Am Rio de la Plata. Karl May

Am Rio de la Plata - Karl May


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es schadet gar nichts, wenn man ihm zum Besten des Vaterlandes ein wenig Blut abzapft – — —«

      So ungefähr lautete der Inhalt dieses liebenswürdigen Schreibens, so weit es sich auf mich bezog. Ich stand auf und warf den Brief auf den Tisch.

      »Hier haben Sie Ihren Wisch zurück! Vielleicht legen Sie sich eine andere Meinung von mir bei, wenn ich Ihnen sage, daß ich bereits, bevor ich zu Ihnen kam, wußte, daß ich betrogen werden solle. So dumm, wie Sie meinen, sind die Deutschen denn doch nicht. Ich bin vielmehr der Ueberzeugung, daß sie, trotz ihrer weltbekannten Ehrlichkeit, es an Scharfsinn mit jedem südamerikanischen Schufte aufnehmen. Ich kannte Sie, bevor ich Sie sah.«

      Er hatte den Brief schnell an sich genommen und eingesteckt.

      »Wen meinen Sie mit dem Worte Schuft?« fragte er jetzt, indem er einen Schritt näher trat und mich drohend ansah.

      »Beantworten Sie sich diese Frage gefälligst selbst, Sennor!«

      »Wissen Sie, was für eine Beleidigung das ist und womit sie beantwortet wird?«

      »Unter Ehrenmännern, ja. Da Sie aber kein solcher sind, so habe ich mich um Ihre Antwort gar nicht zu kümmern.«

      »Oho! Sie wird Ihnen werden und zwar so gewiß, wie ich jetzt vor Ihnen stehe.«

      »Das kann sich nur auf irgend eine Hinterlist beziehen, gegen welche ich mich zu schützen wissen werde. Leute Ihres Schlages fürchtet man nicht. Ein guter, deutscher Fausthieb setzt einen bei jedem feigen Bravo in Respekt. Wagen Sie es, mir irgend welche Unbequemlichkeit oder gar Gefahr zu bereiten, so wende ich mich nicht etwa an die hiesige Polizei, weil mir das zu umständlich sein würde, sondern ich komme direkt zu Ihnen und ohrfeige Sie wie einen Buben, welcher die Tortilla hat verbrennen lassen. Merken Sie sich das! Und nun gute Nacht, hoffentlich für immer!«

      Er zog mir eine wütende Grimasse, sagte aber nichts. Ich ließ mir von dem Diener den Gartenausgang öffnen. Bis das geschah, sagte der Mensch nichts. Dann aber, als die Thüre offen stand, machte er mir eine tiefe, natürlich höhnische Verbeugung und fragte:

      »Wollen Sie gefälligst hier hinausgehen? Sie haben doch nichts eingesteckt? In diesem Falle – —«

      Was er in diesem Falle thun wolle, erfuhr ich nicht, denn er erhielt eine so gewaltige Ohrfeige, daß er um fünf oder sechs Schritte fortgeschleudert wurde und dort seine Gestalt, so lang und hager sie war, auf die Erde ausstreckte. Ich vermute, daß er seine in solcher Weise beantwortete Frage nicht so bald wieder an einen Deutschen gerichtet hat. Natürlich fiel es mir nicht ein, mich darum zu bekümmern, wie lange er liegen bleiben werde. Ich zog die Gitterthüre hinter mir zu und ging fort, in der Richtung, aus welcher ich gekommen war, Dabei hielt ich mich abermals auf der Mitte der Straße, denn es war nicht unmöglich, daß der Bravo sich noch in dieser Gegend aufhielt, um einen zweiten Versuch gegen mich zu unternehmen.

      Ich war noch gar nicht weit gekommen, so hörte ich vor mir eilige Schritte, welche sich mir zu nähern schienen. Es mußten zwei Menschen sein, welche da liefen, und zwar auf der rechten Seite. Ich ging darum auf die linke hinüber, wo der Mondschein nicht durch die Wipfel der Bäume drang und es also Schatten gab. Allerdings mußte man, da ich auf der hellen Straße gegangen war, mich schon von weitem gesehen haben.

      Jetzt sah ich die erste Person, ein Frauenzimmer, welches so schnell wie möglich lief. Und nun erblickte ich eine männliche Person, welche der ersteren nacheilte, sie jetzt erreichte und die beiden Arme um sie schlang.

      »Hilfe, Hilfe!« rief die Ueberfallene, allerdings mit nicht allzu lauter Stimme. Vielleicht benahm der Schreck ihr das Vermögen, lauter zu rufen.

      »Einen Kuß, einen Kuß will ich haben!« hörte ich die Stimme des Menschen. Die beiden rangen miteinander. Ich eilte selbstverständlich zu ihnen hin. Die Bedrängte sah mich kommen.

      »Herr, Herr, beschützen Sie mich!« rief sie mir entgegen.

      Der Mensch ließ sie augenblicklich los und entfloh in der Richtung nach der Stadt zu. Die also Gerettete ging sehr einfach nach französischer Mode gekleidet und trug anstatt des Hutes einen spanischen Schleier, welcher jetzt verschoben war, auf dem Kopfe. Sie stand gegen den Mond gerichtet, und ich sah ein ganz allerliebstes, junges Mädchengesicht. In der einen Hand hielt sie ein Fläschchen, wie es schien.

      »O Sennor,« sagte sie tief aufatmend, »welch ein Glück, daß Sie sich in der Nähe befanden! Ich kann vor Schreck nicht mehr stehen.«

      Sie wankte wirklich, und ich unterstützte sie dadurch, daß ich ihren Arm in den meinigen zog.

      »Nehmen Sie meine weitere Hilfe an, Sennorita! Es soll Ihnen nichts ferner geschehen.«

      Sie hing sich schwer an mich, als ob sie wirklich nicht ohne Unterstützung stehen könne, und seufzte:

      »Welch ein Mensch! Er hat mich auf einer großen Strecke verfolgt, und dann konnte ich nicht mehr fliehen.«

      »Kannten Sie ihn? Wer war er?«

      »Ich sah ihn noch nie.«

      »Es scheint für junge Damen gefährlich zu sein, zu dieser Stunde auf der Straße zu gehen. Wußten Sie das nicht?«

      »Ich wußte es, aber dennoch mußte ich zur Apotheke, um die Medicina für meine Großmutter zu holen.«

      »Und wo wohnen Sie?«

      »Gar nicht allzuweit von hier. Aber dennoch fürchte ich mich außerordentlich. Wie leicht kann dieser Mensch wiederkommen!«

      »Wenn Sie mir die Erlaubnis erteilen, werde ich Sie zu Ihrer Wohnung begleiten.«

      »Wie gütig Sie sind! Ich nehme Ihr Anerbieten so gern an. Darf ich mich weiter auf Ihren Arm stützen?«

      »Thun Sie es immerhin!«

      Sie sah mir so ehrlich und unbefangen in das Gesicht, und dennoch war es mir, als ob ich der Sache nicht trauen dürfe. Wir waren bis jetzt stehen geblieben, gingen nun aber fort, meiner eigentlichen Richtung wieder entgegengesetzt. Sie blickte so vertrauensvoll zu mir auf und erzählte mir dabei, daß ihre Eltern gestorben seien und sie nun nur noch das gute Großmütterchen habe, welches gar nicht aus dem Lande stamme, sondern aus Deutschland herübergekommen sei.

      Es fiel mir auf, daß sie das Wort Deutschland ganz besonders betonte und mich dabei erwartungsvoll anblickte. Ich sagte aber nichts und ließ sie erzählen.

      So kamen wir an Tupidos Quinta vorüber, und weiter ging es, bis die Straße eine breite Lücke zeigte, wo es kein Haus und keinen Garten gab. Wir befanden uns auf einer Blöße, die nur mit einigen hohen, stattlichen Ombu-Bäumen bestanden war.

      »Dort drüben liegt unser kleines Häuschen,« sagte das Mädchen, über die Lichtung hinüberdeutend.

      Ich sah eine im Mondenschein weiß glänzende Hütte, welche vielleicht fünfhundert Schritte entfernt war.

      »Darf ich noch weiter mit bis dorthin?« fragte ich. »Oder fühlen Sie sich nun sicher?«

      »Sicher werde ich mich erst dann fühlen, wenn ich daheim bin.«

      »So kommen Sie!«

      Wir bogen in die Blöße ein. Doch blieb ich schon nach wenigen Schritten stehen, denn aus dem dunklen Schatten der Ombu-Bäume lösten sich fünf oder sechs Gestalten, deren eine auf uns zukam, während die andern stehen blieben.

      »Halt! Keinen Schritt weiter!« gebot ich. »Was treibt ihr hier?«

      Auch das Mädchen war erschrocken. Es schmiegte sich fester an mich.

      »Was wir hier treiben?« antwortete eine Stimme, welche mir bekannt vorkam. »Wir warten auf Sie, Sennor.«

      Ich nahm das Mädchen in den linken Arm, um den rechten zur Verteidigung frei zu bekommen. Ich fühlte, daß mein Schützling zitterte.

      »Ich bin – — kennen Sie mich denn wirklich nicht – Mauricio Monteso!«

      Er war es wirklich, der Yerbatero; das sah ich, als er jetzt näher trat.

      »Sie sind es?« fragte ich verwundert. »Das ist eine Ueberraschung! Aber ich wiederhole doch meine Frage: Was treiben Sie hier?«

      »Das


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