Am Stillen Ozean. Karl May

Am Stillen Ozean - Karl May


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ich werde mich bewaffnen, obgleich ich denke, daß es keine Gefahr geben wird, da wir ja beide der Sprache vollständig mächtig sind.«

      »Scheint mir auch so, obgleich es mich befremdet, daß diese Bewohner von Hong-kong ein Chinesisch sprechen, welches man bei aller Mühe und Aufmerksamkeit kaum verstehen kann.«

      »Wird wohl stromaufwärts besser werden!«

      Als ich mich schlafen legte, verscheuchten mir die fleißigen Gedanken lange Zeit die Ruhe. Die Geschenke Kong-nis schienen zu beweisen, daß es ihm mit allem, was er mir gesagt und versprochen hatte, wirklicher Ernst gewesen sei. Auf den ersten Augenblick schien die Bewerbung um einen akademischen Grad ein fast mehr als bizarres Unternehmen zu sein, schien aber bei näherer Prüfung einen etwas andern Augenschein zu bekommen.

      Der chinesische Kaiser regiert dem Namen nach vollständig despotisch, doch findet seine Gewalt das stärkste Gegengewicht in der »Körperschaft der Gelehrten«. Diese Körperschaft ist eine Oligarchie, von welcher die gesamte Staatsverwaltung alle wirklichen und unmittelbaren Einflüsse empfängt. Der Kaiser ist gezwungen, alle seine Beamten aus dem Gelehrtenstande zu nehmen, und muß sich dabei an diejenigen Klassen und Grade binden, welche infolge der Prüfungen vorhanden sind. Die Körperschaft der Gelehrten ist im elften Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung, also in den letzten Regierungsjahren der Schangs gegründet worden, doch das jetzt übliche System der Prüfungen, welche jeder bestehen muß, der in den Staatsdienst treten will, datiert aus dem achten Jahrhundert nach Christus, also von der Zeit der Dynastie Tang her. Jeder Chinese, der ein Zeugnis des Wohlverhaltens aufweisen kann, hat das Recht, nach Zurücklegung des gesetzlichen Alters sich zu diesen Prüfungen zu melden. Diese letzteren zeichneten sich früher durch Ernst und Würde aus und waren bekannt wegen der Unparteilichkeit, mit welcher sie vorgenommen wurden. Jetzt aber ist dies anders – sie sind ausgeartet. Die Korruption hat in China nichts verschont und auch die Examina, die Examinatoren und – die Kandidaten ergriffen. Die Gesetze und Vorschriften sind allerdings sehr streng, und jede Willkür soll unmöglich gemacht werden, damit es sich herausstelle, was der zu Prüfende wirklich gelernt hat; aber das Geld ist mächtiger als alle Verbote und Vorkehrungen. Dem Reichen ist es sehr leicht möglich, bei den. mündlichen Prüfungen die Themata im voraus zu erfahren, und, was das allerschlimmste ist, die Stimmen der Examinatoren sind dem Meistbietenden feil. Und noch weiter: ist es dem Reichen ja nicht möglich, sein Thema vor dem Examen zu erfahren, so mietet er sich irgend einen armen Gelehrten, der dann seinen Namen annimmt, an seiner Statt das Examen macht und sich für ihn das Zeugnis ausstellen läßt. Und dies geschieht so offen, daß die Chinesen für einen auf solche Weise Graduierten die Bezeichnung »Baccalaureus, der hinter dem Reiter sitzt«, erfunden haben. Sogar Abwesende können das Examen, welches in diesem Falle ein schriftliches ist, bestehen, wenn sie gehöriges Geld oder nachhaltige Protektion besitzen; sie schicken eine Dissertation ein, deren Thema sie sogar selbst wählen dürfen.

      Vielleicht hatte Kong-ni seine Würde auch in dieser letzteren Weise erlangt, und warum sollte ganz dasselbe nicht auch mir möglich sein?

      Außer den obigen Betrachtungen drängte sich mir seine Warnung auf. Daß ich mich vor den Flußpiraten hüten sollte, konnte ich sehr leicht begreifen; warum aber auch vor den Kuang-ti-miao, vor den Tempeln des Kriegsgottes? Er hatte mir auf diese Frage nur geantwortet: »Das wirst du erfahren.«

      Dieser Kuang-ti ist, so zu sagen, der chinesische Mars. Er stammt aus der Provinz Sse-tschuen, deren Bewohner auf diese Landsmannschaft außerordentlich stolz sind, und lebte im dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Er war ein ausgezeichneter Krieger, erfocht zahlreiche Siege und machte seinen Namen so berühmt, daß derselbe noch heute im ganzen Reiche eine außerordentliche Popularität besitzt. Die Chinesen erzählen von ihm viele Sagen; sie behaupten, er sei gar nicht gestorben, sondern zum Himmel gefahren und dort unter die Götter versetzt worden. Nun sei er Gott des Krieges.

      Die Mandschu-Dynastie hat ihn bei ihrer Thronbesteigung in feierlicher Weise zum Gott erklärt und zum Schutzgeiste ihres Herrscherstammes erhoben. Die Regierung ließ ihm in allen Provinzen Tempel erbauen, in denen er sitzend abgebildet ist: zur Linken sein Sohn Kuang-pin, vom Kopfe bis zum Fuße bewaffnet, und zur Rechten sein getreuer Stallmeister, der sich auf ein breites Schwert stützt und eine möglichst fürchterliche Miene macht, um aller Welt Angst und Schrecken einzuflößen.

      Der Kultus dieses Kuang-ti gehört zur amtlichen Staatsreligion. Das indifferente Volk bekümmert sich ebensowenig um diesen Mars, wie um die buddhistischen Gottheiten. Seine Tempel werden, gerade wie die ihrigen, zwar von dem gewöhnlichen Manne besucht, aber nicht etwa zum Zwecke der Anbetung, sondern aus ganz anderen Gründen. Man übernachtet da; man hält feil, arrangiert da Familien – und andere Feste und macht es sich so bequem wie in jedem andern Hause. Aber die Beamten, besonders die Militärmandarinen, müssen an bestimmten Tagen diese Miao[69] besuchen, dort vor dem Bilde des Götzen auf die Kniee fallen und dabei duftende Tsan-hiang[70] verbrennen. Die Mandschu haben wohl, als sie diesen Kultus einführten, dabei politische Zwecke verfolgt: er ist ihnen ein Mittel, um Einfluß auf die Soldaten zu üben, und darum haben sie auch die Sage verbreitet, daß Kuang-ti in allen Kriegen, welche die Dynastie geführt hat, sich leiblich habe blicken lassen. Er hat da über ihrem Heere in den Lüften geschwebt und ihnen stets den Sieg verliehen.

      Und jetzt sollte mir dieser brave Götze gefährlich werden? Vielleicht weil ich ein Tao-dse und kein Mandschu war!

      Was die Lung-yin, die »Drachenmänner«, betrifft, so hatte ich über dieselben bereits sehr viel gehört und gelesen. Chinesische Seeräuberdschunken hat es zu allen Zeiten gegeben und giebt es auch noch heute. Diese Räuber auf offener See sind ein mutiges Volk, noch verwegener aber sind die Flußpiraten, welche in denjenigen fließenden Gewässern Chinas, an denen bedeutende Städte liegen, ihr verbrecherisches Wesen treiben. Sie vollführen ihre blitzesschnellen Ueberfälle sowohl bei Tage als bei Nacht, mitten in einer Bevölkerung, die nach Millionen zählt, und haben Verbindungen von den untersten Schichten bis hinauf in die höchsten Mandarinenkreise. Sie bilden weitverzweigte und dennoch enggeschlossene Huis[71], die nach sehr strengen Gesetzen regiert werden, fürchterliche Parasiten im Volkskörper, Raubstaaten im Staate, der sich ihrer nicht erwehren kann. Wenn in einer Stadt von der Bevölkerung Pekings, Nankings oder Cantons täglich eine Anzahl von Menschen spurlos verschwindet, so erregt das keinerlei öffentliche Aufmerksamkeit; wagen sich jedoch die Piraten, was allerdings auch nicht selten geschieht, an einen Ausländer, so treten die Konsuln ein, und es beginnt eine Untersuchung, welche gewöhnlich den Erfolg hat, daß die Verbrecher – straflos entrinnen. Hierzu giebt es Gründe, unter denen jedenfalls einige sind, welche gewisse Mandarinen nicht gern besprechen möchten.

      Endlich schlief ich ein; aber noch im Traume verfolgten mich die Gedanken weiter. Mein Zopf nahm die Gestalt einer Boa constrictor an und schlang sich um meinen Leib, um mich zu erwürgen; der gute Frick Turnerstick saß als oberster Götze in einer Pagode, spie mir Feuer entgegen und schrie: »Reiß aus, Charlung, sonst werdang ich dich fresseng!« Ich floh; aber die Pagode verwandelte sich in einen riesigen Drachen, welcher mich einholte, mich erfaßte, mit mir in die Lüfte stieg und mich dann herunterwarf in einen Haufen von Wassermelonen und Nüssen, die alle lebendig wurden und von mir verspeist sein wollten. Ich that ihnen diesen Gefallen, und als ich die letzte verschluckt hatte, erschien der chinesische Kriegsgott, schnitt mir ein zorniges Gesicht, faßte mich beim Arme, schüttelte mich drohend und rief.

      »Alle Wetter, Charley, wacht doch endlich einmal auf, wenn Ihr nicht tot seid! Oder soll ich Euch etwa den Arm auszerren?«

      Ich schlug die Augen auf und sah mich sehr angenehm enttäuscht: der Furcht erweckende Kriegsgott hatte sich in meinen guten Frick Turnerstick verwandelt.

      »Was giebt es, Kapt’n?,« fragte ich ihn.

      »Was es giebt? Hm, Tag giebt es bereits seit zwei Stunden, und Ihr liegt noch da, ächzt, stöhnt und wimmert, daß es einen Stein erbarmen möchte. Was für ein Unglück ist Euch denn widerfahren, he?«

      »Mir träumte, Ihr säßet als Götze in einer Pagode und wolltet mich verschlingen.«

      »Ich – Euch? Könnte


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<p>69</p>

»Tempel«.

<p>70</p>

Wörtlich: »Räucherwerk aus Thibet«, in Stäbchenform. Man verfertigt die ächten nur in Thibet aus wohlriechenden Hölzern, die man zu Pulver zerstößt und mit Moschus und Goldstaub vermischt. Sie werden vor den Götzenbildern verbrannt und geben einen herrlichen Wohlgeruch.

<p>71</p>

Körper – oder Genossenschaft.