Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias  Gotthelf


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man durch Hersagen von Gebetsformeln und in der Kirche zu verrichten habe. Darum gedachten sie auch nicht von ferne daran, daß die Religion ihr Benehmen gegen die Nächsten und besonders ihr gegenseitiges zu bestimmen habe; gedachten gar nicht daran, daß durch die Religion jedes menschliche Wesen veredelt werden solle, und daß diese Veredlung gerade die Bestimmung des Menschen sei. Das Nichtgedenken an diese Wahrheit hat die traurigsten Folgen allenthalben und vorzüglich in der Erziehung. So dachte keines, daß es sich zu bessern, Fehler zu überwinden, die Kinder vor bösen Neigungen zu bewahren halte. Dabei waren meine Leute aber doch nicht schlechte Leute, was man so nennt; sie galten für brave, von denen man nichts appartiges wisse, als daß sie kum thun müßten. Sie hatten so die allgemeine Rechtlichkeit, die vor Allem sich wahret, was auskommen könnte. Wenn wir etwas fanden, das Nachbarsleuten gehörte, so mußten wir es alsobald zurückgeben. »Was däychst o? we si‘s chennti, was siege sie o?« Gehörte das Gefundene aber einem Unbekannten, so gab man sich keine Mühe, ihn aufzufinden, ja er müßte guten Beweistum gehabt haben, wenn man es ihm zurückgegeben hätte. Sie betrogen auch keinen Nachbar und überhaupt niemand ihresgleichen; aber wenn meine Mutter des Pfarrers oder Doktors Weibern einige schlechte Eier unter den guten anhängen konnte, so lachte ihr das Herz im Leibe; und wenn sie ihnen Gspünst verkaufte, so tat sie kurze Ryste unter die lange, Kuder in den Flachs. Dann lachten beide, die Mutter und der Vater und meinten: »Das macht sellige Lüte nüt, si merke‘s nit u si hei Geld gnue u mir hey‘s nötig, u was nützte dBörtel, we me se nit bruchti?« Wenn dann einmal eine der Frauen Unrat merkte, sich beklagte und drohte, nichts mehr von uns nehmen zu wollen, so begehrte meine Mutter nicht übel auf und räsonnierte über die geizige Herrehüng, die einem nichts gönneten, die einem nichts für eine Sache geben und doch von allem das Beste haben wollten.

      Drittes Kapitel. Wie es Vater und Mutter mit den Kindern hatten

      Das Ehepaar, das ich bis dahin schilderte, besaß acht Kinder, von denen ich das dritte war. Man nehme mir es doch nicht übel, daß ich so offenherzig von meinen Eltern rede. Ich thue es wahrhaftig nicht um sie herabzuwürdigen. Weil ich weiß, daß unzählige Ehepaare dem elterlichen gleich sind, so, hoffe ich, könnte vielleicht eine solche Schilderung sie zur Erkenntnis ihrer selbsten bringen, und so ihnen und manchem Kinde Heil geschehen. Ich hoffe, daß, je ehrlicher und aufrichtiger ich mich dargebe, desto größeres Erbarmen werde das Publikum mit mir haben und desto eifriger mein Büchlein lesen. Wir Kinder wurden von den Eltern eigentlich als eine Last betrachtet, die man dadurch zu verringern suchen müsse, daß man alle Kräfte des Kindes in Anspruch nehme. Wir hörten sehr oft, die und die seien doch glückliche Menschen und könnten es so gut haben, weil sie keine Kinder hatten oder nur eins. Doch hatte alle Selbstsucht und die angesetzte Säure in den Gemütern die von Gott so gütig in die Herzen der meisten Erzeuger gepflanzte natürliche Liebe zu ihrer Nachkommenschaft nicht wegätzen können; sie liebten auch, aber auf eigene Weise, und keines, was das andere. Der Vater hielt viel darauf, daß er ein Heimet hatte, und wenn er doch Kinder haben mußte, so wollte er einen Buben, um dasselbe auf ihn vererben zu können. Unglücklicherweise gebar aber die Mutter zuerst zwei Mädchen nacheinander; die konnte nun mein Vater nicht leiden. Alles an ihnen war ihm zuwider, und über jeden Kreuzer, der um ihrentwillen ausgegeben werden mußte, ärgerte er sich. Natürlich nahm sich die Mutter ihrer an, verteidigte sie vor dem Vater. Schalt er, so liebkoste sie die Kinder und belferte gegen den Ehemann. Hatten die Mädchen etwas gethan, das den Vater ärgern mußte, so half sie es ihnen vertuschen, den Vater belügen. Für ihre Kleidung wußte sie immer heimlich einige Batzen auf die Seite zu bringen, entweder aus dem Ankengeld (denn von der einzigen Kuh wurde neben der großen Haushaltung, noch Anken verkauft) oder aus einigen versteckten Klöblene Ryste oder Flachs, oder aus gemausten dürren Schnitzen. Ein Weib, das Geld machen will, findet auf dem Lande hundert Mittel dazu; kein Mann ist schlau genug, es zu verhindern; und doch sind hunderte von Männern, die ihre Weiber durch übertriebene Kargheit zu solchen Kniffen zwingen, und dummerweise sich einbilden, sie könnten nicht beluxt werden. Je älter die Mädchen wurden, desto mehr bedurften sie, desto mehr mußte der Vater betrogen werden, und dabei war das das größte Unglück, daß die Mädchen mit betrügen, mit stehlen halfen. Sie gewöhnten sich, ihre Wünsche nicht zu unterdrücken, sondern die Mittel zu ihrer Befriedigung auf unrechtem Wege zu erlangen. So stahlen sie später nicht bloß dem Vater, sondern auch ihren Meisterleuten. Sie kamen in Schande und wir in gar großen Verdruß. Es ist merkwürdig, daß gar viele Leute glauben, den Eltern stehlen sei keine Sünde. Und doch ist sicher die Sünde weit größer, wenn ich jemandem stehle, dem ich Dankbarkeit schuldig bin und der mir zu essen gibt, mich kleidet, als einem Fremden, der weiter mich nichts angeht. Aber eben so merkwürdig ist es, daß dem Vater selten auffiel, daß die Kleidungen, die sie trugen, nicht aus dem von ihm bewilligten Gelde angeschafft sein konnten, daß er wenigstens selten darnach fragte, zufrieden im Glauben, es sei nicht aus seiner Sache gekauft und unbekümmert darum, woher es genommen sein könnte. Und wenn er zur Seltenheit einmal fragte, woher dies oder jenes? so hieß es schnell: der Götti oder die Gotte hätten es gegeben, und dieses wurde ohne irgend eine Nachfrage gläubig angenommen.

      Als ich ihm endlich geboren wurde, hatte er gar große Freude, daß ihm nun sein Kronprinz für sein Kühliheimet und seine 3000 Pf. Schulden geboren sei, und auf diesen Thronfolger baute er fortan alle seine Pläne und Hoffnungen. Er sei nüt, sagte er oft, aber der da müsse etwas ganz anderes werden; der müsse alles lernen, was auf der Welt einer nur lernen könne. Und würde es 100 Kronen kosten, es sollte ihn nicht reuen. Er wisse auch Leute, die nicht einmal Weber gewesen, die jetzt Geld hätten wie Heu und Häuser wie Paläste; die auf allen Märiten Hans oben im Dorfe seien und so ein Weberlein gar nicht ansehen, wie tief er auch die Kappe lüpfe. So ein Händler müsse ich auch werden; hätten es die gekonnt, so wüßte er nicht, warum ich es nicht auch könnte. Und dann müsse ich eine reiche Frau nehmen, sie hätten auch alle reiche Weiber; ein schönes Haus bauen, sie hätten auch alle schöne Häuser; ein Schärbank kaufen, sie hätten auch solche. In diesem wollten wir dann zusammen z‘Märit ryten, und allemal ans Ordinäri gehen und nach dem Essen um das Kaffee ramse. Dem Kaffee frage er zwar nichts nach, ein Glas Branntenwein sei ihm lieber. Aber wenn man vornehm sei, so müsse man auch vornehm thun; sonst werde man verachtet. Dann ergötzte er sich an dem Gedanken, wie er diesem und jenem es eintreiben wolle, daß er ihn schnöde angesehen und wie er dann auch den Hut aufhaben und andere die Kappe wolle lüpfen lassen. Hatte er so recht sich ergangen in allen Hoffnungen, die er auf mich baute, so betrachtete er mich ordentlich mit Respekt und behandelte mich darnach. Er wollte nicht, daß ich schrie, und nie glauben, daß ich schreie aus unbekannten Ursachen wie andere Kinder, sondern nur wenn man mich mit Fleiß zu schreien mache. Hörte er mich in seinem Webkeller, so kam er hervor und prügelte die Schwester, die mich gaumen sollte, oder begehrte mit der Frau auf, warum sie mir nicht zu saugen gebe; ihm z‘Trotz lasse sie mich verschmachten. Es war keine Rede davon, daß man mir etwas abschlagen durfte. Geschah es einmal in seiner Gegenwart und verzog ich nur eine Miene, so brüllte er: »Wotsch ihm‘s gäh oder lah, oder soll ih cho?«

      Er ging auf keinen Märit, daß er mir nicht etwas kramte, einen Lebkuchen, einen Weggen oder ein Pfeiffenbäggeli, keinem andern Kind aber je um einen Kreuzer. Und wehe dem, das meine Sache auch nur mit einem Finger anrührte! Ich war kaum zwei Jahre alt, so nahm er mich allemal mit, wenn er des Sonntags zur Seltenheit einmal ins Wirtshaus ging, gab mir zu essen, was ich wollte, schüttete mir Wein ein, mehr als ich mochte, und rühmte dann: der möge ihn afe erlyde, aber der müsse ihn lernen trinken, der müsse einmal Wein genug haben. Meine Mutter nahm er dagegen nie mit, so oft sie stichlen mochte: e Tropf Wy thät ere nöter als dem Schnuderbueb da.

      Man kann sich denken, wie lieb ich auf solche Weise der Mutter und den Schwestern wurde. Sie hatten meinetwegen alle Tage Verdruß, konnten mich nie genug halten und mußten zusehen, was ich alles erhielt, ohne teil daran nehmen zu können.

      Es scheint, mein Vater hatte die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern nie gelesen, oder sie nur so gelesen, wie die meisten Leute lesen können. Er hatte nur die Worte gemürmt mit den Lippen, ohne ihren Sinn zu verstehen und noch viel weniger die Anwendung aus das gewöhnliche Leben und auf seine eigenen Verhältnisse machen zu können. Er hatte nicht begriffen, was der Neid sei, wie leicht er geweckt werde, wie unglücklich er mache! Das habe ich seither nur zu oft bemerkt, daß die Menschen die Namen von Tugenden und Lastern wohl kennen, aber sie


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