Die Sklavenkarawane. Karl May

Die Sklavenkarawane - Karl May


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zeitig? Ich habe geglaubt, daß er erst um oder gar nach Mitternacht sein Lager verlasse.«

      »Wenn er Hunger hat, geht er früher aus.«

      Diese Fragen und Antworten waren mit lauter, vernehmlicher Stimme gegeben worden. Da kam der Schech vom andern Feuer herbeigeeilt und sagte mit leiser Stimme und in ängstlichem Tone:

      »Um Allahs willen, sprecht nicht so laut, sonst hört er es und kommt herbei. Dann sind wir alle verloren. Horcht!«

      Es erscholl derselbe Laut wieder. Er klang dem Rollen eines schweren Wagens, welcher über eine hölzerne Brücke fährt, sehr ähnlich. Die Kamele zitterten und die Esel drängten sich zusammen.

      »Das also, das ist der Löwe!« sagte Schwarz, mehr zu sich als zu den andern. »Endlich, endlich höre ich seine Stimme in der Freiheit.«

      »O, das ist seine volle und richtige Stimme noch nicht,« meinte der Slowak. »Er versucht sie erst. Er hat Hunger und ist mißmutig; er knurrt einstweilen.«

      »Hast du ihn auch schon gehört?«

      Er bediente sich, dem arabischen Sprachgebrauche angemessen, wieder des Du.

      »Gehört und auch gesehen, und zwar sehr oft.«

      »Ohne von ihm angefallen zu werden?«

      »Er hat mir nie etwas gethan. Es gibt viel feige und wenig wirklich stolze und kühne Löwen. Die feigen kommen heimlich geschlichen und führen den Raub so leise aus, daß man erst am Morgen den Tod oder das Fehlen seines Opfers bemerkt. Ein kühner Löwe aber tritt gleich laut aus seinem Lager. Er sagt es aufrichtig, daß er Hunger hat und jetzt auf Raub ausgehen will. Er nähert sich dem Orte, dem er seinen Besuch zugedacht hat, nur langsam und brüllt dabei von Zeit zu Zeit, damit man sich genau berechnen könne, wann er erscheinen wird. Einen Löwen, der das thut, hält keine Gefahr ab, den Überfall auszuführen.«

      »Wir haben es höchst wahrscheinlich mit so einem zu thun!«

      »Ja. Wenn er wieder brüllt, werden wir hören, ob er zu uns oder nach einem andern Orte will.«

      Zum drittenmal erklang die Stimme des Raubtieres, halb knurrend und halb heulend. Man hörte deutlich, daß sie aus größerer Nähe kam. Die Homr-Araber waren jetzt alle an das zweite Feuer gekommen. Sie fürchteten sich.

      »Er kommt zu uns, er kommt wirklich,« flüsterte der Schech mit vor Angst heiserer Stimme.

      »Du hast dich also geirrt,« antwortete Schwarz, »als du behauptetest, es sei kein Löwe hier an dieser Quelle zu erwarten.«

      »Konnte ich wissen, daß sich einer eingefunden hat? Er haust wohl erst seit wenigen Tagen hier. Wären wir nicht in der Dunkelheit gekommen, so hätten wir wohl die Spuren seiner Tatzen gesehen. Der Bir ist seine Tränke, denn es gibt von hier bis zum Flusse kein andres Wasser.«

      »So kampiert er auf der offenen Ebene?«

      »O nein, Herr. Dreiviertel Stunden von hier gibt es ein Felsgewirr, welches er sich zur Wohnung ausersehen hat, denn seine Stimme erklang genau aus jener Gegend. Ich habe schon viele Löwen beobachtet und weiß, in welcher Weise sie sich nahen. Dieser kommt sehr langsam herbei, denn das Feuer macht ihn bedenklich; aber in einer halben Stunde wird er in der Nähe sein und unser Lager umkreisen.«

      »Um den Raub auch wirklich auszuführen?«

      »Ganz gewiß, Effendi. Er hat es uns laut gesagt und wird sein Wort halten. Beladen wir also schnell unsre Tiere, um diesen bösen Ort augenblicklich zu verlassen!«

      »Fliehen sollen wir?«

      »Ja, und zwar so schnell wie möglich.«

      »Vierzehn Männer? Vor dieser Katze?«

      »Effendi, es ist keine Katze!«

      »Es ist eine, wenn auch eine sehr große. Wer fliehen will, der mag es thun. Aber die Kamele bleiben hier, denn ich habe sie gemietet.«

      »Er wird mir eins zerreißen!«

      »So bezahle ich es dir!«

      »Er kann auch gar mich selbst zerreißen!«

      »In diesem Falle kommst du noch heute in Allahs Paradies; also freue dich darauf.«

      »Ich gehe. Ich will noch leben!«

      »So mache dich von dannen; aber indem du dich von den Feuern entfernst, die auch der Löwe scheut, begibst du dich in eine noch viel größere Gefahr. In der Dunkelheit draußen vermagst du das Tier nicht zu erkennen, und es fällt über dich her, ohne daß du es geahnt hast.«

      »Allah, Allah! Also sollen wir hier bleiben und ruhig warten, wen von uns er sich holen werde?«

      »Nein, denn ich werde ihn töten.«

      »Du? Niemand wird dir beistehen.«

      »Das fordere ich gar nicht.«

      »Also du allein willst dich ihm entgegenstellen? Effendi, bist du toll?«

      »Nein. Ich habe Tiere erlegt, welche ebenso gefährlich wie der Löwe sind. Mit ihm habe ich zwar noch nie gesprochen, aber er wird mit sich reden lassen. Dabei werde ich dafür sorgen, daß er euch nichts thun kann.«

      Jetzt erhob der Löwe seine Stimme wieder. Es war kein Grollen oder Knurren mehr, sondern ein wenn auch nur kurzer, aber doch fürchterlicher Ton, welcher auf die Hörer ganz den Eindruck machte, als ob er ihnen die Kopfhaut empor ziehen wolle.

      »Er ist wieder näher!« jammerte der Schech. »Er hat schon die Hälfte seines Weges zurückgelegt. In einer Viertelstunde ist er da. Meine Kamele, meine schönen Kamele!«

      »Du selbst Kamel! Treffen wir schnell die nötigen Anstalten! Wir müssen ihn zwingen, sich nach der Stelle zu wenden, an welcher ich ihn erwarten werde. Durch das Wasser kommt er nicht, also muß er entweder von rechts oder von links zu uns, weil wir uns mit den Tieren zwischen der Quelle und dem Felsen befinden. Macht hier das Feuer breiter und facht es höher an, so wird er es vermeiden, hier herein zu brechen. Bindet die Tiere fest an die Zweige, daß sie nicht fliehen können. Und dann könnt ihr euch meinetwegen hinter das Gepäck verstecken.«

      »Und du, was wirst du thun, Herr?« fragte der Slowak.

      »Ich gehe auf die andre Seite, lösche dort das Feuer aus, so daß er nicht abgeschreckt wird, und warte, bis er kommt.«

      »Du wirklich ganz allein?«

      »Ja, ich bedarf wahrscheinlich der Unterstützung andrer nicht.«

      Er gab diese Befehle und Antworten mit der Ruhe und Kaltblütigkeit eines Unteroffiziers, welcher auf dem Kasernenhofe seine Leute instruiert.

      Die Araber und auch die Dschelabi hatten sich sehr beeilt, das Feuer zu vergrößern und die Tiere anzubinden. Nun drängten sie sich alle mit Ausnahme des Ungarn und Alis zwischen den Gepäckstücken und der Felswand zusammen. Die beiden Genannten aber waren bei Schwarz geblieben; sie halfen ihm das andre Feuer auszulöschen. Eben, als sie damit fertig waren, ließ sich der Löwe wieder hören, aber dieses Mal in ganz andrer Weise als bisher.

      Ja, das war ein wirkliches Gebrüll, erst dumpf rollend wie ein unter den Füßen hingehendes Erdbeben, dann anschwellend bis zum mächtigen, in der stillen Nacht wohl meilenweit hörbaren Brusttone, welcher in einen durch Mark und Bein schneidenden, wahrhaft satanischen Kehllaut überging, um in einem langgezogenen und nach und nach ersterbenden Donner, unter welchem die Erde zu erzittern schien, wie in weiter Ferne zu verhallen.

      Das war der wirkliche Macht- und Kampfesruf des Königs der Tiere gewesen, und Schwarz erkannte nun, warum die Araber ihm so oft den Namen Abu Rad, Vater des Donners, geben.

      »Er ist höchstens nur noch tausend Schritte entfernt,« hörte man den Schech sagen. »Allah il Allah we Muhammed rassuhl Allah! Betet leise die heilige Fatha und dann laut die Sure der ‚Zerreißung‘, welche die vierundachtzigste des Korans ist! Das Verderben wird nur noch fünf oder sechs Minuten lang das Lager umschleichen und dann über uns hereinbrechen.«

      Die Kamele zitterten und stöhnten vor Angst. Sie lagen eng nebeneinander auf der Erde, die Hälse lang und fest an den Boden geschmiegt. Die Esel schlugen


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