Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias  Gotthelf


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nicht zu Hause und kam erst, als wir am Essen waren. Nachdem ich meinen Löffel am Tischtuch und den Mund am Ärmel abgewischt hatte, ging ich hinauf in die Kammer, holte den Bündel herunter, stellte ihn glücklicherweise vor die Thüre und ging hinein, Abschied zu nehmen. Man hatte mich in den letzten Tagen so oft gehen heißen und sich über mein Fortgehen so lustig gemacht, daß ich wohl Erneuerung des Spottes erwartete, aber nichts anders. Den wollte ich ertragen, und fest hatte ich mir vorgenommen, ihnen nicht zu sagen, wo ich hingehe, und daß ich schon einen Platz hätte. Sie sollten mich alle Tage umsonst zurück erwarten, sollten von Tag zu Tag meinen Verdienst mehr missen, von Tag zu Tag gwundriger werden nach meinem Aufenthalt, und wenn er ihnen endlich bekannt würde, merken, daß ich es machen könne ohne sie. So hatte ich es mir ausgedacht, das sollte meine Rache sein.

      Ich ging also hinein und sagte: »I will jetz gah, bhüet ech Gott u zürnet nüt.«

      Da drehten sich alle Gesichter nach mir um; in ihren Augen fing es an zu sprühen wie in Katzenaugen, und als ich der Mutter, die zu unterst am Tisch saß, die Hand geben wollte, schlug sie mir sie weg und sagte, ich könne gheye, wo ich wolle; aber ds Herrgetts solle ich nicht sein, etwas von meinem Zeug mitzunehmen, das sei ihres. Ich sagte nichts darauf und dachte: »Guet, daß dr Büntel vor dr Thür isch.« Niemand wollte mir die Hand geben, und als ich zum Vater oben am Tisch kam, donnerte mich der ganz unerwartet an: das wär ihm afe lustig, we dChing, dene me ds Fresse gä heig u se bchleidet, wo sie nüt heige chönne vrdiene-n-u bös gha drby, ds Mul wüsche wetti u gah, we si afe ueuis mache chönnti! »Pack di i Cheller u mach es neus Wubb uf oder i nime di bim Gring!« Verdutzt stund ich da, wußte nicht recht, wie das gemeint sei und sagte endlich, es sei mir ernst, ich wolle fort, ich könne ihnen doch nichts recht machen. Da ging grob und klein Geschütz los. Der Vater sprang auf und rief, er wolle mich lehren, für mich zu lugen! Die Mutter schrie: »Gib ihm ume, gib ihm, bis er gnue het, dem Sch...bueb!« Aber ich wartete den Vater nicht ab, sondern stürzte zur Thüre hinaus, überrannte den kleinen Bruder, der mir sie zuhalten wollte, ergriff meinen Bündel und machte, daß ich den Vorsprung bekam. Der Vater lief mir nach bis in den Baumgarten, mir die gräßlichsten Flüche nachschickend, mir keine gesunde Stunde anwünschend und sich hoch und teuer verfluchend, er erwürge mich, sobald er mich in die Hände kriege; er wolle zum Landvogt und sehen, ob Kinder so fortlaufen könnten; das sei der Dank, den man von ihnen habe und es wäre einem nützer, sie verreckten alle, ehe man ihnen einmal das F... gewischt. So tobte der Vater und aus allen Läusterlene der Fenster guckten Köpfe und gaben als Echo die Laute des Vaters wieder, und wenn dem der Atem ausging, so war, was die Mutter zusetzte, noch gräßlicher, als was der Vater sagte.

      Das war der Segen, den ich von Vater und Mutter erhielt, als ich ihr Haus verließ. Er brannte mich heiß auf dem Herzen, dieser Segen; er lähmte meine Füße mir, dieser Segen; sie erstarrten, wollten mich kaum weiter tragen. Ein einzig freundlich Wort und ich wäre stille gestanden, wäre umgekehrt, hätte an den Webstuhl ruhig mich hingesetzt und säße ruhig wahrscheinlich heute noch dort. Aber es wollte nicht kommen, dieses freundliche Wort, und die immer noch schallenden Flüche schreckten die Füße weiter und weiter, während sie das Blut im Herzen stocken ließen. Es schauderte mich durch und durch, und Adam und Eva kamen mir in Sinn, als sie liefen vor des Engels flammendem Schwerte, und fast wie Kain kam ich mir vor, den das Wort Mörder, das Gottes Hauch ohne Unterlaß durch seine Seele dringen ließ, unstät über die Erde trieb. Aber endlich erstarben die Flüche, ehe sie mein Ohr erreichten; spurlos verrannen sie in die Luft, das Blut löste sich wieder im Herzen, der blinde Schrecken wich, dem Geiste kam die Besinnung wieder. Ich fühlte tief die Schrecknis, mit solchen elterlichen Verwünschungen belastet in die Welt zu gehen. Aber gegen das Gefühl erhob sich der Verstand und wollte mir begreiflich machen, daß ich recht gehabt. Er rechnete mir vor, daß ich den Eltern wohl so viel verdient, als ich sie gekostet, daß sie mich schnöde behandelt und eigennützig, daß ich auf diese Weise zu Grunde gegangen wäre und diese Behandlung mich aller Dankbarkeit enthoben hätte. Er zeigte mir, daß ich die Eltern früher geliebt und durch sie selbst um diese Liebe gebracht worden sei. Er zeigte mir, daß, je dankbarer, je unterwürfiger ich mich gezeigt hätte, desto mehr ich mißbraucht worden wäre. Es zeigte mir dieses alles der Verstand; er bewies mir, daß er und ich recht, die Eltern unrecht hätten. Aber ein gewisses Brennen im Herzen konnte er nicht löschen, ein tiefes Bangen nicht aus der Seele tilgen, ein Bangen vor den Wirkungen dieses gräulichen Segens, vor den Wirkungen dieses schauerlichen Begleiters, den Eltern an die Fersen des Kindes geheftet. In Mark und Bein blieb mir dieses Bangen, und als ich bei meinem neuen Meister über die Schwelle strauchelte und wo ich sonst noch strauchelte im Leben und wo sonst das Leben hart mich anstieß, da hörte ich der Eltern Flüche wieder und ihnen schrieb ich zu das Straucheln und die Stöße, und bangte vor noch tieferem Fallen, zermalmenderen Stößen, und nur eines, das man später lesen wird, aber nicht der Verstand, konnte mir reinigen von diesem Eiter das Herz.

      Ist es aber doch nicht traurig, wenn man mit solch eiterndem Herzen die Eltern verlassen oder mit zerdrücktem Herzen bei ihnen untergehen muß?

      Eilftes Kapitel. Wie es mir als Schulmeister-Adjutanten erging

      Wie gesagt, ich stolperte über die Schwelle und blötschte an die Thüre. Deswegen empfing mich der Schulmeister nicht sehr freundlich. Ein ander Mal solle ich etwas süferliger thun, sagte er, sonst schieße ich ihm die Thüre ein. Während man mir eine Kachle mit Suppe auszuessen gab, betrachtete die Schulmeisterin mein Bündelchen und fragte, ob das meine Kleidleni alle seien? Da wurde ich rot bis über die Ohren und schämte mich und stotterte etwas. Mein Lebtag konnte ich nie lügen, daß es eine Gattig hatte. Sie merkte die Wahrheit und fragte wieder, es werde doch alles gewaschen sein? Wieder Röte und Stottern. Da zog sie ein gar saures Gesicht und sagte, fremden Dreck mangelten sie nicht, sie hätten deren selber genug, und mir alle Wochen zu waschen, dazu habe sie auch nicht Lust; ich könne sehen, wie ich es mache.

      Ja, das war eine Frau wie eine Rüebräffle, oder wie ein Kässchaber; es lag aber auch eine bedeutende Bürde auf ihr. Der Mann war kränklich und bildete sich aber noch mehr Übel ein, als er hatte, und machte die, welche er hatte, größer als sie waren, verdökterlete bei allen Zungen- und Wasser-Gschauern, was er auf- und anbringen mochte, und selten verging ein Tag, wo er nicht im Ofenguggeli einen Hafen mit Trank zu stehen hatte. Die Frau mußte dafür sorgen, wenn man etwas anders als Trank im Hause haben wollte. Sie schien durchaus unbarmherzig. Der Mann mochte husten und berzen, so nötlich er wollte, sie zeigte ihm kein Mitleiden; wenn es gut ging, so sagte sie, es düech se, er sött afe möge höre. War sie aber üblerer Laune, so sagte sie ihm kurz und bündig, we-n-er neuis möchti thue u-n-er nit e so-n-e Fule wär, so hätt er o nit sövli z‘gruchse.

      Damals schien mir das gar hart zu sein; es war noch härter, als mein Vater gegen die Mutter war. Spätere Erfahrungen aber haben mich belehrt, daß Not resolutere Weiber so bilden muß, und daß ein Mann, der nur immer an sich denkt und jedem Winde ablost, eine Frau fast die Wände auftreiben, ihr endlich jedes Mitleiden nehmen und den Glauben beibringen muß, seine vorgegebenen Übel seien entweder gar keine, oder zehnmal kleiner, als er sie mache. Wo Geld genug ist, wird nur die Geduld auf die Probe gesetzt; wo das aber mangelt und der ganzen Haushaltung der Untergang droht, da wird wohl, während das eine Trank trinkt, dem andern das ganze Gemüt versäuret.

      So war mein Empfang kein freundlicher, und unfreundlich blieb der ganze Abend. Abgebrochenes fragte man mich, und in der Betonung jeglichen Wortes lag der Vorwurf, ich sei ein unwillkommener, aufgedrungener Gast. Endlich wurde ich in die Kammer zum Schlafen gewiesen, die ich mit der fünfzehnjährigen Tochter teilen mußte; ein Mädchen, dessen Zunge spitzig, dessen Augen lüstern waren. Ach, zum ersten Mal in meinem Leben schlief ich unter fremdem Dach, neben fremden Menschen, Da zog sich mir die Brust gar enge zusammen und gerne wäre ich wieder daheim gewesen. Ach, es ist doch noch viel leichter, bei unfreundlichen Eltern zu wohnen in der heimischen Umgebung, als bei unfreundlichen, unbekannten Menschen in einem fremden Hause, in unbekanntem Dorfe!

      Am andern Morgen war noch keine Schule. Die Schulmeisterin hatte erklärt, ehe sie die Schule anfangen lasse, müssen erst die Rüben heimgemacht und ihre wenigen Garben gedroschen sein; sie wolle nicht alles alleine machen, sie fresse auch nicht alles alleine, und wer ihr bei dem einen helfe, müsse es auch beim andern. Dann mußte noch die Schulstube ausgeräumt werden. Das war ein schweres


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