Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias  Gotthelf


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daß ich den für mich unerhörten Reichtum von 12-1/2Batzen zusammengeraxet hatte. Diese zählte ich doch manchmal während der langen Woche so heimlich als möglich, denn um meinen Schatz durfte im Hause niemand wissen. Am Sonntag aber, nachdem ich das Haar tüchtig genetzt, eine halbe Stunde lang schön glatt über die Augen hinunter gestrählt hatte, that ich das Geld in den rechten Hosensack und, kaum vom Hause weg, klimperte ich mit der Hand den ganzen Tag darin, bis keins mehr war darin. Andere klimperten freilich mit Brabänteren.

      Wir zogen hin, den Statthalter voran, der gewiß nicht recht z‘Morgen gegessen hatte, damit ihm am Mittag der Appetit ja nicht fehle. Der Pfarrer hielt eine lange Predigt, auf die ich aber nicht viel hörte; denn ich hatte meine rechte Hand im rechten Hosensack und mit der linken strich ich meine Haare glatt. Darauf trat der Landvogt vor, ein schöner, großer Herr trotz dem töllsten Küher; der hatte einen langen Säbel an der Seite und einen Dreispitz in der Hand, und der that eine kurze Rede dar; er sagte nämlich: »Heit dr ghört, was dr Herr Pfarrer so schön Euch gseit het? Ich loset, was dr Amtschreiber Euch wird ablesen u de heit drei Finger vo dr rechte Hand uf u säget mr de nache, was i-n-ech vorsäge. Herr Amtschreiber, leset ab!« Derselbe war ein spitzes, mageres Männchen, das der Landvogt fast in die Kuttentäsche hätte stoßen können, wenn die Nase nicht gewesen wäre, denn die war gar lang und spitz und recht gemacht, für sie in alles zu stecken.

      Mit krähender Stimme las derselbe etwas ab von Obrigkeit und Gehorsam, von Treue und Wahrheit, und darauf sprach wieder der Landvogt etwas vor, das man mit erhobenen Fingern nachsprechen mußte; aber wir hinten Sitzenden verstanden blutwenig davon, machten und brummten den vordern nach und konnten nicht warten, bis wir aus der Kirche waren. Der Boden brannte uns ordentlich unter den Füßen und das Geld war wie lebendig in den Säcken. Endlich gingen die Thüren auf, wir wurden losgelassen; doch erhielten wir auf dem Kirchhof vom Statthalter noch die Mahnung, alsobald nach Hause zu gehen und nicht wüst zu thun. Er hatte sie sparen können; er wußte wohl, daß wir nicht darum thaten; aber das dachte er nicht, daß wir zu einander sagten: »Da het guet chräye, da geit jetz ga fresse u ga sufe u mr seu nüt ha. Dä cha-n-is i dSchueh blase u mir gö, wo mir wey«.

      Und wir gingen und tranken und poleteten unserer Väter würdig. Jeder von uns dünkte sich ein Held, auf den Straßen wurde niemand respektiert und schon auf dem Wege, ehe man noch ins Wirtshaus gelangt war, gab es einige Raufeten, Vorspiele des kommenden. Der Wein zündete erst recht an und was ging, will ich nicht weiter beschreiben. Nur will ich kurz sagen, daß ich um all mein Geld kam, ein schönes Halstuch mir zerrissen wurde, daß ich Schläge erhielt recht tüchtige, zuerst von andern Buben, dann von Erwachsenen, die sich in den Streit mischten; daß ich betrunken heim taumelte mit einer Pfeife im Munde und mit andern einen Kiltgang abgeredet hatte; daß ich aber an einem Zaune liegen bleiben und dem Ulli rufen mußte und sterben zu müssen glaubte. Da wurde ich nüchtern, der Geist des Großmachens lag am Hag im D..ck, und marode, matt, krank, elend schlich ich nach Hause und war seelenfroh, daß der Vater mich nicht noch in die Finger nahm und ich ruhig ins Bett konnte, den stürmen Kopf zur Ruhe zu legen. Das war ein sogenannter Huldigungstag!

      Siebentes Kapitel. Wie das Vaterhaus mir zum Diensthause gemacht wird

      Schon früher hatte ich also das Weben lernen müssen. Seit aber die verfluchte Unterweisung, wie der Vater gesagt hatte, zu Ende war, wurde ich nun förmlich eingespannt und an dem Webstuhl angekettet. Vom Morgen früh bis abends spät sollte ich daran sein und doch wieder der Mutter auf dem Heimet helfen. War ich nun durch schlechtes Garn oder durch von der Mutter erzwungene Arbeit auf dem Lande abgehalten worden, das Stück in der Zeit fertig zu haben, in welcher dessen Vollendung der Vater sich in den Kopf gesetzt, so schnauzte er mich ab ärger als einen Hund; das schlechte Garn, die andere Arbeit brachte er nicht in Anschlag. Einigemal wob ich ganze Sonntagsmorgen, um solche Versäumnisse einzubringen. Flugs machte er das zu einem Recht und verkürzte mir die Zeit, in welcher ein Wubb fertig sein sollte. Was aber hatte ich von dieser angestrengten Arbeit? Nichts! Kleider hatte ich nur die notdürftigsten und auch die nur mit Mühe und Not und manchem bitteren Wort. Bat ich z. B., wenn der Schuhmacher auf der Stör war, um ein Paar Schuhe, so hieß es, für den Webkeller seien meine noch lang gut genug, und wenn ich schon keine hätte für da ume z‘gheie, so sei es nur um so besser. Erst wenn alle hatten und noch ein Rest des schlechtesten Leders blieb, ward es mir zu teil. Wenn dann meine Schuhe, wie natürlich, zuerst gebrochen waren, so war ich der unerchantest Hung, der nichts könne als düre mache.

      Erhielt ich kaum Kleider, so bekam ich noch viel weniger Geld; 12 ½ Batzen brachte ich nicht mehr zusammen, kaum 6 Kreuzer. Es ist nicht gut, wenn junge Leute zu viel Geld in Händen haben. Sie verschwenden dasselbe nicht nur leicht sondern gewöhnen sich an Verschwendung und glauben gar zu gerne, die Quelle, welche ihnen jetzt ihre Taschen füllt, vertrockne nie und gebe immer das Hinreichende. So sieht man Baurensöhne, Handwerksbursche, Knechte in die Wette Geld verthun in ihrer ledigen Zeit, auf die liederlichste Weise es verbrauchen, mancher auf eine Weise, bei der er nicht einmal Freude hat, sondern nur den Genuß, daß man von ihm redet als von einem Generalslümmel. Diesen allen kömmt die Zeit, wo das Geld rarer wird bei ihnen, wo sie sich für jeden unnützen Kreuzer, den sie verthan, die Haare ausraufen möchten, und ganze Nächte schlaflos zubringen mit dem trostlosen Rechnen, was sie jetzt mit dem vergeudeten Gelde anfangen könnten. Es kommt die Zeit, wo sie für sich selbst sein möchten oder eine Haushaltung anfangen müssen; dann fehlt das Geld hinten und vornen und Tausende verlieren den Mut, gehen zu Grunde, fallen den Gemeinden zur Last, die Männer gegeben hätten, wenn sie fünfzig Kronen zum Anfang gehabt hätten.

      Aber wenn ein junger Mensch gar kein Geld in Händen hat, so ist es ebenfalls schlimm. Auf jeden Fall lernt er nicht mit demselben umgehen. Wenn er später welches in die Hände kriegt, so kommt er gar zu gerne um dasselbe. Mancher wird zu allerlei Bösem verführt, um zu solchem zu kommen. Selbst Baurensöhne werden Diebe, durch die Kargheit ihrer Väter dazu getrieben. Man stelle sich doch nur einen jungen Menschen vor, der kein Geld hat, wie er ausgeschlossen wird von der Gesellschaft. Nun es gibt welche (und ich tadle die gar nicht), die keine Kameradschaft begehren, die Jahr aus Jahr ein zu Hause bleiben; aber die haben gewöhnlich ein Interesse dabei; sie wollen kein Geld verthun, wollen sich etwas ersparen und an den ersparten 10 Kreuzer laben sie sich die ganze Woche durch, weil sie näher zu ihrem Ziele, der erwünschten Summe gekommen. Allein wenn man gar kein Interesse hat, sich nichts ersparen kann bei aller Arbeit, weil man gar nichts erhält und doch sich ausschließen soll von allem — das macht elend. Und ausschließen muß man sich ohne Geld. Ging ich zu Kameraden, so wollten die etwas gwerben; beim Kugelwerfen hatten die Verlierenden Wein zu bezahlen; wanderte man an einen Ort hin, so mußte man einkehren; — und zu dem allem hatte ich kein Geld.

      Und doch verdiente ich außer dem Kostgelde bald in der Woche wenigstens 80 bis 40 Batzen, fast so viel als der Vater. Gleichwohl hatten wir es in der Haushaltung nicht besser, obschon der Verdienst sich vermehrt hatte. Es war immer das gleiche Klagen, Schinden und Brummen, und Erdäpfel z‘Morge, z‘Mittag und z‘Nacht, dünner Kaffee, meist Schiggore. Der Vater ließ es sich behaglicher sein, arbeitete weniger früh und weniger spät, ließ sich leichter versäumen. Wenn er auf Burgdorf oder Langenthal ging und die Hälfte mehr Geld einstrich, trank er einen Schoppen mehr und aß eine Bratwurst mehr, kramte seinem Kronprinzen zwei Lebkuchen statt einen und kehrte auf dem Heimwege wohl noch ein oder zwei Mal ein. Die Mutter wurde auch begehrlicher, branzte mehr Geld zu Kleidern ab, kaufte breitere Sammetschnüre für ihre Meitscheni, unghürigere Spitzli, und wenn sie zu Ader ließ, trank sie eine Halbe statt einen Schoppen. So lebten alle aus meinem Verdienst besser, nur ich nicht, und erhielt dafür nicht einmal gute Worte.

      O wie das mir Stiche gab ins Herz durch und durch, so ein Sklave zu sein ohne Lohn und ohne Liebe! Und wenn ich an einem schönen Sonntag vom Waldrain weg Mädchen und Bursche fröhlich ziehen sah dem Dorfe zu kummerlos, und wenn der Jubel von dort her zu mir scholl und Paar um Paar Arm in Arm zurück kamen, und ich da oben alleine war verlassen und freudelos — o wie oft drückte ich da die brennenden Augen ins grüne feuchte Gras!

      Wer will wohl den Stein auf mich werfen, wenn in dem weinenden Herzen böse Gedanken entstunden und dort die sich sammelnden Thränen in Tropfen bitterer Galle verwandelten; wenn die Selbstsucht der andern auch die meinige erzeugte; wenn ich das vergaß, was die Eltern an mir gethan und nur das ihnen nachrechnete,


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