Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias  Gotthelf


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wohl ein, allein jeder Bauer wolle das Schulhaus vor seine Hausthüre, und wenn des Nachbars Kinder an einen auserwählten Platz zehn Schritte näher hätten, so hintertreibe er auf jegliche Weise den Bau. Dann wolle wieder jeder Teil der Gemeinde zuerst sein Schulhaus haben; daher würden sie nie einig, wo anfangen, und wenn dieses auch einmal bestimmt worden, so wüßten die Übergangenen eine andere Erkanntnis an der nächsten Gemeinde durchzudrücken. Mit dieser Gemeinde käre die Regierung wie eine alte Großmutter, bitte bald, befehle bald und lasse sie am Ende doch machen, was sie wolle. Man sehe wohl, daß da kein rechter Ernst dahinter sei und daß ‚ne graglych sei, ob Schulen wären oder nicht, wenn sie nur regieren könnten. Und hinter der Gemeinde sei noch einer, er wolle ihn nicht nennen, der nicht genug Bücklinge vor den Landvögten machen könne und so tief, daß sein H..... höher stehe als der Kopf; der zäpfle die Landvögte nur aus, wenn sie an der Sache trieben, und reise mit spöttischen Mienen und Worten seine Bauern auf wie ein recht abgefeimter alter Schlaukopf. Aber wenn es ds Militär ansehen würde, da würden sie schon befehlen können. In dieser Gemeinde wohne ein reicher Bauer, der auch gar weit zur Schule hätte. Der nehme nun alle Winter einen auf die Stör für sechs oder acht Wochen, weil er sich verredt habe, seine Kinder nicht mehr ins alte Schulhaus zu schicken. Manches Jahr durch habe er einen alten abgedankten Schulmeister gehabt; — der sei nun gestorben. In der Verlegenheit um einen andern hätte er, Schulmeister, ihn zufällig einmal an einem Donstag angetroffen und ihm versprochen, für einen zu sorgen und das für einen guten. Als Lohn habe er mir alle Tage zwei Batzen ausbedungen. Als Schulmeister brauche man mich erst nach Weihnacht, wenn das Dreschen vorbei sei. Doch könne ich um den gleichen Lohn alsobald anstehen; man habe mir allweg zu thun, entweder zu weben oder zu dreschen. Das Ding war mir nicht ganz recht; ich hätte weit lieber eine Schule gehabt, allein das verdammte Konstruieren nahm mir allen Mut, ein Examen zu machen.

      Der Alte erklärte mir aber noch, daß er von nun an nichts mehr mit mir zu thun haben wolle. Meine Eltern paßten immer darauf, daß ich zurückkäme, wie der verlorene Sohn im Evanvangelium. Aufnehmen würden sie mich gar gerne, doch nicht mit Singen und Reigen, sondern mit Fluchen und Prügeln, in der Hoffnung, daß ich, weil mich niemand mehr wolle, froh sein werde, auf jegliche Art und Weise bei ihnen zu bleiben. Leider hätten sie wieder vernommen, daß er mit mir an einem Examen gewesen und mir Platz suche; da hätte ihm gestern mein Vater alle Schande gesagt und, er glaube, geprügelt, wenn nicht noch ein anderer Mann dabei gewesen wäre. Nun esse er keine Suppe gerne, aber Prügelsuppe doch am allerwenigsten.

      Es ging nicht lange, so wanderte ich zum zweiten Mal mit meinem Bündelchen, das etwas schwerer geworden war, meinem Posten zu, noch lange vorher, ehe die Schulzeit beginnen sollte. Dort nahm man mich freundlich auf, erklärte mir aber gleich, daß sie denn gar nicht begehrten, daß ihre Kinder zu geschickt würden; sie sollten keine Agenten oder Wirte werden; sie hätten ihnen sonst z‘werchen und z‘essen. Wenn sie beten lernten und gut lesen und die Fragen samt Psalmen und Historinen, was es geben möge, so seien sie zufrieden. Mit Schreiben und Rechnen solle ich die Kinder nicht plagen; sie hielten aparti nicht viel darauf; die Kinder vergäßen es nur. Wenn man es einst brauchen müsse, so hätte man bald das nötigste gelernt, und wenn auch das nicht, so mache es immer jemand für einen, wenn man Geld habe. Das ganze Jahr zu lernen, trage nichts ab; das Nützest sei, man mache eine rechte Stör hintereinander, etwa sechs Wochen oder was, und dann von Morgen früh bis Abend spät und die übrige Zeit werche man dann auch recht. So komme man beid Weg weiter, als wenn man immer an allem baggle.

      So lautete meine Instruktion. Damit ich am Morgen desto früher bei der Hand sei, wenn einmal der Tanz angehe, so wurde mir mein Nachtquartier beim Melker angewiesen, der des lieben Viehs wegen der erste auf den Beinen sein mußte im Hause. Unterdessen mußte ich mitarbeiten, was eben bei der Hand lag. Ich war ein guter Mutz und eben kein übler Bursche, aber nicht abgerieben, nicht schlau, sondern unbehülflich, schüchtern, fast verschämt, kurz, ich war just so, wie man einen am liebsten für einen Gauch hält, besonders die Mädchen. Für die sind so verschämte, unbehülfliche und dabei rotbäckige Bursche ein wahrer Schleck und ein jedes reibt sich an ihnen, um sie abzureiben. So hatten sie ihr Spiel mit mir in der Stube und im Tenn, und die Meisterleute hielten sich manchmal fast den Bauch vor Lachen. Es war dort Sitte, daß auch die Jungfrauen dreschen mußten, wenn nicht alle Männer bei der Hand waren; und wenn das Mannevolk alles zu Hause war, so strichen sie doch, so viel es sich thun ließ, ums Tenn herum. Nach dem Mittagessen wurde gewöhnlich ds Narrenwerk getrieben, ungefähr wie in der Ernte und im Heuet auf dem Felde, d. h. man tröhlte einander im Stroh herum und da fiel manches vor, was ich jetzt nicht weitläufig beschreiben will. Da nun ging der Hauptspuk mit mir an. Man reisete mich hinter die Mädchen, und wenn ich nicht durfte, so kamen sie hinter mich, und mehr als einmal war ich dem Ersticken nahe, weil sie mich auf dem Boden unter sich hielten und kitzelten. Wenn ich Meister wurde, so machte ich auch, was ich konnte, oder was mir die Knechte angaben, und was dann geschah, blieb gewöhnlich das Gespräch den ganzen Nachmittag über. Bald rühmten sie mich, bald führten sie mich aus, und da sie schnell merkten, daß das Rühmen gar wohl bei mir bschoß, so wußten sie es so anzuwenden, daß ich bei meiner natürlichen Gutmütigkeit und Willfährigkeit aller Handlanger wurde. Des Abends trug ich ihnen Holz und Wasser hinein; bei dieser Arbeit begegnete mir einmal ein Spaß. Es war am Tage vor der Fleglete, daß ich viel Holz hineintragen mußte und eine neue Byge angriff. In derselben fand ich zwei Schuhsohlen, welche der Schuhmacher, den wir eben auf der Stör hatten, von des Meisters Leder abgeschnitten und dort versteckt hatte, um sie am Samstag mit nach Hause zu nehmen. Ich brachte sie samt den Scheitern in die Küche. Nun wurde lange Rat gehalten, was man damit anfangen, wie man den Schuhmacher am besten beschämt machen könnte. Endlich hatte die schlauste der Mägde, ein kleines rundes Ding mit schlauen schwarzen Augen, den Einfall, man solle ihm dieselben den Tag darauf kücheln und sie ihm geben zum heimtragen. Gesagt, gethan. Als man fertig war, küchelte man die Stücke Sohlleder gar schön, band sie ihm ein und gab sie ihm mit. Fast konnte man es nicht vor Lachen, als er so schön dankte. Aber wie wurde erst gelacht, als man vernahm, derselbe sei mit seinen geküchelten Schuhsohlen zu einem Meitschi gegangen, hätte sie ihm gekramet, und beide hätten fast die Zahne ausgekaut, ehe sie den Spaß gemerkt!

      Nach der Flegelte ging das Lehren an und wurde allerdings unerchant getrieben, daß es mir zuweilen fast gschmuechtete. Das ging mit dem Lehrer wie mit einem Trank, von dem man, wenn man ihn einmal hat, keinen Tropfen zu Schanden gehen lassen will, und sollte man darob selbst zu Schanden gehen. Sobald der Melker aufstund, mußte ich auch, und zuerst mit dem Güterbub lehren, der nicht den ganzen Tag über dabei sein konnte. Und des Nachts nach dem Rüsten mußte ich noch oft hören: »Se, Schumeister, du chönntischt dr Bueb no ne chlei bhöre.« O, wie kurzweilig der Bueb und ich manchmal des Morgens um fünf Uhr einander gegenüber saßen und gähnten, daß die Mundwinkel fast zerrissen, und wie ich dann dem Bueben sagte: »Dankeygisch, daß de mi nit gschlückt hesch,« und wie er mir antwortete: »Dankeygisch, daß d‘nit yche gschloffe bisch.« O, wie das lange ging, bis die Meister-Jungfere auf wollte und das Feuer in der Küche zu spretzeln anfing! Nein, das waren nicht kurzweilige Morgen und die erleideten mir mein Amt gar sehr, so wohl es mir sonst gewesen wäre.

      Dreizehntes Kapitel. Wie ich Schulmeister lerne auf die alte Mode

      Das ging mir im Kopf herum und einst an einem Sonntag nach der Predigt klagte ich mein Leid dem Schulmeister zu Hinterhäg, der damals für ein gar grausam Gschickte galt. Ich sagte ihm, wie ich gerne Schulmeister würde, aber wie da neue Moden aufkämen, von denen ich nichts wüßte, niemand wüßte, der mir sie zeigen könne, und zweifle, ob es mir möglich sei, sie zu begreifen. Da sagte er mir, ich komme ihm eben recht; es hätten ihn schon zwei gefraget, ob er sie nicht Schulmeister lehren wolle; er hätte Lust und Zeit dazu und wollte es so gut oder besser machen als die, welche Schulmeister-Schulen hätten, und sollten es seinethalben Pfarrer sein, die doch nie wüßten, was ein Schulmeister alles wissen müsse. Aber er sei nicht bekannt in Bern und die andern werden es ihm nicht gönnen und ihm z‘böst reden. Er hätte daher Lust, nur etwa mit vieren anzufangen und nicht zu sagen, daß er eine eigentliche Schule halten, sondern nur, daß er etwelche vorbereiten wolle, damit sie mit desto größerm Nutzen die Normalschulen besuchen könnten. Dafür möchte er aber die Erlaubnis vom Kirchenrat haben. Es sei ihm erstlich wegen der Gratifikation; denn wir würden ihn doch nicht gehörig bezahlen können, indem wir wahrscheinlich bösdings


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