Die Sklavenkarawane. Karl May
so dachte er; aber sie that es nicht. Ihr Auge war auf den vor ihr liegenden Löwen gefallen, ein kurzer Sprung, sie stand vor ihm, stieß ihn mit der Schnauze an, einmal, zweimal, drei-, viermal; dann hob sie den Kopf und stieß ein Geheul aus, ein langgezogenes, wahrhaft haarsträubendes Geheul, welches – — – durch einen Schuß unterbrochen wurde: Der »Vater der elf Haare« war behend aus dem Gestrüpp getreten und hatte, die Mündung seines Elefantenmörders ganz nahe an ihren Kopf haltend, ihr die »ein ganzes Viertelpfund« wiegende Kugel gegeben.
Wie von einem kräftigen Stoße getroffen, flog die Löwin zur Seite, fiel zur Erde, raffte sich wieder auf und wendete den Kopf gegen den neuen Feind. Dieser hatte sein schweres Gewehr schnell umgekehrt und arbeitete, es beim Laufe haltend, nun mit dem eisenbeschlagenen Kolben auf den Schädel des Tieres los, indem er dabei schrie:
»Allah rhinalek, Allah iharkilik, ia afrid el afrid! Ehsch khalak, ia kelb, ia kelbe, ia omm el kilab – Gott verfluche dich, Gott verbrenne dich, du Teufel aller Teufel! Wie befindest du dich, du Hund, du Hündin, du Mutter der Hunde?«
Er schien zu glauben, eine Hyäne und nicht eine Löwin vor sich zu haben. Seine Verwegenheit wäre ihm wohl schlecht bekommen, wenn ihm die Kugel nicht vorgearbeitet hätte. Das Tier war auf den Tod getroffen; es hatte keine Kraft mehr zur Gegenwehr und brach unter seinen Schlägen zusammen.
»Da liegt sie!« rief er triumphierend aus. »Hier zu meinen Füßen liegt sie. Ich habe sie erschlagen wie eine Katze. Sie hat nicht den Mut gehabt, mir ihre Zähne und Krallen zu zeigen. Komm her und schau sie an!«
Er beugte sich zu ihr nieder, um sie anzufassen, doch Schwarz zog ihn zurück und sagte:
»Sei vorsichtig! So ein Tier hat ein zähes Leben, und noch wissen wir nicht, ob sie wirklich tot ist. Wir wollen sicher gehen.«
Er lud sein Gewehr und gab dem Löwen und der Löwin noch je eine Kugel vor die Stirn. Die letztere zuckte noch einmal zusammen; sie war also doch noch nicht ganz tot gewesen.
Die beiden hatten laut gesprochen, waren also von den andern gehört worden. Jetzt fragte Abu Dihk, indem er sich langsam näherte:
»Habt ihr gesiegt? Darf man kommen?«
»Ja,« antwortete der Slowak. »Wir haben gesiegt. Ihr könnt kommen, unsre Heldenthat zu preisen, denn der Würger der Herden ist hinübergegangen in das Land des Todes und seine Frau mit ihm. Sie sind durchbohrt worden von den Kugeln und niedergeschlagen von dem Kolben meines glorreichen Katil elfil, dem niemand widerstehen kann.«
Abu Dihk kam herbei und ergriff erst den Löwen, dann die Löwin bei den Pranken, um sie hin und her zu zerren und sich von ihrem Tode zu überzeugen.
»Sieh, wie sie es sich gefallen lassen!« sagte der kleine Stephan stolz, indem er sich seine »elf« Barthaare strich. »Nachdem wir mit diesen Löwen durch unsre Kugeln gesprochen haben, kannst du mit ihnen wie mit jungen Katzen spielen.«
»Hadschi Ali hat auch mitgesprochen,« erinnerte ihn Schwarz. »Der Tapfere hat bei uns gekniet und den Löwen mit dem Spieße empfangen. Wir werden bald erfahren, wer von uns dreien ihm und ihr den Tod gebracht hat, demjenigen, der ein Tier erlegt, gehört das Fell. Jetzt holt einen Brand herbei, damit wir das Feuer wieder anbrennen.«
Obgleich die Araber und Dschelabi jedes Wort hörten, getrauten sie sich doch noch nicht herbei. Als die beiden Kleinen zu ihnen kamen, um Brände zu holen, krochen die Zaghaften hinter den Gepäckstücken hervor, und der Schech fragte:
»Ihr lebt? Ihr seid nicht von dem Herrn mit dem dicken Kopfe verschlungen worden und auch nicht von seiner Frau?«
»Das fragst du noch!« antwortete Stephan. »Ich lasse mich weder von einem Herrn noch von einer Frau verschlingen. Merke dir das! Und selbst wenn der leibhafte Schetan käme, um mich zu fressen, so fragt es sich sehr, wer in dem Magen verschwände, er in dem meinigen oder ich in dem seinigen. Kommt und seht euch das glorreiche Werk an, welches wir vollbracht haben, ohne daß der Herdenwürger und seine Goze el assad es gewagt haben, uns ein Haar zu krümmen!«
Sie folgten dieser Aufforderung, aber nicht allzu eilig. Als sie sich so weit genähert hatten, daß sie die Körper der erlegten Raubtiere liegen sahen, blieben sie stehen. Erst als das Feuer wieder brannte und sie sahen, daß die Tiere von den drei glücklichen Jägern hin und her gewendet wurden, gingen sie ganz heran.
Nun endlich, da sie vollständig überzeugt sein mußten, daß nicht die geringste Gefahr mehr vorhanden sei, wich ihre Furcht. Sie bildeten einen Kreis um die beiden Tiere, und der Schech erhob, die andern zum Schweigen auffordernd, seine Arme.
»Allah il Allah we Muhammed rassuhl Allah!« sagte er in pathetischem Tone. »Er hat Himmel und Erde geschaffen, die Pflanzen und die Tiere und zuletzt den Menschen. Und als alles geschaffen war, schuf er noch den Moslem, damit er Herr über alles Erschaffene sei. Ihm sind selbst die gewaltigsten Tiere unterthan, und wenn sie ihm nicht gehorchen, so tötet er sie mit starker Hand. Dieser Mörder der Pferde, Kamele, Rinder und Schafe, welcher hier vor uns liegt, hatte Hunger. Anstatt sich mit dem Fleische eines unreinen Halluff oder Wawi zu begnügen, hatte er die Verwegenheit, uns, die Lieblinge des Propheten, welcher das Paradies regiert, fressen zu wollen. Er hatte sein Weib mitgebracht, welches nicht einmal seine rechtmäßige Frau ist, denn als er sie nahm, hat kein Kadi sich unterschrieben. Sie lechzten nach unserm Blute. Sie freuten sich auf unser Fleisch und auf den Wohlgeschmack unsrer Knochen. Sie wollten uns verzehren ohne Chall und Zet, ohne Zibd und Bahahr, ganz so, wie der Racham eine gefallene Dibb verschlingt. Aber Allah war in unsrer Nähe. Wir beteten die heilige Fathha und die Sure Jesin, deren Worte den Gläubigen in der Gefahr beschützen. Da kam der Mut der Helden und die Kraft des Sieges über uns. Wir griffen zu den Waffen und sandten den menschenfressenden Teufel und seine Teufelin in die Hölle, wo sie nun am ewigen Feuer braten und kein Mensch sie essen mag. Wir triumphieren, und unsre Kindeskinder nebst deren Enkel und Urenkel werden uns preisen. In allen Städten und Dörfern wird man von uns erzählen, und die Musikadschi werden dazu die Pauken schlagen und auf allen Saiten spielen. Wir aber wollen jetzt unsern Sieg genießen und den Erschlagenen die Felle abziehen. Vorher jedoch müssen wir ihnen zeigen, wie sehr wir sie verachten, und daß sie Schmutz und Würmer sind gegen uns, die starken Helden, welche niemals Furcht gekannt haben!«
Er trat erst zum Löwen und dann zur Löwin, um beide anzuspucken. Kaum hatte er dieses Zeichen gegeben, so folgten die Homr und Dschelabi seinem Beispiele. Die Tiere wurden mit Fäusten geschlagen, mit den Füßen getreten und mit allen möglichen Schimpfworten, welche Verachtung bezeichnen, bedacht.
Dies dauerte wohl eine Viertelstunde lang, wobei die Leute sich wie verrückt gebärdeten. Dann zog der Schech sein Messer und sagte:
»Jetzt haben sie gefühlt und auch gehört, wie verächtlich sie uns sind. Nun wollen wir ihnen die Kleider nehmen, um uns mit denselben zu schmücken. Dem Sieger gehört das Fell des Besiegten. Wenn wir dann heimkehren zu den Zelten der Homr, werden die Männer uns beneiden und die Frauen uns mit Lobgesängen empfangen.«
Die andern Araber zogen auch ihre Messer.
»Halt!« gebot Schwarz. »Wir werden diesen Tieren die Felle allerdings nicht lassen; aber wer soll sie bekommen?«
»Die Sieger!« antwortete der Schech.
»Und wer ist das?«
»Wir alle sind es.«
»Ah, so! So sollen die Felle in vierzehn Stücke zerschnitten werden?«
»Nein, denn was wären sie dann wert? Aber du weißt, daß ich der Schech bin!«
»Das weiß ich, doch was hat dieser Umstand mit den Fellen zu thun?«
»Der Schech hat sie zu bekommen.«
»Das ist bei euch Sitte?«
»Ja.«
»Und vorhin sagtest du, daß das Fell des Besiegten dem Sieger gehöre?«
»Ja. Wenn aber mehrere Sieger vorhanden sind, so bekommt es der vornehmste. Der bin ich, und die Felle dürfen ja nicht zerschnitten werden.«
»Sonderbar! Du bist also auch ein Sieger?«
»Natürlich! Oder war ich etwa nicht auch zugegen?«
»Und