Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias  Gotthelf


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Nacht verbrachte, und wie die frühern Träume sich kreuzten und drängten und dann mit mancherlei Vermutungen über den Ort und die Besoldung sich mischten — wer kann sich das wohl recht vorstellen?

      Endlich brach der Morgen an; aber langsam schlich er vorüber, und die Mutter lyrete mit dem Mitagessen, daß es ein Grus war. Ich schlich einige Male aus dem Keller, wenn ich hörte, daß die Mutter in der Stube war, und legte einige Scheiter ins Feuer, damit schneller gekocht sei; allein umsonst, man mußte dem Vater warten, der z‘Chile war. Der Pfarrer hielt die Schulpredigt und die dauerte gewöhnlich länger als andere.

      Mit verwunderten Blicken sah man mich an, als ich mit dem Sonntagsrock am Leibe fortgehen wollte. Ich war sonst so treulich zu Hause, besonders des Sonntags. Die Mutter wollte zu branzen anfangen, allein der Vater sagte: »Lah-n-e doch laufe, vrsufe wird er allweg nit ds Tüfels Bieli«. Der Schulmeister war bereits z‘weg, und unterwegs erzählte er mir: er führe mich zu dem Schulmeister nach Y, der eine gar große Schule habe und nicht mehr der chechst sei. Daher habe die Gemeinde ihm 10 Kronen versprochen, wenn er einen Gehülfen anstelle durch den Winter, und ihm dann zu essen gebe und ds Gliger. Der Schulmeister hätte sich dazu verstanden, weil er müßte, und wolle es heute mit mir machen. Das Ding war mir doch nicht ganz recht so. Ich hatte mich selbständig gedacht, allein in einer Schulstube; der dienstbaren Verhältnisse hatte ich satt. Ich muckelte meine Gedanken meinem Begleiter: ich hätte lieber eine Schule allein für mich. Allein er ließ mir nichts darausgehen, meinte, für den Anfang sei das lange gut genug, ja ein wahres Glück für mich. Die ersten drei Jahre hätte er Schule gehalten um die Kost und ein paar Schuhe, u es syg ihm nie bas gsi als z‘selbisch. Dawider konnte ich nichts sagen, und wenn ich schon etwas gesagt hätte, so hätte es wenig geholfen; denn wenn der Schulmeister einmal etwas angefangen, so setzte er nicht sobald ab, weder ein Glas noch ein Unternehmen.

      Vor dem Schulhause sitzend fanden wir das schulmeisterliche Ehepaar, beide noch in bestem Alter, ihn schwindsüchtig auf der Brust und kybig im Gesichte. Unser Handel wurde nicht alsobald richtig. Er glaubte wahrscheinlich, wir wüßten nichts von den 10 Kronen und bot zuerst nur die Kost, dann Krone um Krone nach, bis er endlich mit allen heraus mußte. Da jammerte er gar sehr, wie übel es ihm gehe, und er hätte lieber einen Kleinern gehabt — so-n-e große, wie ich sei, möge gar viel essen. Dafür begann er einzumärten, daß ich ihm auch zwischen den Schulzeiten im Hause und im Stall helfe, was es ergeben möge. Mein Alter fragte mich nicht lange: ob das mir anständig sei? sondern sagte zu, und bestimmte den Sonntag nach Martini zu meinem Antrittstage. Und nach eingenommenem Kaffee wanderten wir heim — er sehr redselig, ich sehr schweigsam.

      Zehntes Kapitel. Der Abschied

      Mir war bange. Die Leute, zu denen ich kommen sollte, gefielen mir nicht recht, und daß ich nebenbei noch arbeiten sollte, behagte mir auch nicht. Nicht daß ich die Zeit für etwas anderes, etwa für meine Fortbildung, zu gebrauchen gewußt hätte: wie sollte damals einer, der beidweg lesen und schreiben und rechnen konnte (mit Ausnahme einiger großer Buchstaben und einigen Bedenklichen beim Multiplizieren und Dividieren) an Fortbildung gedacht haben! Fortbildung ist ein ganz neu entdecktes Wort, und darum noch nicht von allen begriffen, und von denen vielleicht am wenigsten, die es am meisten gebrauchen. Aber am meisten lag mir auf dem Herzen die Angst: wie wegkommen von meinen Leuten, wie es ihnen sagen, daß ich nicht mehr ihr Narr und Sklave sein wolle? Was wird die Mutter sagen, wie wird der Vater thun, wenn sie es vernehmen? wer soll es ihnen sagen? Während ich so sann und fast reuig ward, redete der Alte immer fort, aber was, weiß ich nicht. Endlich merkte er, daß ich nicht auf ihn achte und ein betrübt verblüfft Gesicht mache. Ich gestund ihm meine Sorge. Er lachte dazu und meinte: »Fressen werden sie dich nicht, u ds Balgen bist du gewohnt, und wenn‘s Prügel gibt, so wird es auch nicht das erste Mal sein — und dann hast du um so mehr Recht fortzugehen. Noch heute mußt du es ihnen sagen. Es macht sich am besten; es würde dir alle Tage schwerer werden. Wenn du heim kommst, werden sie mit dir aufbegehren — da wirf ihnen gleich den Bündel vor die Thüre. Aber Guraschi mußt du haben dazu; darum komm, mr wei no-n-e Halbi ha —« und aus einer wurden zwei. Als ich sie getrunken hatte, zitterte ich nicht mehr; mir bangte nicht mehr, gar aufrecht stund ich da, schief saß mir die Kappe auf einem Ohr, trutziglich schauten die Augen drein, und schalkhaft lachte der Alte und sagte: »So gfallst mr, gang jetz ume«.

      Es ist kurios, wie der Mensch, in dem der Geist nicht eine besondere Macht übt, sich gestaltet und gebärdet bald so bald anders, je nachdem er etwas im Leibe hat oder auf demselben. Das bedenken die Menschen selten, sind deswegen selten behutsam gegen sich und billig gegen andere. Lustig ist‘s, wenn der Weingeist im Leibe spukt und ein ganz anderes Leben glüht auf. Aber eben weil man weder behutsam noch billig, ist, so beginnt er nur zu gerne Streiche, über denen, wenn der Geist ausgefahren ist, der Leib blutet oder die Seele weint. Nun so arg ging es mir diesmal nicht; nur männlicher als sonst trat ich auf und zur Stube herein, wo alle eben noch Äpfel rüsteten. Es war Windstille vor einem Sturm. Niemand dankte auf meinen Gruß; niemand bot mir etwas an oder rührte sich, um mir etwas Essen zu holen. Wahrscheinlich hatte man von mir geredet, war böse geworden über mein ungewohnt spätes Heimkommen, und wahrscheinlich die am meisten, die etwas hatten thun müssen, was sonst mir oblag. Das machte mich böse, war es doch erst 8 Uhr, war es doch das erste Mal, und kamen doch mein Vater, meine Schwestern oft später heim, und niemand hielt es ihnen vor, und fanden Essen. Da mir niemand das Essen anbot, niemand etwas zu mir sagte, protzte ich auf und wollte in meine Kammer gehen. Da platzte meine Mutter los: das wäre lustig, jetz ins Nest zu gehen, nachdem ich den ganzen Nachmittag verhudelt und sie noch alle rüsten müßten, damit ich ds Fresse hätte! Kaum hatte die Mutter ihr Solo fertig, fiel der ganze Chor ein; sogar der kleine Erbprinz schrie einen tüchtigen Diskant in den Baß des Vaters hinein. Nun blieb ich auch nicht stumm und begehrte auf, was ich konnte, und es hallte wieder an den Wänden der Stube das Schelten. In einer Pause kam der in mir wohnende Geist noch gewaltiger über mich und schrie laut aus meinen Entschluß, fort zu gehen und nicht mehr aller Hund sein zu wollen. Die Mutter belferte: ich solle nur gehen, es wäre ihr schon lange recht gewesen. Der Vater meinte: ihm sei es auch recht; nur schade sei es, daß so-n-e Lümmel niemand werde nehmen wollen; ich solle nur gehen und probieren, ich werde bald froh sein wieder zu kommen, aber dann wolle er es mir auch zeigen. Ich aber ward stille, nachdem ich meinen Entschluß einmal heraus hatte. Das Höchste, was meine Kraft vermochte, war gethan, und mit dem Heldenwort war auch der Heldengeist fort, und der da bleibende Überrest war ordentlich erschrocken über die vollbrachte Wagnis. Mich ärgerte nur, daß ihnen mein Weggehen so wenig mache, und daß der Vater so gar wenig Glauben an mich hätte, daß er meine, ich fände nirgends Platz. Am folgenden Morgen war ich gar fleißig am Webstuhle, um das Wubb noch fertig zu machen, welches aufgespannt war, und das nahm männiglich für ein Zeichen der Reue über mein Aufbegehren und behandelte mich gar höhnisch und puckt. Nun fing ich an meine Kleider zu erlesen, fand zerrissene und beschmutzte Wäsche, überhaupt meine ganze Garderobe in elendem Zustande.

      Da ich von Wäsche rede, so könnte eine Herrenfrau vielleicht meinen, ich rede da von 5—6 Dutzend Hemden, dito Strümpfen, dito Nas- und Halstücher. Nein, meine liebe Herrenfrau, ich rede von 5 Hemden, 1 Paar wollenen Strümpfen ohne Ferseren (der Vater kaufte jedem ein Paar Strümpfe am kalten B. Markt, und der war noch nicht vorbei), 1 Halstuch und 2 Nastüchern. Das war alles, was ich hatte, und das meiste war noch sehr schlecht. Die übrige Kleidung paßte dazu. Mich dünkte nun in meiner Einfalt, die Mutter könnte mir gar wohl pläßen und waschen, und der Vater wenigstens Schuhe und wohl auch Strümpfe mir anschaffen. So aufzuziehen ins neue Amt und zu fremden Leuten schämte ich mich.

      Als die erste Woche vorbei war und der Vater an einem Dienstag nach Langenthal wandelte, brachte ich mein Anliegen vor. Potz Gueg, was vernahm ich wieder von allen Seiten und hatte dazu keinen Wein im Leibe! Von allen Seiten hieß man mich nur gehen, aber es sei mir nicht Ernst, ich wolle nur drohen und neue Schuhe und neue Strümpfe erhalten, um chönne uf dr Gasse ume z‘gheye. Kleinmütig nahm ich alles hin und tröstete mich damit, daß ich die beschmutzten Hemden verkehrt anziehen und wohl noch vierzehn Tage tragen, Nastücher selbst waschen, und als Schulmeister mit meinen alten Holzschuhen den Winter wohl durchmachen könne. So ergab ich mich in mein Schicksal, ungewaschen und ungeplätzet ausziehen zu müssen und packte am abgeredeten Sonntag morgens meine Sachen zusammen, nistete in allen Ecken herum, ob ich nicht noch etwas finde, das


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