Im Lande des Mahdi I. Karl May
ist mir alles klar, und nun will ich dir eine sehr wichtige Frage vorlegen. Kennst du die Gesetze dieses Landes?«
»Natürlich kenne ich sie.«
»Ist die Sklaverei erlaubt?«
»Nein.«
»Weißt du, aus welcher Gegend diese Kinder stammen?«
»Abd el Barak teilte mir mit, daß sie Abkömmlinge der Dongiol seien.«
»Das ist richtig. Aber sie sind nicht etwa hier in Ägypten, sondern in der Heimat dieses Stammes geboren. Sie wurden vor ungefähr zwei Jahren, als die Sklaveniagd längst verboten war, geraubt, und Abd el Barak hat sie gekauft. Sie sind nicht seine Diener, sondern er hat sie zu Sklaven gemacht und an andere Leute vermietet. Den Lohn steckte er in seine Tasche; sie aber bekamen statt des Essens Schläge, wenn sie nicht genug Geld zu ihm brachten. So steht die Sache. Will Abd el Barak die Kinder haben, gut, so mag er einen Prozeß mit mir beginnen und sich an die Behörde wenden. Ich werde beweisen, daß er sie gekauft hat, und ihn bestrafen lassen. Es wird kein besonderer Ruhm für den Vorsteher einer so frommen Verbrüderung sein, wenn ihm nachgewiesen wird, daß er Sklaven hält und sie des Nachts krumm schließt, wenn sie ihm nicht genug verdienen. Ihr aber seid Wächter des Gesetzes und solltet euch hüten, eure Hände dadurch zu besudeln, daß ihr sie einem Sklavenhalter zur Verfügung stellt. Ich will vergessen, wie grob ihr gegen mich gewesen seid, will auch annehmen, daß ihr euch nicht länger mit dieser Angelegenheit entehren werdet. Darum lasse ich meine frühere Absicht, mich über euch zu beschweren, fallen und will euch sogar einen Bakschisch geben, damit eure Mühe nicht ganz umsonst gewesen ist.«
Ich holte einige Silberstücke hervor, welche sie sofort in ihren Taschen verschwinden ließen, wobei der eine meinte-.
»Herr, du hast Worte des Verstandes und der Weisheit gesprochen, und ich werde Abd el Barak mitteilen, daß es klug von ihm gehandelt sein wird, wenn er es aufgiebt, dir die Kinder wiederzunehmen. Allah gebe dir fröhliche Tage und ein langes Leben!«
Er kreuzte die Arme über die Brust und verbeugte sich höflich; sein Gefährte folgte diesem Beispiele, und dann verschwanden sie.
Mein dicker Türke hatte vor Erstaunen über diese Wendung der Angelegenheit seine Pfeife ausgehen lassen. Er blickte mich mit großen Augen an, schüttelte sehr nachdrücklich den Kopf und meinte:
»Ist das möglich? Sie scheinen trotz Ihrer Grobheit gewonnen zu haben, Effendi!«
»Nicht trotz, sondern wegen meiner Grobheit. Man muß diese Leute zu behandeln wissen. Der Bakschisch hat dann dem Ganzen die Krone aufgesetzt. Ich sage Ihnen, die hiesigen Beamten haben vor einem europäischen Konsul viel mehr Angst als vor dem Großsultan. Unsere Herrscher verstehen ihre Unterthanen zu schützen, während der Wille des Padischah hier fast gar keine Geltung hat.«
»Aber ob die Sache wirklich zu Ende ist, das fragt sich noch!«
»Nein, sie ist noch nicht zu Ende. Abd ei Barak wird es nicht wagen, sich vor Gericht über mich zu beschweren; aber dafür wird er heimlich Rache nehmen. Ich muß von jetzt an sehr vorsichtig sein.«
»So weiß ich nicht, ob ich Ihnen hier in dieser Wohnung Schutz bieten kann!«
»Sie vermögen es nicht. Ich muß mir einen andern Ort suchen.«
»Aber wo? Im Hotel oder vielleicht bei Ihrem Konsul?«
»Im Hotel bin ich nicht sicher, und den Konsul will ich nicht belästigen. Ich werde morgen die Stadt verlassen.«
»Die Stadt, also mich verlassen? Also auch mich? Das kann ich nicht zugeben. Wir würden uns nicht wiedertreffen.«
»O doch. Ich benutze ein Nilboot oder ein kleines Segelboot, um mit den Kindern eine Strecke nilaufwärts zu fahren, und erwarte Sie dort, um, wenn Sie kommen, zu Ihnen an Bord zu steigen.«
»Kann ich mich darauf verlassen?«
»Gewiß; ich halte mein Wort. Ihr langer Selim mag noch heute hinab nach dem Hafen gehen, um sich zu erkundigen, wann ein Boot abgeht. Ich selbst mag mich heute nicht sehen lassen.«
»Und die Kinder wollen Sie mitnehmen?«
»Ja, denn ich hoffe, in Chartum Gelegenheit zu erhalten, sie zu den Dongiol schicken zu können. Ich habe mich ihrer einmal angenommen und will nicht bei dem Anfang stehen bleiben. Einen Schaden werden wir davon nicht haben; ich bin vielmehr überzeugt, daß wir an ihnen während der Fahrt sehr treue und aufmerksame Diener besitzen werden.«
»Das gebe ich zu und werde dafür sorgen, daß es ihnen unterwegs an nichts gebricht. Eigentlich aber bin ich auch noch jetzt der Ansicht, daß es besser gewesen wäre, wenn Sie sich gar nicht mit ihnen eingelassen hätten.«
Er sagte das in einer Weise, welcher ich entnahm, wie ernst gemeint es war. Er war einmal nicht Gegner der Sklaverei; ich konnte das nicht ändern.
Bald darauf kam der Neger, um uns mitzuteilen, daß die Herrin uns erwarte. Draußen stand die schwarze Dienerin, welche ich vom Zahnschmerz befreit hatte. Sie leuchtete uns die schmale Treppe empor und führte uns in ein Zimmer, welches vollständig leer und unmöbliert war. Nur ein kleiner Teppich war in der Mitte ausgebreitet. Nachdem die Dienerin dem Dicken die Lampe übergeben und sich entfernt hatte, trat eine tief verhüllte, weibliche Gestalt ein, Letafa, die Schwester meines Türken. Ihre Erscheinung harmonierte nicht im mindesten mit dem lieblichen Namen, den sie trug. Ich sah einen weißen Kleiderballen, aus welchem unten zwei kleine Pantoffel hervorschauten. Der Knäuel bewegte sich langsam nach der Mitte des Zimmers und ließ Sich, ohne einen Laut von sich zu geben, dort auf den Teppich nieder. Dann fuhr unter der dichten Hülle eine Hand nach oben, und da, wo ich der Notwendigkeit nach den Kopf vermutete, wurde der Zipfel eines Tuches ein klein wenig zurückgezogen.
»Jetzt!« nickte mir Murad Nassyr zu. »Wollen Sie es sich ansehen?«
Er näherte sich der Gestalt, um zu leuchten, wendete aber das Gesicht seitwärts, damit sein Auge nicht auf den Flecken in der Zierde des Hauptes seiner Schwester fallen könne. Ich aber sah mir denselben genau an. Ja, es gab da mitten im starken, dichten Haar eine runde, ganz kahle Stelle, welche durch mikroskopische Pilze entstanden war.
»Werden Sie es heilen können?« fragte Nassyr.
»Ich hoffe es. Wahrscheinlich wird die Zierde dieses Hauptes schon in einigen Wochen wieder erschienen sein.«
»Allah gebe es! Und ich werde es Ihnen danken. Wie heißt das Mittel, welches man anzuwenden hat?‹,
»Sie finden es hier in Kairo in jeder Apotheke. Man nennt es da EI Milh el hamid, und für einen halben Piaster wird für die ganze Kur ausreichen. Man löst es in einer Flasche voll Wasser auf und betupft damit täglich einmal die kahle Stelle. Das Mittel hat schon vielen geholfen, ist aber bei einem vollständigen Kahlkopfe freilich ohne Wirkung.«
Diese Worte erregten die Freude der Dame in der Weise, daß sie jetzt ihre Stimme vernehmen ließ.
»Meinen Dank; ich danke Ihnen!« hörte ich sie leise sagen; dann erhob sie sich und verließ mit Bewegungen, welche die Bezeichnung elegant freilich nicht verdienten, das Zimmer.
Der verbeugungssüchtige Haushofmeister erhielt, als wir wieder nach unten kamen, den Befehl, da er nach dem Hafen mußte, das Mittel gleich mitzubringen, und einige Zeit später wurde uns das Abendessen aufgetragen. Es bestand aus einer großen Platte mit einem ellenhohen Berg von fettem Pillaw und aus einer zweiten Platte mit Kebab, an Hölzern gebratenen Fleischstückchen. Ich schätzte diese Bratenstücke auf gewiß sechs Pfund und dachte dabei der orientalischen Sitte, daß die Diener bekommen, was die Herren übrig lassen. Das Ganze sah höchst appetitlich aus und war jedenfalls von den weißen Händchen Letafas, der »Liebenswürdigen«, zubereitet worden. Das erhöhte meinen Appetit; ja, ich hatte beinahe Hunger, da mir vorher nur ein Hühnerbein zu teil geworden war. Man kann sich also denken, daß ich mich gar nicht nötigen ließ. Gabeln gab es nicht und Löffeln noch viel weniger. Wir aßen also orientalisch; das heißt, wir langten mit den Händen in den Haufen, ballten den Reis zu Kugeln und führten diese in den Mund. »Führten«, das kann ich allerdings nur auf mich beziehen, denn der Dicke führte nicht, sondern er warf. So oft er eine Kugel geformt hatte, öffnete er den Mund, warf sie hinein, klappte ihn zu,