Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias  Gotthelf


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sein Kind schulen, geistig wecken zu lassen, so antwortet er wohl: er vermöge nicht sein Kind alle Tage in die Schule zu schicken, es müßte ihm arbeiten; er könne keinen Reichtum hinterlassen, es müßte einst seinen Unterhalt verdienen. Und da frage der Bauer nicht: Chast bete; sondern: Chast arbeite? Gerade also wie man bei einer Kuh fragt: ob sie ziehen könne und auf welcher Seite? Die künftige Befähigung zur Arbeit ist aber gar nicht der Zweck dieser Eltern, sondern nur die gegenwärtige Benutzung ist ihr Augenmerk. Sie thun also eigentlich gar nichts für das Kind, sondern sie sorgen nur für sich. Und gar mancher Vater oder Mutter verthun in wüstem Leben, was die Kinder mit sauerm Schweiß erworben, und lassen es sich recht wohl sein auf Kosten der Kinder. Und auf gemachte Vorwürfe antworten sie wohl: es müeß es nieders zu-n-im selber luege; sie heige Chingsthalb lang bös gha, sie welle-ne jetz o la bas sy. Die andern, welche ihre Kinder nicht einmal zur Arbeit halten, schicken sie doch gewöhnlich dem Bettel nach. Ob das Kind stehle oder nicht, das bekümmert sie gar nicht, wenn es ihnen nur etwas heimbringt. Das Beste davon lesen sie dann aus für sich, mit dem Übrigen kann das Kind sich begnügen.

      So wird das Kind von Jugend auf am Busen der Selbstsucht auferzogen, das Tier wird genährt in ihm, um den Engel bekümmert man sich nicht. Es fehlt also die rechte kindliche Liebe und auch die Dankbarkeit stellt sich nicht ein. Denn die kommt da niemals, wo man einem alle Tage Wohlthaten vorhält. Sie ist eine gar wunderliche Pflanze; sobald man ihren Wachstum erzwingen will, verdorret sie. Auf die natürlichste Weise von der Welt wächst im Kinde ebenfalls die Selbstsucht. So wie es größer wird, fängt es an zu denken: es müsse auch zu sich selbsten sehen, bei den Eltern komme es nicht zu Gelde, so manches erregte Gelüsten zu befriedigen, nicht einmal zu ordentlichen Kleidern. Es sei nicht billig, daß es alles dargeben solle für die andern, ohne daß ihm ›Danke Gott‹ dafür gesagt werde. Diese Gedanken regen sich weit früher als man glaubt. Schon das Bettlerkind ißt die besten Bissen, verthut die meisten Kreuzer, ehe es heim kömmt, gibt den Eltern je länger je weniger ab. Diese Gedanken werden aber immer mächtiger, legen sich immer feindseliger zwischen Eltern und Kinder, bis die erstern von den letztem entweder ausgesogen oder verlassen sind. So wie früher die Kinder den Eltern Plage und Last waren, so werden die Eltern den Kinbern Plage und Last, die sie so ungern als möglich tragen, so schnell als möglich von sich ab auf die Gemeinde wälzen, um zu sich selbsten zu sehen.

      Wie Liebe die Liebe zahlt, so zahlt auch Selbstsucht die Selbstsucht mit gleicher Münze. Wirklich ist es oft recht schauerlich, die Hartherzigkeit der Kinder zu sehen, zu sehen, wie sie unbewegt und ungerührt der Eltern Not und Elend zusehen können, ohne sich im Geringsten etwas abzubrechen. Aber eben so schauerlich wäre es gewesen, wenn man früher zugesehen und der Erziehung oder vielmehr Verwahrlosung dieser Kinder mit aufmerksamem Auge gefolgt wäre. Über solche hartherzige gefühllose Kinder erhebt nun die Welt ein Geschrei, die Eltern schimpfen, die Gemeinde oder wenigstens die, welche teilen müssen, begehren auf, und alle klagen über die gottlose Zeit, und daß es allbets nicht so gewesen, daß Welt und Leute immer schlechter würden. Aber eines bedenken alle diese Schreier nicht: daß jede Wirkung eine Ursache, jeder Baum seine Wurzeln, jede Erscheinung ihre vorbereitenden Vorgänge habe. So ist diese Zeit, in welcher wir leben, von einer früheren geboren, und die in ihr hervortretenden Erscheinungen sind Kinder der Vergangenheit. Aber auch diese Zeit zeuget fort und fort an dem Kommenden und die Zukunft wird Zeugnis ablegen: ob das, was unsere Zeit geboren und der Zukunft überliefert, nicht edlerer Art sei, als was die letzte Vergangenheit uns als Erbteil Übermacht hat und was jetzt in der Masse hervortritt.

      Die frühere Zeit, für uns Schweizer die Helvetik, ist die Mutter der Irreligiosität, der Lauheit in allen höhern Interessen, der eigennützigen sinnlichen Gemeinheit, welche heute so häufig im Familienleben und in den Ratssälen hervortrittet; die Helvetik ist die natürliche Tochter der verwesenden Aristokratie, von dieser aber natürlicherweise nicht anerkannt, nicht legitim erklärt. Schon sieht man viele in stummem Zorne bleich oder in edler Scham rot gewordene Gesichter vor der zu Tage getretenen Gemeinheit sich abwenden, und diese blaßroten Gesichter sind die Morgenröte neuer Tage, die Erzeuger reinerer Erscheinungen.

      Aus dieser etwas weitläufig geratenen Durchführung wird hoffentlich männiglich klar geworden sein, daß an dem ganz natürlichen aber nicht christlichen Betragen vieler Kinder die Eltern eine große Schuld tragen. Für arme Eltern ist es allerdings viel schwerer als für reiche, von dieser Selbstsucht sich fern zu halten, die durch die Kinder verursachten Opfer freudig zu bringen, die Entbehrungen geduldig zu tragen, den Kindern nichts anders zu zeigen als treue Liebe, und aus dem ganzen Betragen hervorleuchten zu lassen den innigsten Wunsch: zu sorgen für ihr künftiges zeitliches und ewiges Wohl. Aber das Leben hienieden ist ein Kampf und es wird niemand gekrönet, er kämpfe denn recht. Und wie dem Reichen Kämpfe anderer Art bereitet sind, so findet sie der Arme außer sich, besonders in seinen nächsten Umgebungen, im heiligen Familienkreise und in sich mit der einfachen und also kenntlicher hervortretenden Selbstsucht. Das ist sein Saatfeld, und was einer säet, wird er auch ernten; wer ernten will, ehe er treulich ausgesäet, ist eben ein Thor, und wird zur Erntezeit heulend und zähneklappend am verödeten Acker stehen. Nichts anders also als innigere Religiosität, eine klarere lebendigere Auffassung der Bestimmung des Menschen und ihrer Verhältnisse unter einander wird auch diese Quelle der sich vermehrenden Armenlasten versiegen lassen. Denn das Christentum ist auf der einen Seite die einzig wahre Lehrerin der Ausbildung der menschlichen Kräfte, und dasselbe allein vermag sie hinwiederum in Liebe zu verbinden zu mächtiger Anstrengung und gegenseitiger Hülfsleistung. Man mag daher in Wirtshäusern und Ratssälen lange kannengießern über Armenwesen und Armengesetze, man drescht nur leeres Stroh so lange, bis die Schoppentrinker und Ratsherren zur Einsicht kommen, daß ächt christlicher Sinn im Hause, in der Gemeinde, im Staate das erste Heilmittel alles überall hervortretenden Übels ist; und bis sie mit ihrem Beispiele vorangehen, sind alle ihre Reden umgekehrte Windbüchsen, d. h. sie knallen tüchtig, treffen aber nichts.

      Bin ich nun wohl nicht entschuldigt, wenn die kindliche Liebe erlosch, wenn ich die Pflicht vergaß, Stütze der Eltern zu sein, und nur an mich selbst zu denken anfing, weil niemand anders an mich dachte. Das an mich denken bestund aber nicht sowohl darin, daß ich mir Pläne machte, etwas für mich selbst zu beginnen; dazu fehlte mir die Spannkraft der Seele, die Energie, die ich früher, als ich mit dem Götti drohte, in höherem Grade besessen. Und wenn ich schon wünschte, aus diesem Elend wegzukommen, so wußte ich weder wie, noch was beginnen. Die Weberei war mir grenzenlos erleidet, wie jede Arbeit erleiden muß, bei der man nur ausgescholten wird und nichts davon hat.

      Nun konnte ich aber wenig anders als weben, und zum Herdknecht fehlte mir Geschick und besondere Lust. Es gibt Stimmungen im Menschenleben, wo man zu gar nichts mehr Lust hat, und das sind wohl die trübseligsten. Des Morgens erwachte ich mit Eckel an der Arbeit, zu der ich mußte; bei jeder Elle, die ich wob, dachte ich an den Lohn dafür, was der Vater damit anfangen, wie die Mutter ihn brauchen werde, und was ich wohl daraus kaufen, genießen könnte. Aber am traurigsten war ich, wie gesagt, des Sonntags, wenn ich so einsam blieb mit dem verlangenden Herzen, mit meinen trüben Gedanken alleine. O das ist wohl das Traurigste, wenn es trübe wird außer uns und in uns, wenn Mißgeschick, Unglück, eine harte Lage auf uns drücken und diese das Gemüt verfinstern, den lieben Sonnenschein des Frohsinns uns nehmen, wenn das Herz der Spiegel wird des äußern Schicksals. Da ist dann Trübseligkeit ringsum, kein Trost, keine Hoffnung mehr. Es giebt Menschen, die in der glückseligsten Lage finster werden in sich, es ist eine Krankheit des Gemütes, zuweilen gerade Folgen allzu großer Sättigung, allzu reichlichen Genusses ihrer Glücksgüter. Sie sind zu bedauern, daß ihnen die Kraft der Seele fehlt, die Finsternis zu verjagen; aber ihr Unglück ist doch nicht so groß als jenes, wo mit der innern Not noch die äußere sich gattet. Aber wie glücklich der Mensch wohl wäre, wenn er sein Inwendiges unabhängig bewahren könnte von dem wechselnden Geschick, wenn er in jeder Lage froh und freudig bleiben könnte im Bewußtsein, daß jede aus des lieben Gottes lieber Hand kömmt!

      Wäre dieses nicht die wahre Unabhängigkeit, köstlicher als Silber und Gold? Würden an ihr nicht die Worte Unglück und Mißgeschick ihre Bedeutung verlieren? Wäre das wohl nicht der glücklichste Mensch, der sie besitzt? Ist sie aber möglich? Dem Christen ist sie verheißen; es ist der Friede Gottes, der über allen Verstand geht. Aber ich armes Weberknechtlein besaß sie nicht, ich kannte sie nicht, und doch konnte ich alle Fragen und das halbe Testament auswendig. Jetzt


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