Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias  Gotthelf


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bemerkt, daß wir etwas mit einander hätten, da ich so dumm gethan, daß er habe in den Webkeller kommen müssen. Auf weitere Nachfragen hätten sie vernommen, daß er mit mir fort gewesen sei und wahrscheinlich den Platz gesucht hätte. Nun sei meine Mutter zu ihm gekommen und hätte gethan wie ein Untier, ihm alle Schande gesagt, Seelenverkäufer, Kinderschelm, kurz alles, was sich erdenken läßt und zuletzt sich ds Tüfels verflucht, sie wollen es ihm reisen; sie schickten ihm ihren Buben keine Stunde mehr in die Schule; er müß erfahren, was er gemacht habe. Und in der That sei er den ganzen Winter nicht mehr gekommen, worüber er aber froh sei; denn er sei der Ungereimtest in der ganzen Gemeinde. Das habe er ausgestanden meinethalb und genug daran. Es wüßte kein Mensch, wie es ihm ginge, wenn er mich bei sich hätte. Ich bat ihn dr tusig Gottswille, mich nicht zu verstoßen; zu den Alten gehe ich um kein Geld der Welt. Nachdem sie mich halb tot geschlagen, müßte ich mein Geldlein dargeben und hätte dann hinten und vornen gleich viel. Ich ließ nicht nach mit Bitten und Betteln, bis er mir eine Nacht zugestund, und unterdessen könnten wir Kriegsrat halten. Er mußte gar lachen über die Schulmeisterin und drohte seiner Alten, wie er sie übers Knie nehmen wollte, wenn sie es ihm so machte. Der gute Alte merkte nicht, daß auch er gepantoffelt wurde, nur auf andere Weise. Wir wurden rätig, ich solle den Sommer über um Arbeit aus; Schule sei doch nirgend. Bis im Herbst zeige sich dann schon etwas, meinte der Alte; söttig Vögel, wie ich, seien rar und die fänden immer ein Kräzli.

      Ach, es behagte mir die Arbeit nicht recht und der Sommer schlich gar unglaublich langsam vorbei. Wann ich entrinnen konnte, so lief ich zu meinem geistigen, selbstgewählten Vogt, um zu erfahren, ob er noch nichts aufgetrieben habe, und wo ich ein Wochenblatt erhaschen konnte, da studierte ich gar eifrig die Ausschreibungen, und wo ich einen alten Schulmeister wußte, da fragte ich gar emsig nach, ob er nicht etwa kränkle und ob man glaube, er werde es noch lange machen. O, was hatte ich endlich für eine Freude, als ich in einem versalbeten Wochenblatt in einem Wirtshause eine Schule ausgeschrieben fand, die meine Wünsche mehr als übertraf! Ich konnte die Beine nicht mehr stille halten, bis ich dem Alten mein Glück verkündet. Ich dachte gar nicht von weitem daran, daß sie mir fehlen könne. Ganz atemlos langte ich bei demselben an und rief schon vor der Thür: »I ha eini, i ha eini!« »Was hesch, du Sturm?« sagte der Schulmeister, indem er schnell eine Flasche in die Ecke des Schaftes stellte und sich den Mund wischte. »E Schuel ha-n-i, e Schuel!« »Wo hesch se de?« »Da i der Täsche han se!« »Das mueß e chlini sy, we sie dert Plazg het«, meinte er trocken, nahm die Brille und setzte sie schrittlings über die braun und rote Nase, nahm das Wochenblatt und hielt es mit langausgestreckten Armen so weit weg vom Leibe als er konnte. Er las lange, nahm dann die Brille, wischte sie ab, las wieder, sagte endlich, darauf könne er sich gar nicht verstehen; ob denn der schon wieder gestorben sei, das sei doch so-n-e tolle Mann gewesen. Wie er das Wochenblatt so herumtrüllete in den Fingern, um es wieder zusammenzulegen, fiel ihm die Jahrzahl in die Brille und die sagte ihm, daß dasselbe ein zweijähriges sei. Da schlug er eine tüchtige Lache auf, daß es ihn und die ganze Stube erschüttelte. Lange konnte er mir auf meine verblüffte Frage nicht Antwort geben, und erst nach langem vernahm ich ganz kaput, daß ich ein dolders Lappi sei und ein junger Löhl. Aber so halten es die Jungen alle; wenn sie schon geschickt seien, so seien sie doch gewöhnlich dümmer als dHopeni, und wenn die Alten nicht wären, so wüßte niemand, wie es ging.

      Doch nun ging es nicht lange mehr, bis ich Bescheid erhielt, mich eines Morgens früh bei ihm einzufinden — gsuntiget. Da der Bericht nicht mehr enthielt, so mochte ich den Tag kaum erwarten, um das weitere zu vernehmen. Ich putzte die halbe Nacht meinen Leib und lange vor der bestimmten Zeit klopfte ich das noch träumende Ehepaar auf. Es sollte an ein Examen und auf eine Schule losgehen. Es sei zwar nicht die beste, erzählte mir der Alte, allein für einen Jungen, der keine Frau habe, lange gut genug. So einer brauche nicht viel, werde viel eingeladen, um ihm das Kochen zu ersparen, und er erhalte sonst noch viel, so bald er nur nicht sich einfallen lasse, z‘Kost zu gehen. Es sei ihm ds Tüfels Sache, daß die Weiber gegen einen Ledigen viel barmherziger seien, als gegen einen Verheirateten, der doch die Barmherzigkeit viel nötiger hatte. Das sei aber nun einmal die Hauptsache, daß ich einen Platz erhielte; hätte ich einmal einen, so könnte ich weit leichter einen bessern erhalten. Das sei gerade so wie bei den Diensten, die den ersten Platz zu erhalten immer die meiste Mühe hätten und doch mit einem schlechten vorlieb nehmen müßten, von diesem weg aber leicht und gut weiter kommen, und so sei es auch bei der Regierig. Wenn man nur einmal das Nasenzöpfli hinein drücken könne in das Regiment, so habe man gewonnen Spiel, zwänge bald den ganzen Leib hinein und könne bis z‘obrist kommen. Ja, bringe es einer auch nur dahin, bei einer Hengstenzeichnung die Hengste aufzuschreiben, so könne er fast sicher sein, später Landvogt zu werden, auch wenn er der dümmste Kerli sei. Unter diesen Reden hatte er sich angezogen, von der Frau das beste Halstuch sich umbinden lassen. Die Frau wußte nicht, wo wehren. Sie sollte z‘Morge machen und des Mannes Kammerdienerin sein, sollte Kaffee mahlen und dem Mann Hosen und Strümpfe hervorgeben; denn er wußte nicht, wo sie waren. Sie war aber kein Lämmlein, auch kein Täubchen; es sammelten sich Wetterwolken in den Runzeln ihrer Stirne, und einzelne Windstöße, welche Thüren zuschmetterten, und ein andaurendes Knurren, fernen Donnerwolken ähnlich, kündeten das aufsteigende Gewitter an. Ich kannte das und that alles mögliche, um durch jegliche Hülfsleistung sie zu versöhnen, während der Mann, was mir wunderlich genug vorkam, es gar nicht zu bemerken schien, was sonst der Fall nicht war.

      Mit einem langen, langen Stecken, den er einen halben Schuh unter dem obern Ende gefaßt hielt und ihn hoch aufhob und weithin setzte, marschierte der Alte immer einen oder zwei Schritte voran, stattlich und stolz. Er war fast wie eine thorrechte Mutter, die einer aufgeputzten Tochter voranbeinelet einem Märit oder einer Kilbi zu, und deren Augen jeden fragen, ob ihr Meitschi nicht das tollste sei weit und breit, und deren Herz in feuriger Erwartung schlägt über den Schryß, den das Meitschi haben werde, und in neugieriger Angst, welcher Baurensohn sich am Ende das Glück erprügeln werde, mit ihm heimzugehen. Er wolle ihnen heute zeigen, sagte er, daß er nicht der Leidischt sei, wenn ihn schon da die Neuen und Jungen so verachteten. Wenn ich schon keine apartige Schule besucht hätte, wie man sie, seit die Franzosen gekommen seien, eingeführt und in welchen man nichts lerne als Hochmut und Weltliches, so wolle er doch wetten, ich thue sie alle durch, und das hätte ich ihm alleine zu verdanken und nicht so einer solchen Nomadenschule oder wie man die Dinger heiße. Und wenn ich etwas nicht recht wisse, so solle ich nur ihn ansehen; er wolle mir winken, oder, wenn er könne, sich hinter mich setzen, da könne er es mir einflismen. Überhaupt solle ich gar nicht Angst haben und mich auf ihn verlassen. Der Pfarrer sei sein bester Freund; sie seien wie zwei Finger an einer Hand; er sei einmal neben ihm gestanden, als derselbe Tabak gekauft habe in der kleinen Apotheke. Auch der Schulkommissär kenne ihn besonders; derselbe hätte zu Langenthal beim Kreuz einmal abspannen lassen, während er just vor dem Hause gestanden und habe ihm gar freundlich einen guten Abend gewünscht. Es sei zwar erst Morgen gewesen, aber so ein Herr wisse selten, welche Zeit es sei. Wenn er ihnen etwas sage, so sei es so gut, als wäre es gedruckt. Die kennten ihre Leute und wüßten, wem sie glauben sollten. Das Examen sei nur eine neue, dumme Mode; es komme doch am meisten auf die Empfelig an und daß man den Herren gefalle. Im Gehen unterwies er mich ferner in der Manier, wie man gefallen müsse und machte mir die Bücklinge vor. Unglücklicherweise stund ich das erste Mal gerade hinter ihm und erhielt den gewaltig beschlagenen Schuhabsatz, der hintenausschlug, so weit das Bein reichen mochte, tüchtig an das Schienbein. Da machte ich mich ein paar Schritte vor, um die Lektionen ungeschlagen von der Seite ansehen zu können.

      Auch die Titulaturen sagte er mir vor und ließ sie mich wiederholen, bis sie mir geläufig waren. Es ist mir noch als ob es gestern gewesen wäre, wie schwer es mir ward, Wohlehrwürdiger Herr Schulkommissär zu sagen, und wie der Alte lachte, als ich immer wieder sagte: Wohlehrwürdiger Herr Schulmilitär! Der Name Kommissar war mir bis dahin ein ganz fremder und so was Unbekanntes spricht eine Baurenzunge nur mit Widerstreben aus, wahrscheinlich aus Instinkt, weil sie fühlt, daß ihr das Fremde nicht heilsam sei.

      Unter solchem Unterrichte kamen wir ungsinnet an Ort und Stelle. Etwas spät waren wir; darum trafen wir die Herren nicht mehr im Pfarrhause an. In der Schulstube befanden sich dieselben nebst mehreren Bewerbern. Mir ward beklommen zu Mute, nicht so meinem Begleiter. Der schritt an seinem langen Stocke vorwärts, begrüßte mit Bücklingen und Titulaturen gar schön die Herren und reichte ihnen die Hand, wie alten Bekannten.


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