Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias  Gotthelf


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da und schöne Krämerläden, und alle Augenblicke führen Kutschen durch mit schönen Herren und Frauen; und wenn ich dann einen Schärbank hätte, so wäre da ein viel komöder Fahren als bei uns, wo Steine, wie Kindsköpfe die kleinsten, im Wege seien. So machte ich meine Rechnung, aber ohne Wirt.

      Aber der Vater wurde nun auch ein anderer und betrachtete mich mit andern Augen. Wie gesagt, sein Heimet war sein größter Stolz, und von jedem, der keines hatte, sagte er mitleidig und verächtlich: »Er isch ume e Ghusme, er isch ume z‘Hus«. In mir hatte er den künftigen Besitzer desselben gesehen; als solcher war ich sein Stolz und ihm besonders wert. Nun war mein Brüderlein künftiger Besitzer geworden. Der Vater trug daher alles, was er für mich gefühlt hatte, auf jenes über. Es nahm meinen Platz ein nicht nur im Erbrecht, sondern auch in des Vaters Herzen. Das ging freilich nicht auf einmal zu, und der Vater selbst war sich seiner Umänderung vielleicht kaum bewußt; aber ich fühlte sie immer schmerzlicher. Allgemach erhielt ich keinen Kram mehr; Lebkuchen und Weggen wanderten zum Erbprinzen. Der Vater rühmte mich nach und nach seltener, und daß ich ein großer Herr werden sollte, sagte er gar nicht mehr. Was ich früher gerne und spielend that, um bei ihm sein zu können, das Spulen, das wurde mir zur strengen Pflicht gemacht, und wenn ich nicht die gehörige Portion machte, so erhielt ich erst Vorwürfe, dann Schläge. Zum Lernen hielt man mich auch nicht mehr, im Gegenteil, wenn ich nach dem Buche griff, so hieß es: »Spul du, du bist lang geschickt genug, du kannst noch viele Jahre lernen, und für einen armen Weber kannst du bald genug«. Dann erzählte wohl der Vater, wie er auch nicht habe viel lernen können; er wüßte nicht, warum ich mehr lernen sollte als er, er sei doch auch durch die Welt gekommen. Und wenn das alles nicht fruchtete, so erhielt ich das Buch um den Kopf. So redete der Vater kalt und warm aus einem Munde, bei dem einen Kind so, bei dem andern anders. Die Mutter hatte gar große Freude daran, daß noch ein zweites Söhnchen nach kam, um mich aus dem Sattel zu lüpfen, was sie mir von ganzem Herzen gönnte. Sie liebte daher den Nestbutzen auch so gut wie der Vater; er ward so doppelt verzogen und meisterlos. Wie ich aber nun im Hause z‘weg war, kann man sich denken. Der Vater, der die Schuld trug, daß die andern mich beneidet hatten und haßten, ließ mich im Stich, wandte sich von mir. Die Gesinnungen der andern gegen mich blieben. Sogar unser Spitz, dem ich öfters von meinen Weggen gegeben halte und der besonders an mir zu hangen schien, ließ von mir und hielt sich nun zu dem Bruder, der jetzt die Weggen hatte: allen war ich preisgegeben und niemand war zu meinem Schutze da. Die Schwestern vergalten mir nun doppelt ihre frühere Zurücksetzung und was ich ihnen beim Vater angerichtet hatte. Es war mir auf diese Weise recht weh ums Herz; Hund und Vater hatten mich verlassen, und es gibt für das menschliche Herz sicher keinen größern Schmerz, als niemand zu haben, den man lieben kann, oder niemand, der uns unsere Liebe abnehmen will. Im mittlern Alter, wenn die Lebenssonne hoch am Himmel steht und unser Dichten und Trachten auf Gewinn und Gewerb gerichtet ist, mag der Mensch dieses weniger fühlen, als in der Jugend und im Alter, denn in der Jugend ist man liebevoll, im Alter liebedurstig. Darum bewerben Großeltern sich so ängstlich um die Liebe der Großkinder, und thun das Thorrechteste, um sie zu gewinnen. Darum schließen die Kinder so gerne an die Alten sich an, die ihnen ihre Liebe so gierig und dankbar abnehmen. Wie manches Herz wohl, das seiner inwohnenden Liebe kein ander Herz fand, in das es sie ergießen konnte, ist allmählich versteinert und hart geworden, wie Geißbergerstein. Und wie manches andere wohl ist zum Verbrecher geworden an den Menschen aus Rache; weil sie die Liebe nicht wollten, hat es sie mit Haß bezahlt in That und Wort.

      Glücklich war‘s für mich, daß es mir nicht so ging, und daß die gütige Vorsehung mir einen Retter vor diesem Zustande in den Weg führte, für mich ein Engel, d.h. ein Bote Gottes. Und was für einen — sollt ihr im folgenden Kapitel hören.

      Fünftes Kapitel. Wie ich aus einem Erbprinzen ein Schulprinz werde

      Mein Engel, den ich fand, hatte auch keine Fecken, sondern eine Schnupfnase und Augen, die tropften wie ein Schleiferkübel. Es war unser alte Schulmeister, der mich in Burgdorf gefunden, sich meiner liebreich angenommen und mir beim Vater z‘Best geredet hatte, als er mich in der ersten Hitze schlagen wollte. Das hatte ihm mein ganzes Herz gewonnen, ich hing an ihm mit wahrer Ehrfurcht und Zärtlichkeit, er mochte sein wie er wollte. Jeder Mensch macht auf den andern einen Eindruck, der gewöhnlich erzeugt wird durch die äußere Gestalt und die Gesichtszüge. Dieser Eindruck ist oft ein sehr wichtiger, denn der Seele Spiegel ist das Gesicht, und mancher hat es bereut, daß er den ersten Eindruck über den Worten eines Menschen vergessen, weil er sich dadurch bittere Täuschungen erspart hätte. Zuweilen aber wird dieser Eindruck auch erzeugt durch die Lage oder die Handlung, in welcher wir einen Menschen zum erstenmal erblicken, und dieser Eindruck ist noch bleibender als der erste. Ein Kind, das zum ersten Male in die Schule kömmt und es sieht den Schulmeister im Zorn, sieht ihn rauh und auffahrend, wird Jahre lang die Furcht vor ihm festhalten und selten es bis zur Liebe bringen. Ja man wird es mit Schlägen in die Schule treiben müssen, was das Übel nur ärger macht.

      So hatte ich es mit meinem Schulmeister; was andere an ihm sahen, sah ich nicht, und wenn andere ihn neckten, so that ich ihm, was ich ihm an den Augen absehen konnte. Er war häßlich und durch Unreinlichkeit fast eckelhaft; er liebte neben dem Schnupf auch den Schnaps, und den trank er manchmal vor, manchmal während der Schule. Sein Lohn war gering, und um sich mehr Geld zu verschaffen, trieb er das Küferhandwerk und hatte im Winter den Zügstuhl in der Schulstube. Er galt für einen bsunderbar e Gschichte, denn er konnte den Bauern das Heu messen und sogar Brieflein und Zeugnisse schreiben für sie. Sein Schulhalten war aber nicht weit her. Des Morgens mußte man zuerst lernen, was man aufsagen wollte, sowohl auswendig, als die Leser ihre paar Zeilen im Fragenbuch, und die Buchstabierer ihre Buchstaben. Dann fing das Aufsagen an, und wenn dieses nicht bis mittags dauerte, so las man noch ein wenig. Des Nachmittags fing man mit Lesen an, später konnten einige manchmal etwas schreiben oder rechnen; die meisten und besonders die Leser und Buchstabierer, kamen nicht von ihren Büchern weg. Aber auch dieses Schulhalten war ihm beschwerlich und er that es selbst so wenig als möglich. Entweder war er duselig in seinem Kopf von Branntenwein, oder er hatte Kübeli zu binden und Reifen zu schnefeln. Er hatte daher immer einen oder zwei Adjutanten, denen er sein Scepter, die Rute, anvertraute. Gewöhnlich waren es die Reichsten, denen er damit die Gelegenheit gab sich einzuüben, künftig die Untergebenen tyrannisieren und quälen zu können nach Noten. Ordnung war keine in der Schule, aber Prügel vollauf von dem Alten und von den Jungen. Die Achtung fehlte, und wer dem Schulmeister am meisten Streiche spielen, ihn am besten ausspotten konnte, der hielt sich für den Größten und wurde auch von den andern dafür gehalten. Man that ihm alles Wüste, z. B. gefrornen Roßmist, in seine weiten Kuttentäschen, leerte ihm seine Schnupfdrucke aus und füllte sie mit Staub aus Weidenbäumen, schlug ihm Nägel in die Äste, die er aushauen wollte. Doch der Jubel ging erst recht an, wenn er des Nachmittags einschlief, was nicht selten geschah.

      Sobald man sah, daß der Schlaf über ihn komme, verstummte der gewöhnliche Lärm, und mäuschenstill ward‘s ringsum. Glaubte man ihn ordentlich eingeschlafen, so ließ einer zur Probe ein Buch fallen oder schlug mit dem Lineal auf den Tisch. Selten erwachte er. Dann wurde Kriegsrat gehalten, was anzufangen sei, und nie war man über etwas Lustiges verlegen. Man band ihn mit Stricken an die Ofenbeine an, strich ihm Tinte ins Gesicht, machte ihm einen Schnauz, verstopfte ihm die Nasenlöcher mit Papier, klebte ihn an den Haaren mit Pech am Ofen an u.s.w. War die Sache ausgeführt, so machte man sich in aller Stille aus dem Staube bis an eines, das an irgend einem Fenster den Austrag der Sache ansehen mußte; denn das Lustigste war dann doch, zu wissen, wie es abgelaufen. Wenn die Frau (eigne Kinder hatten sie keine) die Kinder fortgehen hörte und der Mann nicht kam, suchte sie ihn endlich und weckte ihn unsanft auf, betitelte ihn auf allerlei Weise und befreite ihn nicht auf die gelindeste Art. Das alles dann erzählen zu hören, war die größte Burgerlust für die Schüler. Der Schulmeister fragte nie nach den Missethätern, aber am folgenden Morgen handhabte er die Rute mit besonderem Nachdruck, und die, denen er den Streich zutraute, erhielten ihre Heiligen mit und ohne Anlaß. Aber man war derselben so gewohnt, daß man sich aus ihnen nicht viel machte, obschon er bis zu sechs Dutzend sogenannte Tötzelni aufzählte.

      Ich war schon früher zu ihm in die Schule gegangen, ohne daß ich mich über ihn besonders zu beklagen gehabt hätte. Durch mein vieles Lernen zu Hause war ich meinen Altersgenossen zuvorgekommen, konnte immer ohne Fehler aufsagen, und an den Streichen, welche


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