mehr; für mich gab es keinen Trost, da der eine mir fehlte, der mir alles war, der Ätti. Und mein Ätti, den ich verloren, war nur ein armer Weber mit einer elben Kutte. Da oben ist ein anderer Ätti, strahlend in ewigem Lichte der allmächtigen Liebe; es ist der reiche Gott und die Sterne sind sein glänzend Kleid. Und den haben viele verloren aus den Augen, und sie wissen nicht, wo er ist; und doch haben sie keine Angst und behaglich wandern sie auf dem Lebensmarkte auf und ab, ergötzen sich mit Helgen und Lebkuchen, mit Puppen und Pelzkappen. Es wird Morgen, es wird Abend — sie kümmern sich um den Ätti nicht; ja, gemahnt an ihn, erschrecken sie, und möchten die Reden von ihm für Träume ausgeben, für Träume schwindsüchtiger und mondsüchtiger Thoren. Ihre Herzen sind gefroren, sind Eisberge und Schneefelder geworden. Aber Geduld! diese Herzen werden aufthauen, auffrieren. Dann wird das Bewußtsein sie erfassen, den großen Ätti verloren zu haben; dann wird ein unendlich Weh sich festsetzen in ihren Herzen, ein Weh über den verlorenen Ätti, das keine Zunge ausspricht. Kennt ihr den Schmerz, wenn man gefrorne Finger unvorsichtig an heißen Ofen bringt? wie man die Hände zusammendrückt und von einem Bein auf das andere sich stellt, wie Störche auf den Matten? Was meint ihr? Wie wird es dann thun, wenn einst die gefrornen Herzen am heißen Feuer der Seelenangst aufthauen müssen?

      Ich weinte bitterlich, wie lange, weiß ich nicht. Da nahm mir jemand die Hände von den Augen und eine bekannte Stimme fragte: »Eh, Peterli; bisch du‘s? Was hesch, daß d‘ so thuesch?« Mit verdunkelten Augen sah ich durch Thränen auf und erkannte unsern Schulmeister. Unser Schulmeister hatte eine Schnupfnase und rote Augen, und die Augen und die Nase wässerten beide fort und fort das Gesicht, das sonst kein Wasser sah; die Bächlein liefen durch die Furchen in alle Ecken hin, oft zusammen und malten die lustigsten Striemen in das aufgelaufene Gesicht, besonders wenn er zuweilen mit dem Ärmel unter dem Munde überflüssiges wegwischte und es unwillkürlich auf die Backen reisete. Aber ein Engel, und wäre es der Gabriel gewesen, hätte mir nicht schöner erscheinen können als der alte Mann. O, was so ein bekanntes Gesicht einem wohlthun kann, wenn man sich verloren glaubt! Das glaubt niemand, als wer es erfahren. Thun nun bekannte Gesichter einem schon so wohl, was meint ihr, wie müßten dem Verlassenen erst bekannte Herzen thun? Aber leider bleiben auf der Welt die meisten Herzen sich fremde; sind doch die meisten Menschen fremde in den eigenen Herzen. Meinem Schulmeister konnte ich nichts anders sagen als: »I ha dr Ätti verloren;« konnte ihm meine Freude über ihn nicht ausdrücken. Aber meine Thränen versiegten, sobald er mich bei der Hand nahm; die Angst schwand und es war mir, als ob ich den Ätti schon hätte. Je größer ein Elend ist, desto dankbarer ist man für jede Hülfe, und der erste helfende Mensch, wenn er schon nicht der ersehnte ist, wird zum Engel, zum eigentlichen Gottesboten.

      Dem Manne vergaß ich die Hülfe mein Lebtag nicht. Wie er auch sein mochte, ich behielt ihn lieb; und diese Liebe trug das Meiste dazu bei, mich zum Schulmeister zu machen. Er nahm mich bei der Hand und versicherte mich, daß wir den Ätti schon finden wollten. Ich wußte ihm aber gar nichts zu sagen, wo ich ihn gelassen, bloß daß er Anken feil gehalten. Dort sei er längst nicht mehr, sagte der Schulherr; es sei schon 1 Uhr. Drei Stunden waren mir entschwunden in Wonne und Entsetzen. So nahe beisammen ist oft das Entgegengesetzte. Ein Glück, wenn solche Zustände nur drei Stunden dauern. Im Stübli, wo er sein Garn hatte und das der Schulmeister wohl kannte, suchten wir ihn, fanden ihn aber nicht, sondern nur den Bescheid, daß er außer Atem da gewesen, nach mir gefragt und wieder fortgelaufen wäre. Wir gingen durch mehrere Straßen — wir fanden ihn nicht. Da erklärte mein Begleiter: es sei doch dumm, so einander nachzulaufen, so finde man sich nicht. Zudem sei es durstig Wetter, darum wollten wir ins Stübli gehen; dorthin käme der Vater allweg und man könne doch dabei rüihig warten. Als wir dorthin kamen, stunden wir vor der Thüre still und sahen nach allen Ecken hin. Da sah ich aus einer hervorschimmern die ausgewässerte weißlichelbe Kutte des Vaters, und wie er hastig und die Hände verwerfend daher schoß. Wie ich da aufjauchzte und ihm entgegen schoß! Und wie der Ätti mich empfing und mir Donnersbueb sagte und bei den Haaren nehmen wollte! Und wie ich von neuem zitterte und weinte und der Schreck mir in alle Glieder schoß, daß sie bleiern wurden und fast steif! So hatte der Ätti mich nie angeredet, mir nie


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