Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias  Gotthelf


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der Brechete her Flachs und Ryste. Die Stube war nicht viel größer als eine gewöhnliche Baurenstube und nicht höher. Beim Unterzug mußte ich mich immer bücken, und über zweihundert Kinder sollte sie fassen. In der Stube waren vier Tische. Der größte ging quer durch die Stube, zwei andere den Wänden nach, der vierte stund beim Ofen. Drei Tische waren breit näher bei drei als bei zwei Schuhen, der vierte ein Tischlein, wo an jeder Seite ein Kind sitzen konnte.

      Die Fenster waren rund, glitzerten in allen Farben, waren seit Jahren nicht gewaschen; ich glaube nicht, daß man eines herausnehmen konnte. Fenster und Vorfenster blieben Sommer und Winter stehen, unveränderlich, schmutzig und dunkel. Das ganze Haus entsprach den Fenstern, war klein und schmutzig, ein Bild unaufgehaltener, aber unmerklich fortschreitender Vergänglichkeit. Nur daran merkte man sie, daß Jahr für Jahr die Dachbänder sichtbarer wurden und ein Fetzen Stroh mehr aus dem Rande des Daches heraushing. Und wie ein unantastbares Heiligtum hielten die Bauren dieses Haus. Da war keiner, der Hand angelegt hätte oder gesorget, daß einige Schauben das Dach erneuerten, die Schulmeisterin mochte aufbegehren wie sie wollte. Ja, als ihr einmal eine Geiß erfror in dem durchsichtigen Ställchen und sie die ganze Gemeinde verantwortlich machen wollte für diesen Schaden, gab man ihr kaltblütig die Antwort, sie solle nur machen, was sie könne. Aber sie selbst sei schuld daran; warum sie es zwängen wolle, im Winter Geißen zu halten! der frühere Schulmeister hätte im Winter auch keine gehabt. Darum blieb auch der Ofen stehen, halb so groß wie die Stube, aus Steinen aufgeführt, die fast zehn Zoll dick, aber gespalten waren über und über, so daß manchmal das Feuer gwunderig in die Stube hineinguckte und allemal der Rauch lästig wirbelnd durch die Risse drang, so daß man füglich Hamme und Magenwürste hätte räuchern können in derselben. Darum hatte der Stubenboden auch Löcher, daß es eine große Kunst brauchte, die Tische zu stellen, und mancher Holzschuh blieb stecken, daß der Schulmeister das Kind lösen mußte aus dieser Falle. Darum ging es auch lange, bis die Schulstube ausgeputzt und die Äpfel und Erdäpfel aus allen diesen Löchern zur Zufriedenheit der Schulmeisterin heraus gelesen waren.

      Endlich war die Stube rein und es schneite der Himmel ein gar herrliches Schulwetter. Da sandte man mich durch das Dorf, um anzusagen, daß morgen Schule sei, und zugleich dem Seckelmeister anzuhalten, daß er doch Wedelen zur Heizung des Schulofens herbeischaffen lasse, indem gar keine mehr da seien. Es weiß nämlich jeder Bauer sehr wohl, daß man mit dürren Wedelen besser heizen kann, minder braucht, die Ofen weniger verderbt als mit grünen; derowegen hat auch jeder halbwitzige Bauer dürre Wedelen beim Hause und das seit Urvaters Zeit. Aber ebensolange ist es Sitte an vielen Orten, daß man dem Schulmeister nicht nur grüne Wedelen liefert zu plötzlichem Gebrauch, sondern daß man sie erst mitten im Winter macht und sie ihm liefert voll Eis und Schnee. Und weil man das lange vor dem Großätti so gehalten, so brächte man sie mit aller Gewalt nicht von diesem Gebrauch ab. Der Schulmeister muß seine Wedelen halb Holz halb Eis haben und wenn er dagegen aufbegehrt, so heißt es; man könne nicht begreifen, was er immer zu räsonieren habe; die andern hätten heizen können; warum er es nicht auch könne und warum er etwas apartiges wolle? O, wie das dann herrlich ist, wenn man um fünf Uhr auf muß und anfeuern bis um sechs, und zwei Wedelen brauchen, um drei andere zu verbrennen, und wie das dann rauchnet so schön dick und schwarz, wie wenn man eine Rütti brennt, und man alsobald einstützen muß für den morndrigen Tag. Und wie dann das Wasser in dem Ofen herumläuft, daß die Wedeln halb schwimmen und im Hausgang herum, daß die Kinder Fußwasser kriegen, und wie es dann so feuchtheiß riecht und dampft in der Stube, daß man zweimal ziehen muß, um einmal Atem zu bekommen!

      Ich mußte meinen Auftrag ausführen, so ungern ich es that, denn ich war sehr schüchtern. Der Seckelmeister sagte mir, er könne mir wahrhaftig nicht so bald Wedelen versprechen; aber wenn er ansgedroschen habe, wolle er seine Knechte in den Wald schicken. Unterdessen könne ich seinen Hag, der nicht weit hinter dem Schulhaus sei, stumpen und Wedelen machen. Zwischen der Schule möge es schon viel ergeben, und wenn ich nicht kommen möge, so könne der Alte hie und da einen halben Tag alleine Schule halten. Er wolle es schon versprechen und die gemachten Wedelen mit der Gemeinde verrechnen. An den andern Orten sah man mich gwundrig an wie ein fremdes Tier. An einem einzigen hieß man mich in die Stube kommen, um Bekanntschaft zu machen mit einem kleinen Knaben, der den Schulmeister gar fürchte und nicht mehr zu ihm wolle. Ich gebürdete mich so freundlich als möglich und gewann glücklich des Kindes Wohlgewogenheit. Zu Hause sollte ich Auskunft geben über jede mir begegnete Miene, und man war gar glücklich, daß ich nur an einem Orte in die Stube gerufen wurde; doch über die, welche es gethan, fiel manche spitzige Rede. Aber über den Seckelmeister ging es tüchtig her, und wie er rechne und verrechne, wurde weitläufig und an Beispielen ausgelegt.

      Der morndrige Tag brachte nicht viel Kinder in die Schule, kaum ein Dutzend kleinere. Mit diesen ließ mich der Schulmeister fechten Vormittag und Nachmittag, und machte den Schulrodel z‘weg. Mir gefiel das Schulhalten besser als das Wedelenmachen und ich hatte gar kurze Zyti dabei. Ein halber Tag ging mir vorbei wie ein Augenblick. Ich lehrte ohne Unterlaß mit den Kindern, und was wir lehrten, war mir wieder neu und heimelete mich doch. Fast bei jedem Wort kam mir eine Geschichte oder ein Spaß in Sinn, der sich in Bezug auf dieses Wort oder als ich es gerade lernte, zugetragen. Das lächerete mich zuweilen, und da fanden die Kinder, daß ich gar ein Lächerliche sei und faßten Zutrauen zu mir. Neues trieben wir natürlich nichts miteinander. Da wurde buchstabiert und gelesen, auswendig gelernt und aufgesagt, und das an einem Tag wie am andern.

      Die Kinder mehrten sich von Tag zu Tag, doch füllten sie die Stube noch lange nicht, und Schulmeisters wunderten sich doch, daß schon so viele kämen; das müsse der Gwunder machen, meinten sie. Ich aber meinte es nicht so. Ich meinte, das geschehe, weil die Kinder mich liebten und gar viel bei mir lernten; denn ich war gar fleißig immer auf den Beinen, und beim Auswendigsagen wartete ich recht geduldig, wenn sie stecken blieben, bis sie das Vergessene von andern gehört oder im Buche nachgesehen hatten.

      Den Stock hatte ich freilich immer in der Hand, aber ich drohte nur damit, führte die Drohung aber nie aus. Es war ein gar gewaltiges Sehnen in mir, geliebt und gerühmt zu werden; war ich doch schon so viel gehaßt und gescholten worden! Und bei den kleinern Kindern — die größern mußten noch dröschen — kam ich mit der Liebe recht ordentlich durch. Freilich lärmte es tüchtig an allen Tischen, außer an dem, an welchem ich eben war; aber dessen war ich gewohnt und meinte, es müsse so sein. Da hörte ich eines Morgens früh, während ich heizte und vor dem erstickenden Qualm in die Küche geflüchtet war, die an des Schulmeisters Stube stieß, die Frau mit dem Manne aufbegehren, daß er gar nicht in die Schule gehe und mich darin schalten und walten lasse. Des Metzgers Frau habe gestern gefragt, was sie doch für ein freines Knechtli hatten; die Kinder kämen gar gerne in die Schule und rühmten ihn gar sehr daheim, und es dünke sie, sie hätten keinen Winter so viel gelernt. Das dürfe er bei diesem und äynem nicht so gehen lassen, sonst beiße ich ihn ganz aus und dann könne er den Stecken am dreckigen Ort nehmen. Nach diesem besondern Eingang folgte dann die allgemeine Predigt über seine Faulheit und daß kein Leydere auf dem ganzen Erdboden sei als er; denn sonst brauchte er keinen Schnuderbueb, den alle Leute rühmten. Er begehrte auch auf und meinte, das werde sich bald zeigen, wer der Leyder sei, er oder ich. Er fürchte keinen im ganzen Kanton. Schon vor zwanzig Jahren hätte ihm einmal der Landvogt gesagt, so einen Bornierten, wie er sei, gebe es in der ganzen Welt nicht. Und das well doch, so Gott well, no öppis säge, was so-n-e Landvogt säg.

      Man glaubt nicht, wie wohl mir dieses Gespräch der beiden Eheleute that. Ich war seit meinem ersten Ausgang noch zu keinem Menschen gekommen; es war das erste Lob, das ich vernahm; darum erquickte es mich so. Ich war überzeugt, daß, wenn der Landvogt mich kennte, er mich für den noch Bornierteren halten würde. Ach, wenn er mich doch kennte! seufzte ich oft. Von diesem Tage her fing ich an zu glauben, ich sei doch etwas, und gewöhnte mir im Gehen das Ranggen und Walzen mit dem Rücken an, das mein Fraueli mir gar gerne abgewöhnen möchte, weil sie sagt, sie hätte schon Kinder gesehen, die mich verspotteten, und ich gefiele ihr noch einmal so wohl, wenn ich schön sittsam grad auf ginge.

      Kybig kam der Schulmeister in die Schule und betete selbst, d. h. er schnauzte den lieben Gott gar gewaltig an. Dann sprach er, er werde selbst bhören müssen, wenn‘s neuis nutz gah söll. Ich stund ganz kaput da und mußte nicht was anfangen, da fuhr er mich an: ob er mir den Lohn gebe und mich futtere, daß ich da stehe und ölgötze? Ob ich


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