Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf
Teil. Sie schlaye mr jetz bald die verfluechte Büecher um e Gring, bis kein ganzer Fetzen mehr daran sei. Der Schulmeister solle mir z‘fresse gäh, wenn er mich doch das Gchafel lehren wolle. Aber man wolle mit dem Pfarrer reden. Er sei zwar auch nicht einer von den Rechten, aber e selligs Donnerwerk werde er doch nicht zugeben können; wie könnte er es vor der Obrigkeit verantworten? Und wenn ich noch einist die Gosche aufthue für sellig Sachen, so schlage man mir den Holzschlegel hinein. — So lautete der langen Predigt erbaulich kurzer Schluß.
So hatte ich meine Abfertigung ungefähr gleich, als wo ich dem Schulmeister Geschenke bringen wollte; aber wie ich mich damals nicht abschrecken ließ, so auch jetzt nicht. Die 4 Batzen mußte ich haben, und wie ich zu Geschenken kam, dachte ich auch zu Gelde zu kommen. Schon lange hatte ich gemerkt, daß Mutter und Schwester mauseten; ich kannte auch die Krämerin, welcher sie die Sachen brachten und bei ihr eintauschten, was sie nötig hatten. So faßte ich heimlich auch ein Klöbli Ryste und hoffte damit mehr als das nötigste zu erhalten. Allein die Frau verstand ihren Pfiff gar zu wohl und gab für gestohlene Sachen Erwachsenen kaum die Hälfte, Kindern nicht einen Drittel des Wertes. O so eine Krämerin ist eine wahre Pest und mich nimmt wunder, daß Männer ihr das Handwerk nicht legen und sie auf irgend eine Weise recht zu Schanden machen. So eine Krämerin tauscht von den Weibern Korn ein gegen Wein oder Sammetschnüre, von Kindern Psalmenbücher gegen Lebkuchen, von Dienstboten Chuder, Garn u. gegen Zimmetwasser und Gorseeblätze. Und von allen Bettlerkindern weiß sie sich den Zuzug zu verschaffen und läschlet ihnen die erbettelten Kreuzer ab. O so eine Krämerin, die den Hausdiebstahl nährt und die Schleckerei und die Hoffart mit ihrem Händeli, die müßte mir einst auch handeln müssen und zwar in alle Ewigkeit, und zwar mußte sie mir um Schwefel handeln und Feuer dagegen eintauschen, und immer mehr Schwefel und immer mehr Feuer müßte vor ihr und hinter ihr sein, bis sie keines mehr unterscheiden könnte, Feuer und Schwefel, bis ein jedes ihrer Haare eine brennende Schwefelzüpfe und jedes ihrer Worte zu einem feurigen Lebkuchen würde. Und so müßte es an jedem ewigen Morgen neu anfangen und am Abend müßte sie mir sein wie ein ausgebrannter Kohlhaufen und das so lange, bis auch ihrer die ewige Liebe sich erbarmen müßte ob ihrem Wehgeschrei.
Diese Krämerin, welche aus langer Übung Gestohlenes gar gut von etwas anderm unterscheiden konnte, kannte meinen Kloben Nysten auch und wußte wohl, daß ich ihn nirgend anderswohin bringen durfte. Darum ließ sie sich kaum erbitten, eine Tafel, Griffel und eine schlechte Feder dafür zu geben. Und ich gab ihn hin darum, alsobald an neues Stehlen sinnend, um noch zu dem Nest zu kommen. Als ich des Abends in der Dunkelheit heim kam, hatte mir der Teufel bereits etwas gebeizt. An der Stange vor dem Hause hing das Nastuch des Vaters, das man ihm ausgewaschen und draußen vergessen hatte; das wandelte alsobald in meine Tasche. Am Morgen fand man es nicht und es erhob sich ein Höllenlärm. Der Vater prügelte die Schwester, die es gewaschen und vergessen hatte; die Mutter schimpfte auf die Schelmen und warf den Verdacht auf eine Nachbarsfrau, und wenn sie übrige 6 Xr. gehabt hätte, so wäre sie sicher zu einer Wahrsagerin gelaufen, um sich diesen Verdacht bestätigen zu lassen. Das geschah zwar nicht, aber die Mutter stichelte doch so lange, bis es Feindschaft gab und man sich von da an alles Leids anthat, was man konnte. Unterdessen hatte ich das Nastuch ganz gelassen in der Tasche, wanderte zur Krämerin und erhielt endlich mit Not den noch fehlenden Schreibbedarf.
Obgleich ich nun auf und mit gestohlenen Sachen schrieb und rechnete, so glückte es mir doch besser, als ich es verdiente. Ich machte recht muntere, wohlbeleibte Buchstaben, recht kenntlich für den Kenner, und konnte sagen, wie sie hießen, was nicht jeder konnte. Denn mancher machte jahrelang Buchstaben, er kannte ihre Namen nicht und der Schulmeister fand nicht nötig, sie ihm zu sagen. Ja, ich konnte nach und nach auch alte Gschriften buchstabieren und lesen. O, mit welcher Lust ich so hinter altem, gelbem Pergament saß und im halben Tag ein halbes Wort lernte!
Aber im Rechnen, da ging es noch viel besser und der Schulmeister sagte oft: »Du bisch ds Tüfels, Bueb, du chast mr bal alles nachemache, was i dir vormache.« Er pflegte denen, die rechnen wollten, zuerst eine Addition vorzuschreiben und dann sie mit ihnen zusammenzuzählen. Gab es über 10, so sagte er: »Da behaltet man eins«; stieg sie auf 20, so sagte er: »hier behaltet man zwei«, und so fort. Weiter ließ er sich nicht ein; nur daß man dann zuletzt nichts behalten dürfe, sondern alles hinsetzen müsse, sagte er noch. So ging es lange, bis man addieren konnte, aber noch länger, bis man durch das Abziehen war. Denn hier vernahm man nur, daß man, wenn man von einer Zahl nicht abziehen kann, bei der folgenden 10 entlehnen könne. Beim Multiplizieren happerte es. Freilich kam auch das Behalten vor; allein weil man das Einmaleins nicht konnte (das wurde vorausgesetzt, obgleich es keiner konnte) und dasselbe erst durch hundertfältige Übung mangelhaft auffaßte, so war es eine Seltenheit, wenn eine Rechnung richtig war. Noch schlimmer ging es beim Dividieren. Man wußte zwar wohl, daß man da vornen anfangen müsse und beim Multiplizieren hinten; aber selten kam einer vor dem Schulaustritt dahin, daß er sagen konnte: »4 in 2 geht nicht, 4 in 24 6 mal.« Und das alles ging darum so mühselig und langsam zu, weil auch nicht für das geringste ein Grund angegeben war, weil man nie wußte, warum man es so machen müsse und nicht anders. Und eben deswegen vergaß man alles alsobald wieder. Nicht nur mußte man alle Winter mit gleicher Mühe von vornen anfangen, nicht nur wußte man von Rechnen gar nichts mehr, sobald man aus der Schule war, sondern ob einer Species vergaß man die andere, und wenn man beim Multiplizieren war, so hatte man das Subtrahieren vergessen. Als einst der Herr Pfarrer an einem Schulexamen uns eine Addition aufgeben wollte, sagte der Schulmeister: »Verzeiht, Wohlehrwürdiger Herr Pfarrer, selligs hei mr gar lang nüt grechnet; sie cheu‘s chum meh, mr sy jetz bim Dividiere.« Darüber verwunderte sich kein Vorgesetzter; man fand das ganz natürlich, denn der Statthalter sagte: »Grad so isch‘s mr o geng gange, u we‘s mr lang nüt z‘Hange chunt, so vergiß i‘s no jetz.«
Weil ich beharrlich immer aufpaßte und ein gutes Gedächtnis hatte, so konnte ich zum Erstaunen meines Alten ihm mit einer Fertigkeit folgen, die ihm noch nicht vorgekommen war. Daher sagte er mir einmal an einem Samstag Nachmittag (nachdem ich eine Division nachgemacht hatte, wo vorher der Alte gesagt hatte, er well sy Seel morn bis zur Chile auf dem Kopf gehen, we‘s eine chönn): ›Peterli, blyb morn nah der Chingelehr da, i will dr neuis säge.‹ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Es war um Fastnachtzeit; ich hatte mehrere Kinder gesehen, die etwas in den Nastüchern Eingebundenes in des Schulmeisters Stube trugen; ich hoffte daher auf einen tüchtigen Küchlischmaus zum Lohn meiner Stellvertreterei und freute mich gar sehr. Aber als ich in seine Stube kam, sah ich keine Küchli auf dem Tisch, sondern eine Tafel und der Schulmeister sprach also zu mir: ›Peterli, du bisch e bsungerbar e guete Bueb u hesch e Gring wie-n-e Heuschür; i wett, du wärisch myne, du müeßtisch e Schulmeister gäh. Aber notti will dr nenis zeige, i ha‘s no kem zeigt, die Großgringe bruche nit alles z‘wüsse, si meine sust scho, di Welt syg alli ihn; es isch geng guet, we si dr Schulmeister o noh nötig hey.‹
Nun fing er an, mir zu erläutern, daß er noch keinem gezeigt, wie man die Zahlen setzen müsse, und noch keinem sei es in Sinn gekommen darnach zu fragen. Sie betrachteten das als etwas, das sich gar nicht lernen lasse. Darum kämen sie auch in keinen Rechnungen fort und müßten immer zu ihm kommen damit, indem sie immer das hinterst zu vorderst setzten. Mir nun, sagte der Alte, wolle er es zeigen. Es gebe doch vielleicht eine Zeit, wo ich es brauchen könne. ›Nun paß auf, Peterli,‹ sagte er. ›Wenn du Zahlen setzen willst, so mußt du immer z‘vorderischt anfangen, gerad so wie man schreibt und wie man redet. Man sagt hundert und fünfzig, darum setze zuerst 1, das bedeutet hundert, und dann 50 nach, das bedeutet dann hundert und fünfzig. So sagt man auch tausend zehn hunderttausend zuerst und dann erst was nachkömmt. Aber paß geng gut auf und vergiß keine zu schreiben, die man sagt. Es ist besser du setzest eine zu viel als eine zu wenig. Und wenn dir jemand Zahlen aufmacht, daß du sie aussprechen sollst, so vergiß nicht, daß wenn 3 Zahlen sind, so bedeutet es, daß sie hundert machen, 4 machen tausend, 5 zehn- 6 hunderttausend. Mehr zu wissen, braucht kein Christ. Man sagt, es gab noch Millionen, aber vo dene ha-n-i no keni g‘seh. Und noch eins, Peterli, vergiß nicht. Wenn dir einer mit hunderttausend anfangt, so mußt allweg 6 Zahlen schreiben, wenn er auch nicht 6 ausspricht. Du mußt dann Nullen zwischen ein thun, bis 6 hast, eine, zwei oder drei, je nachdem es sie mangelt; und du wirst bald merke, wo-n-es st am beste schickt.‹
Das war das große Geheimnis, an dem ich gar unbändig große Freude hatte und Zahlen schrieb und aussprach,