Im Lande des Mahdi I. Karl May

Im Lande des Mahdi I - Karl May


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traf die Öffnung stets auf das genaueste. Zum öfteren Reinigen der Hände waren an Stelle der Servietten halb aus einander geschnittene Citronen vorhanden. Ich beeilte mich so sehr wie möglich, konnte es aber meinem Partner nicht gleichthun. Wenn ich eine Reiskugel überwältigt hatte, waren bei ihm vier oder fünf verschwunden. Glücklicherweise bin ich kein starker Esser und hatte also bei der Größe des Reisberges die gerechteste Hoffnung, satt zu werden. Eben nahm ich wieder eine halbvolle Hand davon, fühlte aber, daß ich Widerstand fand. Ich zog und zog – — ein, zwei, drei, vier lange, dunkle Frauenhaare aus dem Pillaw. Dabei mochte sich mein Gesicht auch etwas in die Länge ziehen, denn Nassyr wurde aufmerksam und fragte:

      »Was ist‘s? Haben Sie sich die Lippen verbrannt?«

      »Nein. Ich habe eine wichtige Entdeckung gemacht.«

      Ich zeigte ihm die Haare hin. Er zog sie mir aus der Hand, betrachtete sie mit freundlicher Hingebung und meinte:

      »Was ist‘s weiter? Allah läßt beides wachsen, den Reis und auch die Haare. Aus seiner Hand kommt alles.«

      »Aber er läßt den Reis zum Essen und das Haar zum Schmucke wachsen! Gedenken Sie der kahlen Stellen vieler Köpfe! Bedeuten dieselben ein Wunder, wenn man das, was auf den Kopf gehört, im Pillaw findet? Soll ich die Haare essen, gegen deren Verschwinden ich EI Milh el hamid verordnet habe?«

      »Wallah, Tallah! Ich hoffe nicht, daß Sie die Absicht haben, das Haupt meiner Schwester zu beleidigen! Diese Haare waren nicht von ihr, sondern von Fatma, der vorzüglichsten Köchin des ganzen großen Sultanreiches.«

      »Wer ist diese Fatma?«

      »Die Lieblingsdienerin meiner Schwester. Sie ist Meisterin in allen feinen Speisen, und der Wohlgeschmack ihrer Limonaden kommt demjenigen der Paradiesesquelle gleich. Sie werden während der Reise täglich von ihren Speisen essen und also reichlich Gelegenheit finden, ihre Kunst zu preisen.«

      0 weh! Von dieser Fatma essen, deren erster Pillaw mich so vollständig um meinen schönen Hunger gebracht hatte. Das war eine Aussicht, für welche ich mich nicht zu begeistern vermochte. Natürlich brachte ich meine Zunge nicht wieder mit diesem Reise in Berührung; ich hielt mich an den Kebab und mußte da aber sehr behend sein, da der Dicke es für eine Ehrenpflicht zu halten schien, mich nicht an einer Magenüberfüllung ersticken zu lassen. War er in anderer Beziehung ebenso auf seinen Vorteil bedacht, so hatte ich es später sicher zu bereuen, ihm meine Zusage zur Mitreise gegeben zu haben. Damit es meinen kleinen Negern nicht ebenso wie mir ergehen möge, warf ich ihnen einige Fleischstücke zu und formte fleißig Reisklöße, welche sie mit großer Geschicklichkeit auffingen und ebenso geschickt sich einverleibten. Wahrhaftig, die Platten wurden leer! Was der Dicke nicht zu bemächtigen vermochte, das verzehrten die Kinder, welche sich seit langer Zeit nicht ordentlich satt gegessen hatten und deren Augen mir aus Dankbarkeit für meine Fürsorge freudig entgegenstrahlten. Ich sah es ihnen an, daß ich ihre vollste Liebe gewonnen hatte. Sie waren des Arabischen zwar noch nicht sehr mächtig, hatten aber von meinem Gespräch mit dem Polizisten genug verstanden, um zu wissen, wie sehr ich mich geweigert hatte, sie ihrem grausamen Herrn zurückbringen zu lassen.

      Nach dem Essen hob Nassyr den Zeigefinger, machte zu dieser Pantomime ein sehr geheimnisvolles Gesicht und sagte:

      »Jetzt kommt das Allerbeste. So lange ich mich noch in Kahira befinde, werde ich mir diesen Wohlgeschmack so oft wie möglich gönnen, da ich später auf denselben verzichten muß.«

      Er klatschte in die Hände, und der Schwarze brachte vier Flaschen Bier, welche der Dicke ohne mein Wissen hatte holen lassen. Nun, wenigstens dieser heimatliche Trank sollte mir nicht zu Wasser werden. Ich goß mir also fleißig in die Schale und war infolgedessen ebenso schnell mit zwei Flaschen fertig wie mein Türke.

      Dieser begann jetzt, an das heutige Erscheinen des Gespenstes zu denken, oder vielmehr an dessen Nichterscheinen; denn er war wirklich überzeugt, daß es sich durch die Anwesenheit eines Ungläubigen abschrecken lassen werde. Von ihm um eine Meinung befragt, erklärte ich:

      »Auch ich glaube nicht, daß der Geist kommen wird, denn er fürchtet sich vor mir.«

      »Fürchten? 0 nein! Ein Geist kennt keine Furcht. Er wird nicht kommen, weil Sie als Christ ihm für unrein gelten.«

      »Dann rate ich ihm freilich, sich nicht an mir zu besudeln, denn ich würde ihn und sein Andenken so verunreinigen, daß sein Name für alle Moslemirn zum Gelächter würde. Es könnte ihm niemals einfallen, wiederzukommen.«

      »Sie scheinen wirklich keine Angst zu haben?«

      »Nein. Ich habe mich schon, als ich ihn zum erstenmale sah, nicht vor ihm gefürchtet.«

      »Wie? Sie haben ihn bereits gesehen?«

      »Ja. Wenigstens vermute ich es. Entweder er oder sein Obergespenst ist mir schon einmal hier in Kahira erschienen.«

      »Allah! Und wann denn?«

      »Davon später. Sie würden es mir doch nicht glauben.«

      »Ich glaube es sofort. Er ist ja mir auch erschienen. Warum sollten ihn andere nicht ebenso gesehen haben?«

      »Andere, ja, aber nicht ich, der ich ein Ungläubiger bin. Sie sind ja der Ansicht, daß er sich von mir fernhalten werde. Ein Ungläubiger bin ich nicht; kein Christ ist ein Giaur, denn unser Gott ist derselbe Gott, welchen Sie Allah nennen. Wir glauben sogar mehr als Sie, denn wir beten in Isa Ben Marryam [Jesus, Sohn Mariens]den Sie nur als Propheten verehren, den Sohn Gottes an. Aber in Beziehung auf Gespenster bin ich der ungläubigste Mensch, den es geben kann. Pflegen Sie des Nachts im Finstern zu schlafen?«

      »Nein, sondern gerade des Gespenstes wegen brennen wir alle Licht.«

      »Und es kommt dennoch?«

      »Es kommt dennoch; es kommt durch die verriegelten Thüren und wandelt durch die erleuchteten Zimmer, an uns vorüber. Es ist grauenhaft! Daß ich noch nicht entflohen bin, mag Ihnen beweisen, daß ich meinen Namen Nassyr, welcher Sieg bedeutet, mit vollem Rechte trage.«

      »Auch die Hausthüre ist verriegelt?«

      »Natürlich, und zwar mit zwei großen, schweren Riegeln, welche man gar nicht so leicht bewegen kann.«

      »Und wo schläft Selim, der tapfere Haushofmeister, welcher es mit allen Helden des Weltalls aufnimmt?«

      »Hinter der Hausthüre, wo er sich täglich ein Lager bereitet.«

      »Und auch er hat den Geist gesehen?«

      »Täglich, alle Abende hat er ihn erblickt. Sie mögen daraus erkennen, daß er wirklich kein furchtsamer Mensch ist. Heute werden wir zum erstenmale der Ruhe pflegen können, welche uns bisher versagt gewesen ist. Ich bin müde und bedarf des Schlafes. Gute Nacht!«

      Er gab mir die Hand und ging in seine Wohnung. Ich hörte, daß er die Thüre hinter sich verriegelte. Natürlich glaubte ich ihm sehr gern, daß er der Ruhe bedürfe. Starke Esser pflegen nach der Mahlzeit ermüdet zu sein. Aber daß ihn das Gespenst heute nicht stören werde, darüber war ich anderer Überzeugung. Ich hätte darauf schwören mögen, daß gerade heute der Geist kommen werde, wenn auch nicht mir zuliebe, aber doch gerade meinetwegen.

      Es mochte nach unserer Zeit gegen elf Uhr sein, und ich hielt es für geraten, meine Vorbereitungen zu treffen, welche höchst einfach waren. Zunächst hatte ich die Kinder in Schlaf zu bringen. Sie mußten sich in eine Ecke auf das Polster legen, und ich deckte sie mit meinem Mantel, den Selim aus dem Hotel mitgebracht hatte, so zu, daß ihre Gesichter unter demselben steckten; sie sollten das Gespenst nicht sehen. Dann trat ich leise hinaus in den Säulengang, um nach der nächtlichen Beleuchtung zu sehen. Es gab keinen Mondschein; aber die Sterne schimmerten so hell hernieder, daß man wenigstens zehn Schritte weit zu sehen vermochte.

      Zur Hausthüre kam das Gespenst nicht herein; das war gewiß, weil dieselbe mit Riegeln verschlossen war, und weil Selim dort lag. Ich war überzeugt, daß dieser Schlingel sich gerade denjenigen Ort, an welchem sich die Erscheinung nicht sehen ließ, zur Ruhestätte erwählt hatte. Der Geist stieg unbedingt über die Gartenmauer, in welcher es die schon erwähnten Breschen gab. Dort konnte man ihn kommen sehen. Trotzdem zog ich es vor, mich nicht in dem Garten zu postieren, denn vielleicht befand der Geist


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