Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias  Gotthelf


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einer, und würden ihm dann anhalten, eine eigentliche Schule zu halten. Das gefiel mir; aber ich fragte ihn doch, ob er denn wirklich das Konstruieren und das Figural auch kennte? »Hab nit Chummer, Käser,« sagte er, »da förchte-n-s kene-n-im ganze Kanton, u we‘s c Professer war.« Das war mir nun angeholfen und ich mochte gar nicht erwarten, bis ich die Lehrzeit antreten konnte, um das Hexenwerk zu erlernen. Ich lief in der Woche wenigstens einmal ins Dorf hinunter, zu vernehmen, welche Antwort er erhalten und wie bald er die Lehr anfangen wolle.

      Endlich traf ich ihn, mit erschrecklich ertaubetem Gesicht und die Thüren schmetterend, daß man es im halben Dorfe hörte. Ich glaubte, seine Frau hätte ihn etwa ertäubet, und wollte wieder gehen. Allein er hielt mich auf und sagte mir: heute habe er eine lustige Antwort erhalten und nicht geglaubt, daß man eine sellige Regierig habe; sein Lebtag werde er nichts mehr auf ihr halten. Er habe durch jemand, der einen guten Freund im Kirchenrat habe, schreiben lassen an diesen Freund, um zu vernehmen, wie man sein schönes Anerbieten aufnehmen würde.

      Dieser sei nun soeben bei ihm gewesen und hatte ihm einen Brief abgelesen, in welchem gar wütend aufbegehrt worden über seinen Antrag. Was man sich doch auf dem Lande nicht alles einbilde, heiße es darin. Kaum habe man dem Lande die Wohlthat angedeihen lassen und Normalschulen erlaubt, welche der Regierung jährlich wenigstens 1000 bis 1500 L. kosteten — die Geschenke an die Zöglinge nicht einmal gerechnet — so sei man schon damit nicht zufrieden. Es scheine, diese Normalschulen, die doch drei Monate, manchmal auch fünf dauern und vollkommen hinlänglich seien zur Bildung eines Schulmeisters, wie ihn das wahre Wohl des Landes erfordere, wolle man zu Uniuersitäten machen und jetzt noch Gymnasien einrichten. Mit solchen Flausen solle man nicht mehr kommen, es mache nur böses Blut.

      Ein Mitglied, das freilich gar dumm aussehe, aber doch gar ein kluger und vorsichtiger Herr sei und das Land aus dem Fundament kenne, habe bündig dargethan, die einreißende Aufklärung sei der größte Schaden für das Land; sie verzehre allen Glauben, allen Gehorsam und allen Respekt. Den Eltern wollen die Kinder nicht mehr gehorchen und kein Landuogt sei mehr sicher, daß ihm nicht einer maule in der Audienzstube oder gar seinen Ausspruch an den Justizrat ziehe, der auch nicht immer wisse, was er mache. Die Regierung hätte schon zu viel gethan, und wenn er dabei gewesen wäre, so hätte er nicht einmal zu den Normalschulen gestimmt. Das Land sei lange glücklich gewesen ohne sie, und man werde sehen, wie sie die Schulmeister hochmütig und diese dann die Unterthanen übermütig machen würden. So ungefähr lautete der Brief und die Rede des dumm scheinenden, aber klug sein sollenden Herrn.

      Nun war ich wieder am Berge und wußte nicht, was anfangen. Da sagte mir der abgefertigte Schulmeister noch in seinem Zorn, ich hätte es gehört, er könne mir nichts helfen; er wolle mit der Sache nichts mehr zu thun haben. Seinethalben könne ich jetzt zu einem Normallehrer gehen und sehen, was ich da lerne. Was er mir im Ärger gesagt, schlug im Ernst bei mir ein. Etwas mußte geschehen, wenn ich Schulmeister werden wollte, und auf meinen Alten konnte ich mich nicht verlassen.

      O, das ist eine strenge Sache, wenn einer es gewohnt ist, daß andere für ihn denken, für ihn laufen, für ihn handeln, und die Not es nun an ihn bringt, daß er selbst denken, selbst laufen, selbst handeln muß! Schüchternheit und Trägheit liegen wie Blei in den Gliedern und eine große Menge bringt sich nicht vom Platze, weil sie verblüfft kein Bein zu machen weiß und niemand anders für sie sich auf die Beine macht. Von dem Beinemachen hängt doch heutzutag noch alles ab, fast wie ehedem. Sagt man doch von einem Menschen, der von Pöstlein zu Pöstlein sich schwingt und den Kopf immer höher streckt, er mache eine schöne Carriere, d. h. er und seine Leute brauchten ihre Beine im Galopp; denn Carriere bedeutet galoppieren, oder, wie wir sagen, in den Längen reiten.

      O, es gibt der glücklichen Leute, für die schon von der Wiege an die Beine in den Längen gehen, vielleicht um eine reiche Heirat aus oder um ein schönes Amt. Und wenn sie aufwachsen, diese Leute — wie dann der Tanten, Schwestern, Basen, Vettern Beine gehen und ihre Zungen dazu! Und wie sie ein Wesen machen von dem Glücklichen und wie sie reden von ihm und seinen Talenten, seinem Fleiß, und wie er sich widme für dieses Amt und für jenes Fach! Und wie dann allgemein das Gerücht sich verbreitet, welche wichtige bestimmte Vorbereitungen der Fleißige treffe, und wie dann allgemein der Glaube sich festsetzt, das Vaterland oder das Mädchen könne keine glücklichere Acquisition machen! Und wie das Vaterland und das Mädchen leider nicht warten mögen, um das Verdienst zu belohnen! Und wie oft es beiden geht wie dem armen Teufel, der von den Juden ein Roß gekauft, bethört durch ihr Geschwätz! Einen Staatsgaul meint er zu haben, frei und frank zu allen Sprüngen fertig. Nun findet der Gaul sich, nachdem der Juden Geschnatter aufgehört, blästig und untersätzig, mähnig und stettig, schwach auf allen vier Beinen, faul am ganzen Leibe, und im Stalle endlich zeigt er sich bald als stiller Kolder, bald als Krüpfendrücker, und wenn man ihn untersuchte, so wäre er vielleicht gar hauptmürdig.

      Auf diese Weise ist man schon Schultheiß geworden, nicht nur Professor. So hat nicht nur manches schöne und reiche Mädchen einen schönen und reichen Mann erhalten, sondern schon manches arme und häßliche ist unter eine stattliche Haube gekommen als Ausbund in der Tugend oder im Kochen und Waschen und hatte doch noch niemanden einen Fehler vergeben oder verschwiegen, wußte nicht, ob man zu einer Mehlsuppe Anken oder Schmutz nehme und welche Seife besser sei, blaue oder weiße.

      Heutzutage hat man es auch hierin viel komoder als ehedem. So wie man durch Dampf- und andere Maschinen viele Arbeit leichter, schneller machen, weiter verbreiten, viele Arbeiter ersparen kann, so hat man auch bei dem Beinemachen die Sache vereinfacht. Tanten, Schwestern, Vettern braucht man nicht mehr so notwendig; hat man sie, so läßt man sie laufen; aber man kann es machen ohne sie.

      Man hat nämlich eine General-Base erfunden, die gar lange Beine und einen weiten Mund hat, und wer die auf seine Seite bringt, daß sie sich für ihn auf die Beine macht von Haus zu Haus, der macht in Karriere seine Carriere. Diese Hauptbase ist nämlich die Presse und ihre vielen Töchtern sind die Zeitungen. O, was sind alle alten und jungen Basen, nenne man sie Klatsch- oder Schnapsbasen, in der ganzen Welt gegen diese Hauptbase und ihre Töchterlein!

      Die wissen zu sagen, was niemand sonst weiß; die wissen zu rühmen, wo niemand es sonst thäte; die können schelten und spotten, wo sonst jeder ehrliche Mensch sich schämen würde. O, wer diese Base und einige kleine Bäschen bestochen hat durch Frechheit oder Karisieren, der kann sicher sein, daß er es weit bringt, und wenn auch kein guter Faden an ihm wäre, und er eine noch weit elendere Kreatur wäre als jener koldrige, krüpfendrückende Gaul! Doch ich will nichts weiter sagen; ich könnte sonst in einen Ast sägen, und mancher edle, hochherzige Vater landsfreund, der auf einem Zeitungsbesen (die Hexen brauchten ehedem nur gewöhnliche Besen; aber sie konnten eben hexen) hoch in die Lüfte zu den Sternen empor und dann in ein schönes Amt geritten ist, wo er jetzt steht, und wie! könnte sonst meinen, ich rede Anzügliches, und mich bei der Base oder gar bei dem Richter verklagen. Und die Base will ich nicht böse machen, eben weil sie die Hauptbase ist und nicht nur erhöhen, sondern auch erniedrigen kann. O, das hat mancher brave Mann erfahren, der von ihr im Kote herumgezogen worden ist, bis er aussah wie ein Sauniggel und bis die Leute sagten: »Da isch doch e wüeste, da cheu mr nimme bruche.« Ja, die Base ist eine gar wichtige Staatsperson geworden und übt große Macht. Sie leistete anfangs große Dienste und that gar fromm und züchtig; man glaubte ihr daher aufs Wort. Das machte sie aber übermütig; sie ließ die Hörnlein hervor und wurde halt eben eine Frau Base, und seitdem sinkt ihr Kredit und sie wird nach und nach dnrch ihre Töchterlein, wenn sie sie nicht besser dressiert, nicht mehr ausrichten als andere Basen.

      Ich wußte nicht, an wen mich wenden, um Nachricht einzuziehen, wo Normalschulen abgehalten wurden und welche die beste sei. Ich saß bei meinem Bauer wie aus Dornen, half Haberäcker hacken, bis ich Blattern bekam wie Haselnüsse. Endlich half mir das liebe Wochenblatt aus der Not und diesmal ein diesjähriges. Dort war eine solche Schule angekündigt und der Termin zum Einschreiben bestimmt. Ich versäumte ihn nicht. Der Lehrer, bereits ein ältlicher Mann, empfing mich etwas vornehm und machte mich bekannt mit Büchern, die ich mitbringen müsse, und mit der Notwendigkeit, ein Kostort zu suchen, was ich um 19 oder 20 Batzen per Woche wohl finden werde.

      Beim Heimgehen ward mir das Herz schwer, indem ich mein Vermögen und die bevorstehenden Ausgaben überschlug. Die letztern schienen mir wenigstens auf 12—15 Kronen sich zu belaufen,


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