Die Sklavenkarawane. Karl May
starken, eisenbeschlagenen Spieß, welcher seine einzige Waffe bildete.
»Zieht euch jetzt zurück!« flüsterte der erstere den beiden andern zu.
»Herr, du allein vermagst es nicht,« antwortete der Slowak.
»Sorge dich nicht um mich! Zu deiner Beruhigung will ich dir sagen, daß ich auf den Jagdgefilden Nordamerikas noch größere Gefahren glücklich überstanden habe.«
»Das mag sein; aber ich habe dich liebgewonnen und werde dich nicht verlassen.«
»Du wirst mir mit deinem Feuerprügel nur Schaden machen!«
»O nein, Herr. Es ist mein Katil elfil, dessen Kugel dem Löwen durch den ganzen Körper gehen wird. Sag, was du willst, ich bleibe bei dir!«
Sein Ton war ein so entschlossener, daß Schwarz einsah, der treue, mutige kleine Kerl lasse sich gewiß nicht abweisen. Der Augenblick der Entscheidung nahte, es durfte keine Sekunde durch zwecklose Reden vergeudet werden. Darum sagte der Doktor:
»Nun gut, so halte dich an meine Seite, aber schieß ja nicht eher, als bis ich selbst zwei Kugeln abgegeben habe!«
Er untersuchte sein Gewehr noch einmal, trat um vielleicht zehn Schritte vor und legte sich da lang auf den Boden nieder, den linken Ellbogen auf die Erde gestemmt, um in dem Vorderarme einen festen Stützpunkt für den Lauf zu haben.
Als der Slowak sich in gleiche Stellung neben ihm niedergelassen hatte, hörten sie hinter sich ein leises Geräusch. Sie sahen sich um und erblickten Ali, den »Vater des Gelächters«, welcher hart hinter ihnen auf einem Knie ruhte, in beiden Händen die Lanze, mit der Spitze nach vorn gerichtet, das andre Ende fest in den Boden gestoßen, so daß sie selbst durch einen starken Anprall nicht aus ihrer die an der Erde Liegenden beschützenden Lage gebracht werden konnte.
»Was willst denn du?« fragte Schwarz fast zornig.
»Wenn Ihr ihn nicht sofort tötet, wird er durch die Luft nach euch springen,« antwortete der Gefragte. »Dann schnellt euch von hier fort, und ich fange ihn mit der Lanze auf, daß er sich spießt.«
Schwarz wollte antworten, wurde jedoch durch ein abermaliges Brüllen des Raubtieres daran verhindert. Es klang jetzt fast noch schrecklicher als vorher, und ganz nahe. Der Löwe war gewiß nicht mehr hundert Schritte von ihnen entfernt.
Da mußte selbst den Kühnsten ein Grauen überlaufen, doch die Nähe der Entscheidung macht das Auge und den Arm des Mutigen sicher und läßt sein Herz noch ruhiger als vorher schlagen.
»Zitterst du?« fragte der Ungar.
»Nein,« antwortete Schwarz.
»Ich auch nicht. Er kann kommen!«
Die drei hatten hinter sich das Lager. Dort brach der Löwe höchst wahrscheinlich nicht ein, da das Feuer ihn zurückschreckte. Zu ihrer Linken lag der Weiher und zur Rechten stieg der Fels empor. Zwischen diesen beiden lag ein vielleicht fünfzehn Fuß breiter Raum, in dessen Mitte sie sich befanden. Bewährte sich ihre Voraussetzung, daß das Raubtier von dieser Seite kommen werde, so konnte es ihnen nicht entgehen; es mußte an ihnen vorüber oder über sie hinweg.
Schwarz hatte seine Schutzbrille abgenommen und hielt das vor ihm liegende Terrain scharf im Auge. Da – sie schraken wirklich zusammen – ertönte das Brüllen jenseit des Wassers, hart am Rande desselben, nicht zwanzig Schritte von ihnen entfernt.
»Jetzt aufgepaßt!« flüsterte der Slowak.
Die Gefahr verdoppelte die Schärfe ihrer Augen. Das Gehör war ihnen nichts mehr nütze, denn infolge des letzten Gebrülles fing der Schech jetzt an, mit lauter Stimme die vorhin von ihm bezeichnete Sure zu beten:
»Im Namen des allbarmherzigen Gottes. Wenn der Himmel zerreißt, pflichtgezwungen und seinem Herrn gehorchend, wenn die Erde sich ausdehnt und herauswirft, was in ihr ist, dann, o Mensch, wirst du dich bemühen, zu deinem Herrn zu gelangen – — —«
Während er in jammerndem Tone fortfuhr, hätte Schwarz ihn am liebsten niederschlagen mögen. Seine laute Stimme machte die leisen Schritte des Löwen unhörbar und konnte infolgedessen sehr leicht die Ursache des Verderbens der drei mutigen Männer sein.
Nun mußten die Augen doppelt angestrengt werden. Aber nicht sie waren es, welche den mächtigen Feind zuerst bemerkten, sondern der Geruch überzeugte die peinlich Wartenden, daß der Augenblick der Entscheidung gekommen sei. Jene scharfe, penetrante Ausdünstung, welche den Raubtieren eigen ist und in jeder Menagerie beobachtet werden kann, erfüllte plötzlich die Luft, und da – — da trat er um das dichte Gestrüpp, nicht schleichend nach Tiger- oder Pantherart, sondern stolz aufgerichtet, langsamen und sichern Schrittes wie ein Herrscher, der sich in seinem Reiche weiß und es verschmäht, das, was er durch offenen Befehl erlangen kann und muß, durch niedrige Heimlichkeit zu erreichen.
Seine weitgeöffneten Augen durchforschten den Rand des dichten Buschwerkes nach einem Durchweg zu der gesuchten Beute. Da fiel sein Blick auf die drei bewegungslosen Gestalten. Er zuckte und warf sich schnell auf die Erde nieder, um den Feinden nicht die leicht verletzliche Brust zu bieten. Dann musterte er sie mit einem großen, mächtigen Blicke.
Schwarz empfand ein Gefühl, als ob man ihm mit einem Eiszapfen über das Rückgrat streiche, doch gelang es seiner Willenskraft, dasselbe zu überwinden. Er hatte die Berichte berühmter Löwenjäger gelesen, und er kannte daher das Benehmen des Tieres in einer Situation wie die gegenwärtige.
Thut der Löwe den Sprung nicht sofort, nachdem er den Feind erblickt hat, so legt er sich nieder, die hintern Pranken eingezogen und die vordern nach vorn gestreckt. Er schließt die Augen fast ganz und betrachtet den Feind durch einen dünnen Spalt der Lider. Hat er seinen Entschluß gefaßt, so hebt er den Hinterkörper ein wenig empor, um dadurch die Schnellkraft seiner Schenkelmuskeln zu erhöhen; seine Augen öffnen sich langsam, und in dem Momente, wo die Lider ganz emporgezogen sind und die sich wie ein Feuerrad bewegende Pupille voll zu sehen ist, thut er den verderblichen Sprung.
Der Schütze muß auf eins der geöffneten Augen zielen und kurz vor dem Momente des Sprunges abdrücken. Der Löwe thut, durch das Auge in das Gehirn getroffen, seinen letzten Sprung und erhält dabei den zweiten Schuß, noch während er in der Luft schwebt, in das Herz. In demselben Augenblicke muß sich der Jäger weit zur Seite werfen, um nicht von den Tatzen des verendenden Tieres noch ergriffen und verwundet zu werden.
Ganz entgegengesetzt dieser Theorie hielt dieses Tier die Augen geöffnet und sandte einen so langen, langen Blick herüber, als könne es sich ganz und gar nicht erklären, was für Geschöpfe es vor sich habe.
Das wollte Schwarz benutzen. Er richtete den Lauf seines Gewehres nach dem Kopfe des Löwen, um demselben einen Schuß in das Licht zu geben. Aber da schloß das Tier die Augen und knurrte grimmig, als ob es die Absicht des Schützen ganz genau kenne.
Es dauerte eine lange Zeit, bevor es die Lider wieder öffnete, aber nur ganz wenig. Dennoch glühte es zwischen denselben in einem Scheine hervor, welcher demjenigen einer hellgrünen Papierlaterne glich.
Die Sterne leuchteten so hell hernieder, daß man den Löwen ganz deutlich sah. Er lag hart auf dem Boden, den Kopf auf die beiden Vorderpranken gesenkt und den langen Schwanz gerade ausgestreckt. Schwarz sah ein, daß er mit dem Schusse nun noch warten müsse, bis das Raubtier die Augen weiter öffnete und den Hinterleib erhob. um sich zum Sprunge anzuschicken. Dieser Meinung schien der »Vater der elf Haare« aber nicht zu sein, denn er raunte ihm zu:
»Jetzt ist die richtige Zeit. Schieß nun!«
»Nein; noch warten!« antwortete Schwarz.
»So schieße ich, denn dann ist es zu spät.«
»Um Gottes willen noch nicht, weil —«
Er konnte nicht weiter reden; seine Warnung kam zu spät, denn zugleich mit seinen Worten hatte der Slowak den Lauf seines »Elefantenmörders« auf den Kopf des Löwen gerichtet. Das alte Mordgewehr war nicht gut gehalten worden. Wer weiß, wenn der jetzige Besitzer den letzten Schuß aus demselben abgegeben hatte. Darum bewegten sich die Teile des Schlosses nur schwer. Der »Sohn der Blattern« mußte alle Kraft seines Zeigefingers anwenden, um abzudrücken, und dadurch kam der Lauf aus der Lage.