Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias  Gotthelf


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selbst hinauszutragen kam mir nicht in Sinn. Aber ich fragte das nicht, denn ich fand sie übel, mit dem Kopf angelehnt an den Kachelbank, die eine Hand auf dem Herz. Mir wurde Angst, wie es einem rechten Manne ziemt, und besorglich wollte ich wissen, wo es ihr fehle? Als sie wieder atmen und reden konnte, meinte sie gar weinerlich: »Was wird mir fehlen? es wird wieder öppis angers sy.«

      Und weinerlich wurde auch ich, fragte nicht weiter, sondern sagte bloß: »Es wird öppe nüt sy« .— und stolperte betroffen zur Küche hinaus vor das Haus. Dort trat mich der Polizeidiener an und brachte mir einen Brief von dem Schulkommissär, in welchem der Befehl stund, punkt zwei Uhr nachmittags bei ihm zu sein, indem er mir etwas zu eröffnen hätte. Potz tausend! dachte ich, der wird mir sagen wollen, wie hoch ich taxiert worden sei, und wie viel mehr Einkommen ich künftig erhalten werde; und wohl ward mir wieder ums Herz; ich hatte Luftsprünge thun mögen und gerne dem Polizeidiener einen Batzen gegeben für seine Mühe, wenn ich nur einen im Sack gehabt hätte.

      Es war nämlich von der hohen Obrigkeit auf Antrag des wohlweisen Erziehungs-Departementes einmal 40 000 L. und wieder einmal 50 000 stipuliert worden zu gunsten der Schulmeister und ihrer Löhne. Und darauf war eine Kommission im Lande herumgefahren, um alle Schulmeister zu inquirieren, wie gelehrt ein jeder sei. Es waren gar schöne und gelehrte Herren und sie machten ihre Sache im ganzen recht manierlich. Ich war recht gut bestanden und hatte ihnen oft so geantwortet, daß sie gar nichts darauf zu sagen wußten. Ein anwesender Bauer meinte, die hätte ich recht beschlagen, und der Frau sagte ich daheim, ich hätte manchen Zweckschuß gethan.

      Wir hofften nun alle Tage auf einen Bündel Geld, aber alle Tage umsonst. Wir hätten es so nötig gehabt, und ich hatte darauf hin schon der Frau Mulletung zu einem warmen Gloschli gekramet, war es aber dem Krämer noch schuldig geblieben, der das Geld gerne haben wollte. Da hingen die goldenen und silbernen Äpfel dicht vor unserem Munde; wir thaten ihn weit weit auf, aber sie fielen nicht hinein; sie legten sich sachte nieder in die Staatsbank und unser Glust war doch so groß gemacht und unsere Säcke waren doch so leer! Meine Kinder pflegten zuweilen unserer Katze ein Stück Brot vorzuhalten und es wieder wegzuziehen, wenn sie darnach schnappte; dann ward die Katze böse, knurrte und krebelte; dann schrieen auch die Kinder und wollten die Katze schlagen oder verklagen. Aber ich schalt dann die Kinder und nicht die Katze, und that ihnen gar bündig dar, wie es unbarmherzig sei, mutwillig eine Lust zu erregen, und dann ihre Befriedigung mutwillig hinzuhalten. Ich stellte ihnen vor, wie auch ihnen wäre, wenn man am Morgen das Essen vor sie hinstellte und sie erst am Abend es genießen ließe; ob das nicht ein schlechter Trost für sie wäre, wenn ich ihnen sagen würde: Schweiget doch und seid geduldig, ihr erhaltet es ja, und es kömmt nicht darauf an, ob früher oder später?

      Das begriffen meine Kinder nach und nach und trieben das Spiel nicht wieder.

      Leider müssen die Herren, die uns so glustig gemacht, weder Kinder noch Katze oder wenigstens nicht Mitleiden mit der Katze gehabt haben; sie würden uns sonst nicht so lange haben warten lassen und dann gar noch, wenn unser leerer Magen murrte und knurrte, über fleischliche Gelüste geklagt haben.

      Man kann sich daher denken, wie ich freudenvoll ward, und blangete, wie ein Kind am Neujahrmorgen, bis ich vernahm, wie viel ich nun einseckeln konnte. Ich lief in die Küche, der Frau unser Glück anzukünden (ich konnte es aber nur in unbenannten Zahlen nennen) und ihr anzuhalten, heute das letzte Stück Fleisch, das wir im Hause hatten und das sie so lange gespart, zum Kraut zu legen; es werde ihr wohlthun, meinte ich. Dann nahm ich mein Häfeli heißes Wasser zum barten, schüttete mir aber einen Teil über die Finger, und mit den verbrannten Fingern schnitt ich mir manchen tüchtigen Hieb ins Kinn; denn ich schlotterte ordentlich vor Freude; darum that mir alles nicht weh. Mit dem halben Gesicht voll Schwammpflästerchen ging ich zum Herren, den Psalmen zu holen. Wessen das Herz voll ist, dessen läuft der Mund über; ich verkündete ihm mein ungenanntes Glück. Er schien auch Freude daran zu haben, was mich Wunder nahm; denn wir glaubten von den Pfarrern, sie mißgönnten uns größern Lohn und seien schuld daran, daß wir nicht schon lange mehr hätten. Warum wir das glaubten, weiß ich eigentlich nicht; denn auf der andern Seite hörte ich oft von den Bauern muckeln, man könne den Pfarrern nicht genug für die Schule thun und die Schullöhne nicht groß genug machen; man sehe wohl, daß sie nichts daran geben.

      Unglücklicherweise gab der Pfarrer einen moll-Psalmen und ich war doch so dur gestimmt, und dazu spielte unser Organist so gar verzweifelt langsam. So geschah es, daß ich den moll-Psalm und den Organist vergaß in meiner Freude und dem Herrn ein Loblied sang nach der Stimmung meines Herzens und nach dem Takte meines munter hüpfenden Blutes, hoch und rasch. Da entstund ein wunderlicher Gesang, der viel Redens gab, wer eigentlich Recht gehabt hätte. In munterer Weise sang ich fort, und merkte in meinem Jubel nicht, daß der Organist unter und hinter mir blieb; und daß er immer zorniger über die Achsel blickte, sah ich gar nicht, daß der Teil der Gemeinde, der fröhlichen Herzens war, mir nachsang, der schwerfälligere dem Organist; daß der Pfarrer, der eben kein Held in der Musik ist, bald mit mir Schritt halten wollte, bald mit den andern, und gar nicht wußte, woran er war, das alles merkte ich nicht, bis ich mit meinem Liede zu Ende war und mit meinen Mitsängern schwieg, der Organist aber mit seinen Treuen noch fort orgelte und sang. Da sah auch ich erstaunt über die Achsel, erwacht aus meiner Herzensandacht, und gab ihm mit spöttischen Blicken meine Verwunderung kund über seine Böcke. Aber er sah mich nun auch nicht an. Was der Pfarrer predigte, kann ich euch wahrlich nicht sagen. Liebe Leute! verzeiht es einem Schulmeister, der 80 L. baren Lohn und fünf lebendige Kinder auf der Welt hat, der nun zu einer Teilung von 90 000L. sich berufen glaubt, wenn er nicht Platz in seinem Kopfe hat für eine Predigt, sie mag noch so schöu sein. O, könntet ihr sehen in so einen Kopf hinein, wie da die Gedanken wimmeln, sich drängen, verschlingen, wenn sie kaum geboren sind! Bringt ein Glas Essig unter ein neumodisch Vergrößerungsglas, und seht da die Welt voll Tierchen, seht das Gewühl, das nie ruhende Gebären und Vernichten, so könnt ihr euch eine Vorstellung davon machen. Da tauchen zuerst die Schulden auf, die zu bezahlen sind; die werden von den Bedürfnissen verschlungen, die sich darstellen in bunter Mannigfaltigkeit von den mangelnden Kinderstrümpfchen weg bis zu einer neuen Faßi an das Dackbett; aber auch die gehen schnell in einer Wolke von Wünschen unter, die dicht und schwarz herauf sich wälzt und bald den ganzen Horizont der Gedanken bedeckt. Ach, was hat ein Schulmeister mit 80 L. Lohn und fünf Kindern nicht alles zu wünschen; wie unendlich viel hat er entbehrt, von der verstümmelten Tabakspfeife weg bis zu einem Buche, worin alles steht, was er zu wissen noch nötig hätte! Ich war ganz erschrocken, als die andern um mich aufstunden; denn nun erst fiel mir wieder ein, daß ich in der Predigt sei, und mir wurde bange, ich hätte geschlafen, ein böses Beispiel gegeben. Da nahm ich mich zusammen, betete andächtig mit und hielt diesmal mit dem Organisten besser Schritt.

      Noch nie schien mir meine Frau mit dem Essen so lange zu machen; aber auch nie schmeckte es mir besser als heute. Die Frau sah ihrem letzten Stück Fleisch wehmütig nach; ich aber war ganz holdselig und trieb das Narrenwerk mit den Kindern, so daß sie endlich sagte; »Peter, ich wollte den Pelz nicht verkaufen, bis ich den Bären hätte.« Ich aber lachte sie aus, wischte mit dem Ärmel den Mund ab, ließ mir das beste Halstuch im Hause umbinden und machte mich auf den Weg. Das ging wie durch die Lüfte und lange vor zwei Uhr war ich an Ort und Stelle. Zum Schulkommissär konnte ich noch nicht; der war noch in der Kinderlehre. Das ungewohnte Fleisch und der rasche Lauf hatten mich durstig gemacht; es kam mich daher das Gelüsten nach einem Schoppen an, dem ich sonst sehr selten nachgab; denn es dünkt mich unrecht für einen Mann, einen Schoppen zu trinken, während das Weib zu Hause einem Kinde, das gerne Brot möchte, sagen muß: »Wart nur, wir essen bald, dann bekommst du Erdäpfelbitzli.« Ich hatte bis an 6 Kreuzer, die ich der Frau zu Hause ließ, all unser bar Vermögen bei mir, welches sich auf 4 1/2 Btz. belief. Es war nicht viel; aber ich meinte, einen Schoppen möge es immer erleiden, wenn man 90 000L. zu teilen habe. Wie ich in die Gaststube kam, merkte ich, daß es gar lustig herging in der Nebenstube, und ehe ich noch meinen Schoppen befehlen konnte, rief es aus derselben: »Seh Käser, es gilt dr, chumm u thue eis Bscheid!«

      Ein Schulmeister, und besonders einer der nur 4 1/2 Btz, im Sack hat, sagt wohl: »Blyb nume rüihig«; aber er geht doch hinzu und sieht, wer es ihm bringen will. So machte ich es auch, und sah da den Unterlehrer von selbigem Orte, wie er freudestrahlend am Tische obenan saß, und da regierte und hantierte, als ob er allein Meister wäre. Er befahl


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