Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf
Schulmeister mir der liebste Mensch unter der Sonne. Ich that alles Mögliche, um ihm zu gefallen, und dadurch gewann ich seine Zuneigung, vielleicht auch dadurch, daß er mir eine Wohlthat hatte erzeigen können. Der Mensch thut so selten etwas Gutes, daß er sich ordentlich zu dem hingezogen fühlt, der ihm Gelegenheit dazu gegeben hat, etwas Löbliches zu vollbringen, und seinem Gewissen Stoff, ihn auch einmal zu rühmen.
Freilich waren die Mittel, welche ich ergriff, um mich ihm wohlgefällig zu machen, nicht die saubersten. Ich sah, daß andere Kinder ihm zuweilen Geschenke brachten, Milch, Brot, Speck, Metzgeten u. s. w. Daß die es einige Tage besonders gut bei ihm hatten, kam bei mir nicht sowohl in Betracht, als daß ich sah, wie sehr es ihn freute und wie seine Frau nicht aufhören konnte zu danken und dem Müetti und dem Ätti alles Gute zu wünschen. Ich forderte daher einmal, als wir backten, ganz unbefangen ein Brot, um es dem Schulmeister zu bringen. Wohl da kam ich schön an! Der Vater meinte: »Ihr fresset no nit gnue Brot, daß mr no angere gä seu. I mah verdiene, wi-n i will, es bschützt nüt. We d‘no einisch öppis seyst, su schlah-n-i dr dr Gring ab.« Die Mutter aber belferte: »Ja dem wett i o öppis bringe! Suf är weniger Brönz! U sn Frau isch so schmäderfräßig, sie schätzte üses Brot nüt; es war ihr z‘weni wyßes, sie gab‘s ume dr Geiß.«
So war ich abgefertigt, aber nicht zufrieden. Nun konnte ich freilich nicht thun, was jener Güterknabe, der gerne unterwiesen sein wollte, und, um den Pfarrer dazu zu bewegen, ihm ein Geschenk zu bringen trachtete, und es recht gut machen wollte, damit es ja bschüßi; der daher seinem Meister zwei Hammen auf einmal stahl, aber auch die Sache so ausbrachte. Denn hätte er dem Pfarrer nur eine Hamme auf einmal gebracht, so wäre es diesem nicht aufgefallen, allein zwei auf einmal, das war er nicht gewohnt und fragte nach, und die Sünde kam aus. Nein, zwei Hammen konnte ich aus unserm Kämi nicht nehmen, die Mutter sah zu scharf alle Tage hinauf, die vier zu zählen, die im Winter oben hingen. Aber ich stahl Eier, und da es diese selten gab im Winter, so stahl ich sie im Sommer in Vorrat und verbarg sie ins Heu, stahl Äpfel, dürres Zeug, und wollte einmal sogar der Kuh eine Halbe Milch ausziehen. Die aber verstund keinen Spaß, sondern schlug den ungewohnten Melker gar tüchtig in den Mist, daß er Mund und Nase voll bekam.
Das zweite, was ich versuchte, um die Gunst des Schulmeisters zu erlangen, war, daß ich ihm nach und nach zu verrätschen anfing, was die andern thaten. Es war nicht bloße eigennützige Absicht dabei, sondern wahrhaftig großenteils Liebe zu dem Manne, und Ärger, daß man ihm so mitspielte. Weil der Mann mich liebte, um meiner Anhänglichkeit willen mich allenthalben vorzog und rühmte, so suchte ich auch so viel möglich bei ihm zu sein.
Fleißiger Schulbesuch gehörte sonst nicht zu den Tugenden unseres Hauses. Erstlich halten die Eltern kein Schulgewissen, es fiel ihnen Wochen lang nicht ein, daß es Schule sei und die Kinder geschickt werden sollten. Sie hatten ferner keine andere Vorstellung von dem Nutzen einer Schule für gewöhnliche Leute, die nicht etwas appartigs werden sollten, als daß man darin lesen lerne, um unterwiesen zu werden und weil es einem überhaupt kummlich sei, lesen zu können. Und da die ältern von uns lesen konnten, so hielten sie dafür, die Schule trage für diese also wenig mehr ab. Endlich hatten sie auch den gewöhnlichen republikanischen Trotz: »Es heig ihnen niemer nüt z‘bifehle, me chönn ‚ne i dSchueh blase, sie heige dWehli, dChing i dSchuel z‘schicke oder nit. Sie gebit ne z‘esse u a dSchueh zahl ‚ne o niemere nüt.« Meine Schwestern hatten endlich noch erlanget, daß sie auf einem appartigen Plätzli Flachs pflanzen und denselben spinnen durften für sich, wenn sie im Tage für die Eltern anderhalb Tausend gesponnen hatten. Sie fragten daher der Schule wenig nach und zogen sich davon, soviel sie konnten.
Die Eltern hätten daher auch mich nicht fleißig gesandt, wenn ich nicht gerne gegangen wäre; sie hätten mich viele viele Tage um das Haus können schlingeln sehen im Nichtsthun, ohne mich in die Schule zu schicken. Ich bin überzeugt, an wenigstens einem guten Drittel von Schulversäumnissen ist, besonders bei den Knaben, nicht die Arbeit sondern eben die Gleichgültigkeit der Eltern schuld, die gar nicht an die Schule denken, oder, wenn sie das Geringste zu machen, nur ein Körbchen mit Erdäpfeln zu waschen haben, alsobald sagen: Du kannst heute nicht in die Schule, es müssen Erdäpfel gewaschen sein, — nicht denken, daß dieses bei gutem Willen füglich vor oder nach der Schule gemacht werden könnte, oder füglich von jemand, der zu Hause bleibt und dabei nichts versäumen würde.
Alle Morgen und alle Mittag war ich bereit zum Gehen. Da glaubten die Eltern Einhalt thun zu müssen, teils weil sie glaubten, ich könnte das Spulen versäumen, teils sagten sie: »Was würden die Leute dazu sagen, wenn sie einen so großen Buben alle Tage zur Schule sendeten? Sie könnten ja denken, sie wüßten ihn nichts zu brauchen oder hätten ihm nichts zu arbeiten.« Und die Schwestern, so wenig sie zu gehen begehrten, redeten auch darein und sagten: Wenn ich immer gehen könnte, so wollten sie auch gehen, sie hätten so viel Recht als ich. Das half aber alles nichts; ich zwängte es die meisten Male durch. Denn ein Kind, das hartnäckig ist, kann auf dem Lande ungeheuer viel zwängen, sobald es sich auf das Zwängen legt, weil man wohl Schläge, aber den nachhaltenden Ernst nicht kennt. Freilich mußte ich zwischendurch spulen über Hals und Kopf, früh und spät; freilich bürdete man mir noch immer mehr zu machen auf zwischendurch, Futter rüsten, holzen u.s.w. Aber ich gab nicht lugg, machte so viel ich immer mochte; und wenn das nicht genug war, so brauchte ich am Ende auch das Maul, drohte mit Fortlaufen, sagte, der Götti wolle mich u.s.w. Da setzte es wohl Ohrfeigen, aber es half doch etwas; denn entbehrt hätte man mich ungerne. Es wäre dadurch eine Lücke in dem Hauswesen und in der Arbeit entstanden, die niemand gerne ausfüllen mochte.
Ich lernte in und außer der Schule gar gewaltig, und hatte eine Vorrichtung ersonnen, um dem Spulen unbeschadet es thun zu können. Es ist merkwürdig, daß auf dem Lande so wenige Haushaltungen auf den natürlichen Einfall kommen, daß die Kinder und namentlich die Mädchen lernen und arbeiten können mit einander. Freilich bedarf es dabei gespannter Aufmerksamkeit; aber eben die Aufmerksamkeit spannen zu lernen, wäre auch eine gar nötige Sache, welche so wenige verstehen. Besonders für eine Sache wäre es recht gut. Der Mensch denkt fast immer etwas, und ganz unwillkürlich kommen und gehen die Gedanken, und bei keinen Arbeiten kann man kommöder sinnen als bei den Mädchenarbeiten, spinnen, lismen, nähen und bei vielen andern mehr. Da kommen dann den erwachsenden Mädchen die Gedanken von selbst ungezogen und setzen sich wie Mehltau in ihren Seelen fest und vergiften Keuschheit und Schamhaftigteit. Sicher ist so manches Mädchen, ohne daß jemand bei ihm war, durch seine eigenen Gedanken, die sich während der Arbeit entspannen und dann sich fortsetzten, wenn das Licht ausgelöscht war, verführt worden. Darum wäre es von großer Wichtigkeit, wenn man während der Arbeit die Gedanken mit etwas Gutem beschäftigen könnte, so daß die bösen keinen Platz fänden. Das wäre so gar nicht schwer, wenn man nur wollte. Aber man legt so gar wenig Gewicht auf seine Gedanken, und bedenkt nicht, daß Jesus sagt: Aus dem Herzen heraus, von den Gedanken her, kommt alles Arge. Man ist gewöhnlich auch so wenig Meister seiner Gedanken, daß man den einen nicht befehlen kann zu kommen, den andern nicht zu gehen. Man hat es mit ihnen wie mit den Einquartierungen; sie kommen und gehen nach Belieben; und sie gehen heißen fällt niemand ein, weil man wähnt, es hülfe nichts, sie blieben doch. So lange aber einer nicht Herr seiner Gedanken wird, daß er sie kann auf- und abmarschieren lassen nach Gefallen, so lange ist er nicht Herr in seinem Hause. Er ist ein Sklave und weiß weder für heute noch morgen, was seine Gedanken aus ihm machen werden.
So kam ich ganz gewaltig vorwärts. Die Fragen waren im Hui auswendig gelernt, Psalmen eine Menge ebenfalls. Davon verstund ich freilich nichts, aber aufsagen konnte ich, daß man mit keinem Hammerlein dazwischen schlagen konnte. So weit hatte ich es in der Kunst aufzusagen gebracht, daß ich bei vielen Fragen nie Atem schöpfte, und selten mehr als einmal. Freilich mußte ich dann gar tief aufatmen, wenn ich fertig war. Aber das gefiel den Leuten gar wohl, und wer am wenigsten zu atmen brauchte, den hielten sie für den Geschicktesten. Am Ende des Winters gehörte ich unter die Geschicktern, und der Schulmeister, dem ich gar lieb war, hätte mich gerne auf eine vordere Bank gethan. Er durfte es nicht, weil gerade ob mir des Weibels Bueb saß. Hätte er mich über den springen lassen, so würde es einen Lärm abgesetzt haben furchtbarlich, daß des Webers Bueb über ds Weibels Bueb hinauf gesetzt worden sei im Examenrodel und einen halben Batzen mehr Examengeld bekommen solle. Aber meine Fortschritte waren erst bei Anfang der Schulen im folgenden Winter recht auffallend. Vor allem ging es an ein Repetieren, und