Im Lande des Mahdi I. Karl May

Im Lande des Mahdi I - Karl May


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einer tiefen Verbeugung um den Zettel zu bitten. Hinter ihm erschien der Schwarze, um die Lampe anzubrennen. Als beide sich entfernt hatten, kam Nassyr wieder. Er war wegen des Abendessens im Harem gewesen und hatte da den Auftrag erhalten, mir folgende Botschaft mitzuteilen:

      »Herr, du bist ein großer Arzt. Dein Mittel hat geholfen; die Zahnschmerzen sind vollständig verschwunden und nicht wiedergekehrt. Kannst du auch andere Krankheiten heilen?«

      »Ja. Hast du noch einen Patienten im Hause?« antwortete ich.

      »Leider! Meine Schwester ist es.«

      »Woran leidet sie?«

      »An einer Krankheit, von welcher eine Frau oder ein Mädchen nicht gern spricht. Aber du hast ihr Vertrauen errungen, und so hat sie mich beauftragt, aufrichtig mit dir zu sein. Sie verliert nämlich seit einiger Zeit die Zierde ihres Hauptes.«

      »Das Haar? Dann mußt du mir freilich einige Fragen beantworten, die man sonst nicht ausspricht, zu denen aber der Arzt sehr wohl berechtigt ist.«

      »Frage getrost! Ich werde dir Auskunft erteilen.«

      »Wie alt ist deine Schwester?«

      Er zögerte doch, mir Auskunft zu geben, da diese Frage im Oriente eigentlich die größte Rücksichtslosigkeit enthält; vielmehr erkundigte er sich:

      »Ist es denn unumgänglich notwendig, das zu wissen?«

      »Allerdings.«

      »Nun, so will ich dir sagen, daß Letafa, im zweimal zehnten Jahre steht.«

      Im Oriente ist ein Mädchen mit zwanzig Jahren schon alt, dennoch war der Name geeignet, den Schluß zu ziehen, daß diese Dame sich im Besitze anziehender Eigenschaften befinde, denn Letafa bedeutet die Liebenswürdige. Um so nüchterner mußte meine Frage klingen:

      »Ist‘s wirkliche Kahlköpfigkeit, an welcher sie leidet?«

      Aufrichtig gestanden, sprach ich diese Worte nur aus, um zu sehen, welchen Eindruck sie auf ihn machen würden. Er schlug die Hände zusammen, machte ein Gesicht, als ob er eine Ohrfeige erhalten habe, und rief aus:

      »O Allah, Allah, welch eine Frage! Wie unglücklich müssen sich die Frauen der Franken fühlen, da sie von ihren Ärzten gezwungen werden, solche Auskünfte zu erteilen!«

      »Wer Heilung finden will, muß aufrichtig sein.«

      »So kannst du nicht helfen, ohne zu wissen, wie viel Haare meine Schwester verloren hat?«

      »Nein, ganz gewiß nicht.«

      »So muß ich dir sagen, daß sich gerade mitten auf ihrem Haupte eine runde, haarlose Stelle befindet, welche fast die Größe eines Maria-Theresien-Thalers hat.«

      »Und ist die Patientin einmal von einer schweren, langwierigen Krankheit befallen gewesen?«

      »Nie.«

      »Dann kann ich vielleicht helfen, aber ich muß die kahle Stelle des Kopfes sehen.«

      »Bist du toll!« rief er aus. »Kein Anhänger des Propheten darf ein Mädchen sehen, und du bist gar ein Christ!«

      »Ich will nicht das Mädchen, nicht das Gesicht sehen, sondern nur die kleine Stelle des Kopfes.«

      »Das ist noch schlimmer. Ein Weib wird einem Manne lieber ihr ganzes Gesicht, als eine kahle Stelle ihres Kopfes zeigen.«

      »Hier bin ich nicht Mann, sondern Arzt. Wer Hilfe finden will, darf sich nicht vor meinen Augen scheuen.«

      »Nun gut! Die Hände zu zeigen, das ist allenfalls erlaubt. Die sollst du zu sehen bekommen.«

      »Das führt zu nichts. Nicht die Hände sind krank, sondern der Kopf ist es; ich muß unbedingt die betreffende Stelle sehen. Da dies aber nicht geschehen kann, so ist es mir unmöglich, der Patientin die Zierde ihres Hauptes wiederzugeben.«

      »Herr, das ist grausam und ganz gegen unsere Gebräuche!«

      »Ich gebe das zu, muß aber auf meinem Verlangen bestehen. Entweder geht deine Schwester auf dasselbe ein, oder sie behält den kahlen Fleck, der sich immer mehr vergrößern wird, bis er den ganzen Kopf einnimmt.«

      »O Unglück, o Herzeleid! Was ist da zu thun? Wenn der Bräutigam diesen Mangel erblickt, wird er mir die Schwester zurückschicken. Das darf nicht sein; sie wird sich vielleicht fügen. Ich werde hinauf zu ihr gehen und sie fragen.«

      Er wendete sich zur Thüre. Schon hatte er dieselbe geöffnet, da drehte er sich um und fragte:

      Muß es wirklich und auf alle Fälle sein?«

      »Unbedingt!«

      »So muß ich diesen bösen Auftrag auf mich nehmen.«

      Er ging. Ich war schon überzeugt, daß es sich um eine sogenannte kreisförmige Kahlheit handle; aber ich wollte mit voller Absicht mein Verlangen erfüllt haben. Nassyr sollte erfahren, daß es schwer sei, mir etwas abzudingen. Nach einiger Zeit kehrte er zurück und meldete.

      »Herr, es ist mir gelungen. Letafa geht auf deinen Wunsch ein. Zwar darf sie dich nicht oben bei sich empfangen, und es ist ihr auch verboten, einen Raum zu betreten, welcher von einem Manne bewohnt wird; aber ihr werdet euch in einem Zimmer treffen, welches neutral ist, weil niemand es bewohnt. Wenn sie ihre Vorbereitungen getroffen hat, wird sie es uns wissen lassen.«

      Jetzt kehrte Selim mit meinen Sachen aus dem Hotel zurück. Er trat mit großer Hast herein, vergaß ganz, seine Verbeugung zu machen, und meldete mir:

      »Effendi, es ist ein großes Unglück in der Nähe! Zwei Polizeisoldaten suchen dich.«

      »Mich? Suchen sie mich denn hier?«

      »Ja. Sie langten zu gleicher Zeit mit mir draußen vor dem Hause an.«

      »Wie könnte die Polizei mich kennen! Haben sie dir einen Namen genannt?«

      »Nein. Sie fragten nach dem Manne, welcher mit zwei schwarzen Kindern hier eingetreten ist.«

      »Damit bin freilich ich gemeint. Hast du ihnen gesagt, daß ich hier bin?«

      »Ja.«

      »Dummkopf!« schrie ihn sein Herr an. »Das solltest du nicht sagen. Das ist im höchsten Grade albern von dir!«

      Selim bog den Rücken, daß er mit den Beinen einen rechten Winkel bildete, und antwortete im Tone der Zerknirschung-

      »Richtig, sehr richtig!«

      »Zanken Sie nicht!« beschwichtigte ich den Türken. »Man hat mich jedenfalls gesehen; die Polizisten wissen, daß ich hier bin, und das Leugnen hätte also nur die Folge, daß die Angelegenheit sich für mich verschlimmerte. Die beiden Beamten wollen also wohl mit mir sprechen?«

      »Ja, sogleich!« antwortete der Haushofmeister.

      »So bringe sie herein!«

      Selim ging, und Murad Nassyr meinte in ängstlichem Tone:

      »Ich entferne mich! Man muß denken, daß ich von dieser Sache nichts weiß, daß ich mit derselben gar nichts zu schaffen habe.«

      »Nein; es ist besser, Sie bleiben hier.«

      »Warum?«

      »Damit Sie hören, wie ich mich und Sie aus der Schlinge ziehe. Man soll weder mir noch Ihnen nachsagen, daß wir uns vor der Polizei fürchten. Ich habe ganz nach Recht und Gesetz gehandelt, und Sie dürfen mich nicht verleugnen, sondern Sie müssen durch Ihre Anwesenheit erklären, daß Sie mit mir einverstanden sind.«

      »Meinen Sie? Nun gut; es ist möglich, daß Sie recht haben, und ich will also bleiben. Aber die Kinder wollen wir verbergen.«

      »Wozu? Ich habe doch nicht die Absicht, zu verheimlichen, daß sie sich hier befinden, also kann ich sie auch sehen lassen. Setzen Sie sich ruhig zu mir nieder! Ich bin begierig, zu erfahren, in welcher Weise diese Polizisten die Angelegenheit zum Vortrag bringen.«

      Im Laufe des Gespräches waren uns die Pfeifen ausgegangen. Da der Neger nicht sofort bei der Hand war, steckten wir sie uns selbst wieder an und sahen nun in möglichst würdevoller Haltung dem Eintritte der Beamten entgegen. War ich der Ansicht


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